Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Alles, was nicht jetzt ist

Die Sommerferienzeit ist fast vorbei, viele Eltern haben es noch in den Ohren: „Sind wir bald da?“ – „Zijn we er al (bijna)?“ Den meisten Kindern ist wohl klar, dass man noch eine Zeitlang unterwegs sein wird und schränken die Frage mit bald oder bijna ein. Das Wörtchen bald ist ein wahres Wunderwerk. Es drückt aus, dass es nicht lang dauern wird, bis etwas eintritt. Wie lange genau, ist aber relativ im Verhältnis zu dem Zeitrahmen, den man vernünftigerweise erwartet. Es können einige Minuten oder Stunden sein (wie auf der Urlaubsreise), einige Tage oder Monate (Der Sommer ist bald vorbei!) oder auch ein paar Jahrhunderte (Das Ende kommt bald!).

Das niederländische gauw kann man in solchen Kontexten theoretisch auch verwenden. Aber es wirkt leicht etwas zu formell und steif. Das deutsche bald passt dagegen problemlos auch in eine ungezwungene Konversation. Es ist oft gar nicht so einfach, spontan einen niederländischen Ausdruck zu finden, wenn man auf Deutsch das völlig unbestimmte bald benutzen würde.

Die Auswahl ist groß: straks, binnenkort, later, alras, weldra… All diese Begriffe haben natürlich auch ihre deutschen Pendants: gleich, in Kürze, später, rasch… Diese Wörtchen kann man einigermaßen sortieren, ansteigend von „fast sofort“ bis „das kann dauern“: Sagt jemand Ik kom zo!, dann ist bis dahin noch Zeit für eine Zigarette oder eine Toilettenpause. Bei Ik kom straks! wird man länger warten müssen, darf aber den Sprecher durchaus noch am selben Tag erwarten. Als im Fernsehen die Formel tot straks na de reclame gebräuchlich wurde, waren einige Muttersprachler etwas irritiert. Eine Werbeunterbrechung kam ihnen zu kurz vor, um für diese Zeitspanne straks zu benutzen.

Gleich ist es zwei Uhr. De tram komt zo. (Smiley.toerist, CC-BY-SA 3.0)

Das Norwegische kennt für bald, dauert nicht lange die etwas flapsige Redensart om to strakser (auf Niederländisch wörtlich ungefähr over twee straksen). Ein einziges straks wäre wohl doch zu kurz, aber es sind nicht mehr als zwei. Mit impliziert dabei: Ich beeile mich.  Das adverbiale straks, das selbst aus einem Adjektiv (gerade, nicht gebogen/unbiegsam, wie dt. strack) abgeleitet ist, hat sich hier im Volksmund zu einem Substantiv mit Plural gewandelt.

Bald ist die Mutter der unbestimmten Zukunft. Manchmal ist bald allerdings schon zu spät. Auch auf Deutsch würde man wahrscheinlich bei der Ankündigung einer Werbepause eher gleich als bald setzen, um die Kürze der Unterbrechung zu betonen.

Ein gleich ist wahrscheinlich schneller als ein bald, aber ist es nun zo, straks oder binnenkort? Ein Ik kom nu! ist jedenfalls in der Regel wirklich wörtlich gemeint. Man kann erwarten, dass der oder die Sprechende praktisch im gleichen Moment erscheint. Egal ob bald, straks, gleich oder binnenkort, eines haben diese Ausdrücke alle gemeinsam: Sie sind jedenfalls nicht jetzt.

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Der Beitrag wurde am Donnerstag, den 6. August 2015 um 08:36 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Sprachvergleich, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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