Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Hängepartei

In Noord-Brabant herrscht Unruhe wegen eines umstrittenen Verfahrens in einer Mordsache. Von filmreifen Ermittlungsaktionen bis zu erpressten Geständnissen ist alles dabei. Die Staatsanwaltschaft, das Openbaar Ministerie, wartet erst einmal ab:

Het OM wil hangende de rechtszaak niet inhoudelijk reageren.

Der Begriff hangende fühlt sich anfänglich für Deutschsprachige etwas seltsam an, weil wir ihn nicht 1:1 übersetzen können. Ein großes Geheimnis steckt nicht dahinter. Es ist schließlich auch nur eine Präposition, die aus einem Partizip Präsens abgeleitet ist. Bekanntere Beispiele sind gedurende aus duren oder während von währen. Wenn wir dieses seltsame hangende dennoch vermeiden möchten, tut sich im Niederländischen wie im Deutschen ein Wortfeld auf, mit dem man ähnliche Aussagen umgestalten kann, zum Beispiel:

De zaak is nog aanhangig.

Das Verfahren ist noch anhängig.

Mehrere Strafanzeigen sind hängig. (Nur in der Schweiz.)

Alternativ dazu ginge auch:

Die Verhandlungen schweben.

Alles, was noch unentschieden ist und einen offenen Ausgang hat, scheint zu hängen oder zu schweben. Nicht umsonst kann man in der Luft hängen (nl. ebenso in de lucht hangen) , wenn man auf eine Entscheidung wartet und  vergeblich auf Unterstützung hofft, weil andere die Dinge in der Schwebe halten.

Manchem zeigt erst der Richter, wo der Hammer hängt. (Avjoska, CC-BY-3.0)

Um das Gedankenspiel noch einen Schritt weiterzutreiben: Wer wenig zu tun hat und sich entspannt, der kann in seiner Freizeit faul abhängen oder rondhangen. Vorgänge, die bildlich gesprochen nicht den Boden berühren, scheinen ein gemeinsames Bedeutungsfeld zu haben. Sie beschreiben vorübergehende Zustände, das nicht-Abgeschlossene und Unentschiedene, das Ungelöste oder auch das Ziellose und Zweckfreie. Metaphoriken, die zeitliche Vorstellungen mit räumlichen Vorstellungen verbinden, sind nichts Ungewöhnliches. Wir erinnern uns an die Vergangenheit zurück und blicken in die Zukunft voraus. Trotzdem ist das Hängende und Schwebende ein wenig rätselhaft, denn sonst sind solche Zeit-Raum-Metaphern meist horizontal. Hier geht es stattdessen um ein vertikales Verhältnis im Raum. Zum Hängen oder Schweben braucht man eine gewisse Höhe über dem Grund. Wenn eine Sache hängt, bewegt sie sich natürlich nicht fort. Sie bleibt an der selben Stelle hängen und, immer noch metaphorisch gesprochen, die Zeit kann darunter hindurch weiterströmen.

Dauert ein schwebendes Verfahren besonders lang und bringt keinen befriedigenden Abschluss hervor, sprechen wir von einer Hängepartie. Besonders im Sport kommt das vor, auch im Niederländischen als hangpartij, wenn ein Spiel unabhängig ausgeht. Großbritannien kannte in der vergangenen Wahlperiode ein hung parliament ohne absolute Mehrheit für eine der großen politischen Kräfte. Labour und Tories hatten gewissermaßen einen Durchhänger und waren beide hangpartijen.

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Der Beitrag wurde am Montag, den 20. Juli 2015 um 15:28 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Allgemein, Idiom, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

5 Reaktionen zu “Hängepartei”

  1. Georg

    „Während“ ist doch eine Präposition, kein Adverb. Ein Adverb kann man einfach weglassen, ohne dass der Satz ungrammatisch wird. Im Deutschen muss man dafür vielleicht noch die Wörter ein bisschen umstellen, aber sonst nichts verändern. „Inhoudelijk“ wäre in dem Beispielsatz klar ein Adverb, aber „hangende“ ist Präposition.

  2. Philipp Krämer

    Danke für den Hinweis, das ist natürlich völlig korrekt. In einer alten Version ging es in diesem Absatz zusätzlich noch um prädikative Konstruktionen („ist anhängig“ etc.) und wie sie sich zu Adverbien verhalten – das hatte ich rausgenommen, und schon hat sich die Präposition plötzlich in ein Adverb verwandelt. Wird sofort korrigiert.

  3. Wolfgang de Cauter

    „Hängepartie“ ist ein Begriff, der aus der Welt des Schachs stammt und auf viele andere Bereiche (besonders häufig sonstiger Sport und Politik) übertragen wurde. Weitere solche Beispiele sind: Zugzwang, Patt, Rochade, Zeitnot (hier bin ich mir nicht sicher, ob es den Begriff nicht doch schon vor ca. 1850 gab), Zwischenzug. Interessant ist auch, dass diese Begriffe, sofern sie aus dem Deutschen stammen (also nicht „Patt“ oder „Rochade“) in so einigen anderen Sprachen dem Deutschen entlehnt wurden.
    Zurück zur „Hängepartie“, die ausgerechnet beim Schach heute „im Zuge“ (Schachbegriff!?) von Regeländerungen selten und unüblich geworden ist: eine Schachpartie wird „abgehängt“, seltener zu hören „aufgehängt“, „geht in … (über)“ oder „werden“ eine „Hängepartie“ und „hängt“ daraufhin. Ohne jeglichen Zweifel jedoch wurde das „Hängen“ von Schachpartien dem allgemeinen Sprachgebrauch entlehnt, nur die Zusammensetzung mit „-partie“ entstand beim Schach.

  4. Wolfgang de Cauter

    Im Titel steht „Hängepartei“ statt „Hängepartie“. Ich gehe von einem Tippfehler aus.
    Dieser Kommentar sollte gelöscht werden.

  5. Philipp Krämer

    Vielen Dank für die interessanten Anmerkungen! Zu „Partie“ gibt es demnächst noch einen gesonderten Beitrag, der schon fertig vorbereitet ist und in ein paar Tagen erscheint. Dann wird sicher klarer, warum „Hängepartei“ kein Tippfehler war (s. auch den letzten Satz über die politischen Parteien).