In globalen Maßstäben gesehen sind die Niederlande ein eher kleines Land, und jetzt passen sie sogar in eine Hosentasche. Vor ein paar Wochen erschien das sympathische kleine Büchlein Holland für die Hosentasche von Ulrike Grafberger. Die deutsche Journalistin, die in Scheveningen lebt, liefert kompakte und trotzdem umfassende Einblicke für Deutschsprachige in die Lebenswelt an der Nordseeküste.
Der Niederlandistik freuen natürlich besonders die Kapitel zur Sprache und zur Kultur. Darin erfährt man einiges über die beliebtesten Namen in den Niederlanden, über das spezielle Wörtchen gezellig und sogar über das Friesische. Aber auch in den restlichen Kapiteln kann man vieles über Land und Leute entdecken und sich wichtige Ausdrücke aus dem täglichen Leben oder dem kollektiven Gedächtnis erschließen. Wir lernen beispielsweise die Unterschiede zwischen einem bakfiets und einem transportfiets kennen, oder wie sich in den Niederlanden die Bezeichnungen allochtoon und autochtoon im Sprachgebrauch etabliert haben.
In vielen Formulierungen schimmert gelegentlich das Niederländische im Deutschen durch, vielleicht absichtlich, vielleicht auch nicht. So bekommt auch das deutschsprachige Publikum, das kein Niederländisch versteht, einen Eindruck von Sprache und Ausdrucksweise der Nachbarn. Ein paar Beispiele:
„In der Stadt Delft kommt man dem Delfter Blau auf Schritt und Tritt entgegen.“ (tegenkomen für begegnen)
„Radfahren sitzt in der DNA der Holländer.“ (das allniederländische Positionsverb zitten)
„Empfang des Gouverneur-Generals von Kanada“ (die spezielle Position von –generaal kommt uns bekannt vor)
Was das Buch besonders macht, sind die kleinen Anekdoten aus der jüngsten Vergangenheit und aus der persönlichen Erfahrung der Autorin. Dadurch werden die Erläuterungen aktuell und man hat nie das Gefühl, einen bleischweren Korrespondentenbericht zu lesen. Beschreibungen eines ganzen Landes bringen immer ein Risiko mit sich: die Generalisierung.
Bestimmt wird der Eine oder die Andere in den Niederlanden Einwände formulieren wollen: „Das tut doch niemand!“ „Davon hab ich noch nie gehört!“ „Das war vielleicht früher so, aber heute macht das keiner mehr!“ Aus deutscher Perspektive hat die Überzeichnung aber einen besonderen Charme. Ohne dass uns die Autorin mit der Nase darauf stoßen muss, können wir uns durch den Blick auf die Niederlande in den kleinen Ähnlichkeiten und Unterschieden selbst kritisch beäugen. Ist es wirklich so, dass nur die Niederländer penible Sparer sind, oder ist nicht das gewissenhafte Studium der Werbeprospekte in Deutschland der genaue Gegenpart zu den Kundenkarten und Rabattpunkten unserer Nachbarn? Ähnelt das Verhältnis zwischen Limburgern und Friesen nicht erstaunlich dem zwischen Bayern und Hamburgern?
Ein kleines Büchlein muss auch vieles auslassen. Deshalb – schade – erfahren wir wenig über die Antillen, die doch auf ihre spezielle Weise weiterhin zu den Niederlanden gehören. Oder über die Beziehungen zwischen den Niederlanden und ihrem Nachbarn im Süden. Vielleicht verbirgt sich dahinter schon Material für einen zweiten Band…
Und wer gleich jetzt entlang der Nordsee weiterlesen möchte: Letztes Jahr erschien in derselben Reihe das Buch Ostfriesland für die Hosentasche.
Ende der Werbepause.
Ulrike Grafberger: Holland für die Hosentasche. Was Reiseführer verschweigen. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch. 2016.
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