Die Geschichte der Lakritze ist eine Geschichte der Missverständnisse. Meiner persönlichen Meinung nach besteht das allererste Missverständnis darin, dass geschmolzene, gezuckerte Autoreifen angeblich gut schmecken. Aber da scheinen viele anderer Ansicht zu sein, also lassen wir die Geschmacksdiskussion und schauen nach den sprachlichen Missverständnissen.
Auf Deutsch haben wir zunächst einmal wieder ein Artikelproblem: Es gibt der und das Lakritz und die Lakritze. Manches davon ist regional, aber das muss uns jetzt nicht weiter kümmern.
Der Begriff Lakritz und fast alle Bezeichnungen in anderen europäischen Sprachen gehen zurück auf die griechische Bezeichnung der Süßholzwurzel, aus der das Produkt gewonnen wird: glykyrrhíza, aus γλυκύς (glykys für süß) und ῥίζα (rhiza für Wurzel). Ab da begannen die Irrtümer, nämlich schon bei den Lateinern. Weil man aus der Süßholzwurzel einen flüssigen Extrakt herstellte, kam liquidus ins Spiel. Daraus wurde für das Endprodukt liquiritia, heute auch im Italienischen noch liquirizia. Für die germanischen Sprachen ist der Weg zu Lakritz, engl. liquorice oder auch lakris u.ä. in Skandinavien einigermaßen erkennbar.
Viele slawische Sprachen beteiligen sich am selben Muster, etwa russ. лакрица, poln. lukrecja, tschech. lékořice. In den romanischen Sprachen hat man die Silben noch ein bisschen weiter gemischt und durch Metathesen (Vertauschungen) wurde daraus spanisch und portugiesisch regaliz oder französisch réglisse. Die ganzen Bezeichnungen und weitere Volksetymologien in der Romania kann man hier (pdf) ausführlicher nachlesen. Sogar ‚Außenseiter‘ wie Baskisch (erregaliz), Estnisch (lagrits) oder Maltesisch (likorizja) tanzen nicht aus der Reihe.
Und dann kommt Niederländisch mit drop. Bei dem ganzen Laut- und Buchstabensalat dachte man sich wohl: Das geht doch auch einfacher! Da die Lakritz-Rohmasse relativ flüssig ist, formt(e) man daraus Drops zum Lutschen. Das Produkt wurde und wird schließlich auch als Arzneimittel eingesetzt, etwa gegen Husten. Und da die Niederlande bei der Produktion und dem Konsum von Lakritze europaweit Spitzenreiter sind, ist ein eigenes Wort sicher nicht unangemessen. Ein wort, dass auch unsere Studierenden gelegentlich schon verwirrt hat.
Damit ist es im Niederländischen aber trotzdem noch nicht zu Ende, denn jetzt kommt Flandern ins Spiel. Dort gibt es die regionale Bezeichnung kalisse und ähnliche Formen. Man ahnt es schon: Französisch. Jedenfalls wahrscheinlich, denn ganz genau weiß man es nicht. Vielleicht ist es auch unabhängig vom Französischen aus dem Latein gekommen, jedenfalls ist es am Ende doch wieder dieselbe Grundlage wie Lakritz und all die anderen Wörter. Damit das Spiel der Entlehnungen und Umformungen noch ein bisschen unübersichtlicher wird, ging kalisse in Belgien (vor allem Brüssel) den Weg wieder zurück ins Französische, als caliche. Damit ist der Drops gelutscht: Außer der Tatsache dass irgendwo ein [k], ein [l] und ein [i] vorkommt, hat das mit der griechischen Urform nicht mehr viel gemein.
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