In Berlin gingen kürzlich die Brussels Days zu Ende. Jedes Jahr präsentiert sich die Region Brüssel-Hauptstadt in einer anderen Stadt der Welt. 2017 war Berlin an der Reihe, und am Rande der Veranstaltungen wurde sogleich eine in der Kulturwelt mit Spannung erwartete Entscheidung verkündet.
In einem ehemaligen Gebäude der Automarke Citroën (das Trema ist wichtig, damit keine saure Frucht daraus wird) wird ein neues Museum für zeitgenössische Kunst gegründet. Es soll den Namen KANAL tragen. Wenig überraschend liegt das Gebäude an dem Kanal, der durch die Stadt fließt. Trotzdem ist die Wahl des Namens oder genauer gesagt die Schreibweise wieder ein Kunststück des Brüsseler Sprachgebrauchs. Da die beiden Hauptsprachen Brüssels bei dem Wort ähnlich genug sind, musste man anders als beim Flughafen nicht auf das Englische zurückgreifen, sondern man konnte eine spracheninterne Kompromisslösung finden:
Kanal ist weder ganz französisch (sonst würde es mit C geschrieben) noch ganz niederländisch (es fehlt ein A). Den frankophonen Rundfunk RTBF hinderte das nicht an der Behauptung, „l’orthographe est néerlandophone, la prononciation francophone.“ Das stimmt zwar nicht ganz, aber gemeint ist damit wohl vor allem der für frankophone Augen auffällige Anfangsbuchstabe und die Tatsache, dass das A kürzer ist (betont ist es in beiden Sprachen). Jedenfalls preist der Rundfunk die Bezeichnung als „un nom très zinneke.“
Diese Aussage lässt sich schwer ins Deutsche übertragen („ein sehr zinnekehafter Name“?). Zinneke ist mehr ein Bruxellismus als ein Belgizismus. Es ist die Verkleinerungsform für die Senne bzw. Zenne, also das Flüsschen, das weitgehend unsichtbar durch Brüssel fließt. Dessen kleiner Ableger, sozusagen das Sennlein (zenneke > zinneke), stellte eine Verbindung her zu genau jenem Kanal, an dem nun auch das Museum liegt. Früher wurde das Wasser des Zinneke auch genutzt, um unerwünschte Straßenhunde gnadenlos zu ertränken. Aus dem Mischlingshund wurde schließlich die Bezeichnung für die kulturell wie sprachlich ebenso bunten Einwohner*innen von Brüssel. Ein Zinneke ist demnach jemand mit dem typisch gemischten Hintergrund, den viele in Brüssel haben: Flämisch, frankophon, dazu noch jede Menge andere Einflüsse von nah und fern.
Der Diminutiv Zinneke ist mit dem Suffix -ke erkennbar südniederländisch und in dieser Form auch ins Französische von Brüssel eingegangen. Ob jemand aus Paris oder Marseille verstehen würde, was „un nom très zinneke“ sein soll? Jedenfalls ein durchaus gelungenes Wortspiel, gerade im Kontext des neuen Museums am Kanal. Ein ebenfalls gelungenes zinnetje kommt von Yves Goldstein. Der ist Regional- und Lokalpolitiker aus Brüssel und damit selbst ein Zinneke, zudem für die Anfangszeit der bezieler (dt. Inspirator, hier wohl auch Impulsgeber oder Gründungsleiter) des Museums, soll dem Projekt also eine Seele einhauchen. Mit einem Seitenhieb nach Norden, wo die neue Koalition allen Ernstes jede Schulklasse zu einem Besuch im Rijksmuseum verpflichten will, sagt Goldberg:
Het Nederlandse regeerakkoord bepaalt dat alle jongeren minstens één keer in het Rijksmuseum moeten geweest zijn. Wij moeten ervoor zorgen dat we minstens iedereen uit het gewest bereiken. (bron)
Globale Kunst kanalisiert für ein lokales Publikum – mal sehen, wie die Zinnekes das neue Angebot annehmen.
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