Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Amesterdão

Nach dem namenkundlichen Ausflug nach Belgien bieten natürlich auch die Niederlande ausreichend Verwunderliches an Exonymen in anderen Sprachen. Kürzlich stieß ich auf  eine Abhandlung von Gottfried Wilhelm Leibniz aus dem Jahre 1715, deren fünfzeiligen lateinischen Titel ich aus Platzgründen verschweige. Interessanter ist der Erscheinungsort des Werks: Amstelaedami. Man kann allein über diese Form und ihre Grammatik viel nachdenken, ebenso über andere lateinische Varianten wie Amsterodamum. Wenn man, wie ich, wenig Bezug zum Lateinischen hat, überlässt man das lieber den Fachkundigen. Mich erinnerte dieser Ortsname aber an eine andere Anekdote:

Vor einiger Zeit kam ich, über Schiphol reisend, in Lissabon am Flughafen an. Der Bildschirm über meinem Gepäckband nannte den Abflugort: Amesterdão. Was für eine wunderbar lusitanisierte Bezeichnung! Man findet darin das epenthetische /e/, das die iberoromanischen Sprachen so lieben, um hier zum Beispiel das unsägliche wie unsagbare Konsonantencluster /mʃt/ aufzulösen. Die im Portugiesischen als Allzweckwaffe gebräuchliche Endung –ão entfaltet ihre Superkräfte, mit der sie jede Menge verschiedener Suffixe im praktischen Einheitsmodell aufgehen lässt. Meist sind das ehemalige lateinische Formen, die wir an Endungen wie –tion,  –on oder –an im Deutschen oder –tie im Niederländischen erkennen: Lat. natio wird zu dt. Nation und ndl. natie oder zu pt. nação.

Ob aus Honig oder gedruckt: Wo Portugiesisch ist, ist die Tilde nicht weit. (Foto: Lrlrlrlrlrl, PD)

Als Ersatz für –am ist die universelle Endung genauso gut geeignet. Aber Moment: In Brasilien sieht man die Dinge offenbar ganz anders. Dort schreibt man lieber Amsterdã. Am Wortende ist noch die Nasalierung übrig, ausgelöst vom verschwundenen /m/ und sichtbar an der Tilde auf dem a. Zusätzliche Buchstaben möchte man der Stadt aber nicht zumuten. Dabei ist im brasilianischen Portugiesisch die Kombination /mst/ auch nicht viel einfacher, und man fügt in der gesprochenen Sprache an solchen Stellen gerne einen Schwa ein.

Variationsfreudig wie das Portugiesische ist, liefert es gleich auch Kompromisslösungen. Man trifft daher auch die Formen Amsterdão oder Amesterdã an. Nahezu fanatisch gerecht sind manche Wikipedia-Autoren mit der Schreibweise Amesterdã(o).

Die Hafenstadt Rotterdam bekommt leider nichts geschenkt: Als Roterdão oder Roterdã muss sie sogar ein t einbüßen. Wie so häufig dürfen kleinere Orte ihre Bezeichnungen auch in anderen Sprachen behalten: Volendam, Edam, Zaandam bleiben von der Aoisierung üblicherweise verschont (Potsdam übrigens auch). Oder, mit den Worten eines anderen Blogautors: „Eigentlich müsste man es Volendão nennen, aber das klingt doch furchtbar!“

Tags:

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 3. Dezember 2014 um 10:00 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Aussprache, Niederlande, Rechtschreibung, Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

Kommentarfunktion ist deaktiviert