Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Genitive

Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem Niederländischen und dem Deutschen besteht in dem viel stärkeren Abbau der Flexion im Niederländischen. Während beispielsweise das Kasussystem im Deutschen noch halbwegs intakt ist, ist es im Niederländischen fast komplett verschwunden. Reste finden sich insbesondere noch in idiomatischen Wendungen (wie de heer des huizes).

Vielfach sind die Funktionen der Kasusflexion durch Umschreibungen mit Präpositionen ersetzt worden. So verwendet das Niederländische van statt des deutschen Genitivs, um Besitz und Zugehörigkeit auszudrücken:

  • de tuin van mijn buren – ‚der Garten meiner Nachbarn‘
  • de bril van de vrouw – ‚die Brille der Frau‘
  • een gevoel van machteloosheid – ‚ein Gefühl der Ohnmacht‘


Für viele germanischen Sprachen gilt, dass das Genitiv-s der letzte lebende Rest des ursprünglichen Kasussystems ist. So auch im Niederländischen, wo dieses -s insbesondere nach Eigennamen verwendet wird, um ein Besitzverhältnis anzuzeigen: Jans boek, Jannekes bril. Auch bei nahen Verwandtschaftsbezeichnungen kommt es vor: mijn moeders auto. Endet der Eigenname auf einen Vokal oder auf s bzw. z, dann wird ein Apostroph verwendet: Otto’s bed, Rubens‘ schilderijen, Truus‘ schoenen.

In diesen Fällen lässt sich das Besitzverhältnis (umgangssprachlich) auch durch ein Possessivpronomen ausdrücken: Otto z’n bed, Rubens z’n schilderijen. Die weibliche Form ist haar bzw. d’r: Janneke d’r bril. Auf Deutsch kommen diese Umschreibungen auch vor, sie sind aber regional und stilistisch sehr markiert: Otto sein Bett und Janneke ihre Brille gelten nicht als standardsprachlich.

Durch die Beschränkung des -s auf (im Wesentlichen) Eigennamen unterscheidet sich das Niederländische vom Englischen, wo die Verwendungsmöglichkeiten viel größer sind:

  • the government’s decisions – de besluiten van de regering – die Beschlüsse der Regierung
  • Parkinson’s disease – de ziekte van Parkinson – die Parkinsonsche Krankheit
  • my new car’s brakes – de remmen van mijn nieuwe auto – die Bremsen meines neuen Autos

Das letzte Beispiel zeigt, warum man das englische -s nicht mehr in erster Linie als Flexionsendung sieht, sondern eher als ein ‚phrasal affix‘, das dazu dient, Besitz und Zugehörigkeit auszudrücken (the old man who lives next door’s wife).

Ähnlich funktioniert das possessive Wörtchen se im Afrikaans (Beispiele aus Donaldson, A Grammar of Afrikaans, 1993):

  • ons bure se vriende se seun – ‚der Sohn der Freunde unserer Nachbarn‘ (engl. our neighbours‘ friends‘ son)
  • ek het niemand se geld gesteel nie – ‚ich habe niemandes Geld gestohlen‘ (engl. I stole nobody’s money)

Diese wenigen Beispiele mögen reichen, um zu zeigen, dass der Genitiv (und seine Nachfolger) ein höchst spannendes Thema darstellt, gerade auch in sprachvergleichender Hinsicht. Daher haben unsere germanistischen Kollegen eine Tagung zu diesem Thema organisiert, die von Donnerstag bis Samstag an der FU stattfinden wird. Interessierte sind willkommen.

Infos zum Workshop über Germanic Genitives finden sich auf der Tagungswebsite.

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Der Beitrag wurde am Montag, den 19. Mai 2014 um 16:15 Uhr von Matthias Hüning veröffentlicht und wurde unter Afrikaans, Grammatik, Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

2 Reaktionen zu “Genitive”

  1. Johanna Ridderbeekx

    Ich erinnere mich an einen der schönsten Habilitationsvorträge an unserem Institut für Deutsche und Niederländische Philologie: Frau Dr. Barbara Schlücker PD sprach zum Thema: „Dem Ernst Kuzorra seine Frau ihr Stadion. Der besitzanzeigende Dativ im Deutschen und sein Pendant im Niederländischen“.

  2. Matthias Hüning

    Ja, und Barbara Schlücker wird auch bei der Germanic Genitives-Tagung dabei sein, diesmal mit einem Vortrag zu „Eigennamenkomposita und Genitive“. Dabei geht es um den Vergleich verschiedener Konstruktionen mit Eigennamen, beispielsweise Merkels Rede, (die) Merkel-Rede und (die) Rede von Merkel.