Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Frühkost und Entbiss

In den letzten Tagen saß ich einen Artikel über Neg… über Cariolisch zu schreiben. In der Forschung ist längst etabliert, dass diese niederländisch-basierte Kreolsprache nur sehr, sehr wenige dänische Elemente in ihren Wortschatz aufgenommen hat, obwohl sie in einer praktisch durchgehend dänisch verwalteten Kolonie gesprochen wurde.

Eines der wenigen Beispiele für ein auf den ersten Blick dänisches Wort findet man in einem kleinen Artikel des Dänen Erik Pontoppidan aus dem Jahr 1887. In dem Text heißt es:

Wat ju sal jeet fo frukost van dag?

(Was wirst du heute zum Frühstück essen?)

Tropisches Frühstück. (J. Wilkins, CC-BY-SA 3.0)

Der Begriff frukost sieht aus, als sei er vom dänischen frokost abgeleitet und hat jedenfalls nichts mit dem heutigen niederländischen Begriff ontbijt zu tun. Mehr noch: Die beiden Wörter fallen in zwei völlig verschiedene Kategorien, mit denen das Frühstück bezeichnet wird.

Auf der einen Seite stehen jene, die darauf hinweisen, zu welcher Tageszeit diese Mahlzeit eingenommen wird. Darunter sind zum Beispiel das deutsche Frühstück, die skandinavischen Varianten wie das genannte dän.-norw. frokost, schw. frukost (selbst wiederum aus dem Niederdeutschen abgeleitet, denn fro für früh ist eigentlich unskandinavisch), oder das im Dänischen auch existierende morgenmad (vgl. das Morgenessen in der Schweiz, analog zum Abendessen). Selbst das Finnische schließt sich hier ausnahmsweise an mit seinem aamiainen (zu aamu, der Morgen).

Auf der anderen Seite stehen die Begriffe, die darauf hinweisen, dass die Nacht eine Zeit des Hungers gewesen sein muss. Nachdem man im Schlaf gefastet hat, gibt es nun endlich wieder etwas zu Essen. So etwa das breakfast (das Fastenbrechen), das französische jeuner (das erst später durch eine Verschiebung der Mahlzeitbegriffe zum petit déjeuner wurde) oder das spanische desayuno.

Ontbijtgen von Floris van Dyck (Rijksmuseum / Hajotthu, PD)

Und das Niederländische? Das ont- in ontbijt deutet zunächst darauf hin, dass auch dieses Wort sich in die zweite Kategorie einsortiert. Doch was soll eigentlich ein Entbiss sein? Einen Imbiss kennt man natürlich, und tatsächlich besteht zwischen Imbiss und ontbijt eine direkte Verbindung, nämlich die kleine Mahlzeit. Soll man nicht der Redensart nach frühstücken wie ein Kaiser? Nicht nur der kleine niederländische Morgenimbiss scheint sich um diese Weisheit wenig zu scheren. Auch das französische petit déjeuner und das portugiesische pequeno-almoço fallen nicht besonders üppig aus. (In Brasilien nimmt man dagegen den café da manhã ein, den Morgenkaffee. Völlig transparent erste Kategorie.) Ein ontbijtgen ist übrigens kein besonders kleines Frühstück, sondern eine bestimmte Form des Stilllebens, das die typische Tafel einer Mahlzeit am späten Vormittag zeigt. Das Gemälde von Floris van Dyck könnte heute vielleicht den Titel „Brunch“ tragen.

Jedenfalls hat wie in sehr wenigen anderen Fällen die Vorsilbe ont- beim niederländischen Frühstück genau die entgegengesetzte Bedeutung zum eigentlich wegnehmenden ent-/ont-. Es geht eher um den Anbiss – den Beginn des Essens zum Beginn des Tages. Praktisch dieselbe Etymologie hat übrigens auch das portugiesische almoço, das so arabisch daherkommt und doch lateinisch ist. Mit dem recht abstrakten Hineinbeißen liegen das Portugiesische und das Niederländische ungefähr zwischen den beiden Kategorien: Es geht nicht um das Ende des Fastens und auch nicht explizit um die Tageszeit.

Die Sprecherinnen und Sprecher des Cariolischen fanden das wohl nicht zum Anbeißen und haben sich an dieser Stelle doch für eine andere Variante entschieden. Ob diese Variante wirklich dänisch ist? In alten Quellen findet man noch den inzwischen veralteten niederländischen Begriff vroegkost, der wohl insbesondere in der Seefahrt gebräuchlich war. Angesichts der Bedeutung von Seefahrern in der Kolonial- und Kreolisierungsgeschichte wäre das ein deutlich wahrscheinlicherer Kandidat. Ob nun frokost oder vroegkost für frukost verantwortlich sind, lässt sich kaum klären. Vielleicht hat sich die Kreolsprache einfach das Beste aus zwei Welten ausgewählt.

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Der Beitrag wurde am Sonntag, den 20. September 2015 um 09:00 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Etymologie, Karibik, Sprachvergleich, Wortbildung abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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