Deutschland war lange Zeit Exportweltmeister. Maschinen oder Autos gehen schiffsladungsweise in die Welt. Die deutsche Sprache ist eher ein Ladenhüter (nl. winkeldochter). Meist beschränkt sich der deutsche Sprachexport auf einzelne Wörter. Im Niederländischen haben beispielsweise die alten Klassiker wie überhaupt und sowieso treue Kundschaft.
In den letzten Wochen kamen wieder ein paar Exportworte dazu. Das prominenteste davon ist das Akronym Pegida. Die Protestbewegung Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes hat damit eine griffige Bezeichnung gefunden, die in der Öffentlichkeit sehr schnell verfangen hat. Inspiriert war sie vielleicht von Hogesa, den Hooligans gegen Salafisten, welche noch weitaus radikaler und gewaltbereiter schon einige Monate zuvor durch die Medien gingen.
Inzwischen fungiert die Pegida aus Dresden als eine Art Dachmarke für ähnliche Demonstrationen in anderen Städten, etwa Dügida in Düsseldorf oder Bagida in Bayern. Seit Kurzem sind auch die ersten Zweige außerhalb Deutschlands aktiv. Pegida hat es über die Sprachgrenzen geschafft.
In Antwerpen wurde kürzlich eine Demonstration des dortigen Pegida-Zweiges mit Verweis auf die Bedrohungslage untersagt. Während sich das Pegida-Organisationsteam in Deutschland anscheinend schon in der Auflösung befindet, plant Pegida Vlaanderen gerade einen zweiten Versuch, eine Demonstration anzumelden. Interessant ist, dass auch die belgische Protestbewegung auf den Begriff Pegida zurückgreift und damit die Marke aus Deutschland unverändert übernommen hat. Auf Niederländisch funktioniert das Akronym nicht ohne weiteres. Patriottische Europeanen tegen de islamisatie van het avondland liefe auf so etwas wie Petiva hinaus, wenn man daraus wieder ein halbwegs aussprechbares Akronym bilden möchte.
In Flandern hat sich der lokale Zweig für Vlagida entschieden. Das folgt dem Wortbildungsmuster der –gidas in Deutschland und müsste eigentlich für Vlamingen gegen die Islamisierung des Abendlandes stehen. Das Logo von Pegida wurde unverändert übernommen, mit dem Akronym und seiner Beschriftung auf Deutsch. Vlagida findet man in den Medien seltener als Pegida, ähnlich wie es auch in Deutschland bei den lokalen Ablegern ist. Die Dachmarke ist deutlich stärker als die Derivationen. Und zwar so sehr, dass selbst in niederländischsprachigen Zeitungsartikeln inzwischen nicht mehr erklärt werden muss, was Pegida eigentlich bedeutet. Das ist auch in anderen Sprachen und Ländern der Fall. Pegida Wallonie-Bruxelles, Pegida Nederland und die Zweige in Skandinavien verfahren ähnlich.
Die Transparenz von Pegida als Akronym scheint langsam zu schwinden. In der niederländischen Aussprache sieht man, dass das Wort auf dem Weg der Entlehnung noch zögert: Zum Teil wird es als deutsches Lehnwort klar markiert und [pegida] ausgesprochen, andere Sprecher sagen dagegen [pexida] oder [peɣida]. In den niederländischen RTL-Nachrichten sind in einem Beitrag beide Varianten zu hören. Auch im flämischen Rundfunk wird es als [peçida] schon in die lokale Lautung integriert. Kürzlich hörte ich im italienischsprachigen Programm von Funkhaus Europa die italianisierte Form pègida [‚pɛd͡ʒida] mit Affrikate und einer Betonungsverschiebung. Im Unterschied zu Ebola scheint man sich im Niederländischen bei der Betonung sicher zu sein.
Innerhalb der Pegida-Rhetorik fällt noch ein weiteres Exportwort ins Auge: Pegida Vlaanderen schimpft gegen die leugenmedia.
In Deutschland wurde die Lügenpresse gerade zum Unwort des Jahres gewählt. Trotz seiner stark belasteten Vorgeschichte ist dieser Begriff zu einem Eckpfeiler der Pegida-Argumentation geworden und hat es als Lehnübersetzung ins Niederländische geschafft. Vereinzelt findet man im Internet schon lange vor dem Aufkommen von Pegida Spuren der Verwendung von leugenpers oder leugenmedia, aber erst jetzt hat diese Bezeichnung richtig Konjunktur.
In den letzten Wochen hatte auch das Französische mit Je suis Charlie seinen Exportschlager, der unter Pegida-Anhängern mit einem perfiden Spin gut ankam. Ironisch ist es schon: Keiner der Pegida-Leute sieht sich vermutlich als besonders überzeugter Europäer, im Zweifelsfall geht die Nation vor. Und doch sorgen im Moment die nationalistischen Abwehrbewegungen dafür, dass Europa sich sprachlich äußerst kreativ austauscht. Schade, dass das Deutsche ausgerechnet solche Begriffe liefert, die am besten von Grenzkontrollen aufgehalten werden sollten.
Tags: Auf Deutsch, Belgien, Politik
Am 16. März 2015 um 23:29 Uhr
Zum Nachlesen und Nachhören gibt es zu diesem Thema auch einen Beitrag beim MDR.
Am 6. Mai 2015 um 22:48 Uhr
Wie Dresden auf Pegida reagiert – nämlich mit geistreichem Humor – zeigt dieses Foto von Dr. Reinhold Wulff.