Niederländer – das sind die, die so seltsam sprechen. Darf man so etwas über seine Nachbarn sagen? Sicher, es klingt ein wenig herablassend. Trotzdem nennen wir ganze Völker oder Nationen exakt so. Wenn es darum geht, gemeinsame Nachbarn zu bezeichnen, dann sind sich das Niederländische und das Deutsche völlig einig:
Der Süden Belgiens spricht komisch. Der Westen der Schweiz auch. Außerdem der Süden Rumäniens, und der Westen Großbritanniens sowieso.
Die Namen all dieser Regionen, ihrer Sprachen oder Bevölkerungen gehen zurück auf eine etymologische Wurzel *wálha, die wir heute im Wort welsch wiederfinden: Wallonien (Wallonië und Waals), die sogenannte Welschschweiz (oder Romandie, nl. Romandië, also der französischsprachige Landesteil), die Walachei (Walachije) und auch Wales und Cornwall. Ursprünglich waren die Welschen Kelten, die das Lateinische annahmen. Später verbreiterte sich die Bedeutung aus Sicht der Germanischsprachigen auf alle Romanischsprachigen. Nur auf den britischen Inseln blieb der Begriff für wirklich Keltischsprachige übrig, denn dort gibt es diese Sprachen schließlich noch.
Ausgehend von „jemand, der Romanisch spricht“ entwickelte das Wort anschließend die zusätzliche Bedeutung von „unverständlich“, „fremdartig sprechend“. Das finden wir beispielsweise im Begriff Kauderwelsch wieder. Ins Niederländische ist dieser Begriff wiederum als koeterwaals mit der gleichen Bedeutung eingegangen, und zwar als Lehnwort aus dem Deutschen.
Wie das Wort vrijstaat ist Koeterwaals im Niederländischen genau genommen ein Helvetismus. Waals hat in diesem Fall nichts mit den Wallonen zu tun, so naheliegend das auch wäre. Stattdessen, so lässt sich zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, steht Kauder- für die Stadt Chur in der Schweiz. Dort sprach man früher noch Rätoromanisch (heute seltener), aus Deutschschweizer Sicht also welsch und entsprechend unverständlich.
Ebenso „welsch“, weil häufig aus Frankreich kommend, ist übrigens die Walnuss. Diese trägt ihren Namen in dieser Form wirklich nur in Germanischen Sprachen, die gemeinsam auf das romanische Gebiet verweisen: Nl. walnoot, norw. valnøtt, engl. walnut. Kein Wunder, dass diese Frucht auf Französisch schlichtweg noix heißt und der zugehörige Baum noyer commun: gewöhnlicher Nussbaum. Finnisch tanzt wie gewohnt aus der Reihe und sagt saksanpähkinä: deutsche Nuss. Auf Estnisch spricht man von griechischer Nuss (Kreeka pähkel), wie übrigens auch in den benachbarten und nicht direkt verwandten baltischen Sprachen.
Das sollte den Griechen ganz recht sein, denn die Sache mit den Fremdbenennungen hatte im alten Griechenland ihren Anfang. Wer anders und unverständlich sprach, der äußerte sich mit brr-brr-Lauten und war ein Barbar. Auf gewundenen Pfaden gelangte das Wort bis nach Nordafrika, wo man am Ende auch die Berber so bezeichnete. In so manchem Wohnzimmer liegt auf dem Boden ein Barbarenteppich. Heute leben relativ viele marokkanische Einwanderer aus dieser Gemeinschaft in Belgien und den Niederlanden, die nicht (nur) Arabisch sondern (auch) Tamazight sprechen – wenn man genau hinhört, mit relativ wenig brr-brr.
Nun müssen sich die Flamen ihr Land also mit Welschen und Barbaren teilen. Trotzdem kein Grund, wie mancher Spitzenpolitiker in fremdenfeindliche Beschimpfungen zu verfallen. Die Amazight-Community bringt sich in den europäischen Gesellschaften ein und hat spannende kulturelle Beiträge zu bieten. Selbst zum Barbaren werden ist übrigens nicht so schwierig. Für Tamazight-Unterricht im Ausland kann man beim marokkanischen Staat Subventionen beantragen. In reicheren Ländern neigt man eher zu barbarischen Kürzungen in der auswärtigen Sprachpolitik – bis die eigene Sprache für andere am Ende nur noch als Kauderwelsch daherkommt.
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