Für mein Praktikum bin ich nach Helsinki an ein Forschungsinstitut, in dem eine Vielzahl interdisziplinärer Forschung betrieben werden, gegangen. Hierbei reicht das Spektrum von Geschichtswissenschaften über Philosophie bis hin zur Anthropologie. Das Institut gehört zu einer Universität in Helsinki. Zum einen versteht sich das Institut als interdisziplinäres Forschungsinstitut, zum anderen spielt aber auch die Lehre eine große Rolle. Die Forscher_innen haben zum Großteil auch einen Lehrstuhl oder Lehrauftrag inne und im alltäglichen Austausch innerhalb des Instituts werden die Vereinbarkeit und Kombination von Lehre und Forschung diskutiert und konzipiert. In meinem Projekt wurde ich mit wichtigen Aufgaben betraut. Diese reichten von Übersetzungen und Korrektur von zukünftigen Publikationen des Instituts bis hin zu meiner zentralen Aufgabe: eine eigene Forschung.
Im Vorfeld war mir nicht klar, wie mein Praktikum genau aussehen würde und welche Möglichkeiten mir eröffnet würden. Ich habe den Kontakt zunächst persönlich hergestellt und nachdem mir die Möglichkeit ein Praktikum zu machen erörtert wurde, habe ich Bewerbungsunterlagen und ein ausführliches Motivationsschreiben geschickt. Ich habe sehr schnell eine positive Antwort erhalten, nur das noch nicht klar war, zu welchem Zeitpunkt ich das Praktikum antreten könnte, weil die notwendigen Mittel für die Finanzierung des Praktikums zunächst gesichert werden mussten. Als dann ein Zeitraum feststand habe ich die verbleibende Vorlaufzeit dafür genutzt mich mit der finnischen Sprache und Kultur auseinanderzusetzten und mich schon einmal in die Themen des Instituts einzuarbeiten, um einen möglichst reibungslosen Start ins Praktikum haben zu können. Diese Vorbereitung war rückblickend essentiell für meine schnelle Aufnahme ins Team und hat mir im Endeffekt die Erfahrungsfülle ermöglicht, die aus diesem Praktikum ziehen konnte. Obwohl ich kaum konkrete Erwartungen an das Praktikum hatte, war mir wichtig einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise von Forschungsinstituten zu bekommen und das ist – ganz im Sinne der Anthropologie – in der teilnehmenden Beobachtung am besten möglich.
Mitte Februar bin ich dann also mit ein paar Brocken Finnisch und einer Menge Informationen über die letzten Publikationen des Instituts nach Helsinki geflogen. Meine Wohnung habe ich ein paar Wochen davor über einen Post bei Facebook bekommen. Das hat für mich großes Glück bedeutet. Denn die Wohnungssituation in Helsinki ist nicht nur vergleichbar schwierig mit der in anderen europäischen Hauptstädten, dazu kommen noch die extrem hohen Mieten, die höher sind als in fast allen anderen europäischen Ländern. Die zwei Wochen vor Beginn des Praktikums habe ich genutzt, um mir einen Eindruck von Helsinki zu verschaffen, Organisatorisches zu regeln und nach Lappland zu reisen.
An meinem ersten Arbeitstag kam ich etwas verfrüht am Institut an und habe mir beim Portier meinen Arbeitslaptop, mein Arbeitshandy und meine Chipkarte abgeholt, die mir fast uneingeschränkten Zugang zu den meisten Universitätsgebäuden ermöglicht hat.
An diesem ersten morgen stand zunächst eine Runde durch alle Räume des Instituts an und eine Vorstellung aller anwesenden Mitglieder. Die den Montag morgen gerne als verlängertes Wochenende nutzenden Kolleg_innen habe ich dann im Laufe der Woche kennengelernt. Meine ersten Aufgaben waren die Einarbeitung in die Themen des Instituts, was durch meine Vorbereitung nur wenig Zeit in Anspruch genommen hat und kleinere Übersetzungen vom Deutschen ins Englische für ein Forschungsprojekt, das sich mit europäischen Exilant_innen in den USA auseinandersetzt. Die Aufgaben fielen mir leicht und ich konnte sie schnell und mit hoher Qualität erledigen, was dazu führte, dass ich immer mehr und wichtigere Aufgaben bekommen habe. Ein Highlight meines Praktikums folgte direkt in der Woche darauf. Ein Bericht über Deutschland war in der finalen Phase vor der Veröffentlichung angekommen und mir wurde die Möglichkeit gegeben den Bericht zu lesen, etwaige Lücken ergänzend zu kommentieren und mich kritisch zu dem Bericht zu positionieren. Bei einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur bekam ich die Möglichkeit als Beisitzer zumindest meine Gedanken zu dem Bericht zu äußern.
Durch die naturgemäß projektbasierte Arbeit von Forschungsinstituten wurde mir die Möglichkeit gegeben ein eigenes Forschungsprojekt zu beginnen, was sich über den gesamten Zeitraum meines Praktikums ziehen sollte. Ich war sofort begeistert von der Idee und aufgrund der damals unmittelbaren Problematiken an der türkisch-griechischen Grenze, habe ich mich dafür entschieden, mich mit dem Mechanismus auseinanderzusetzen, der in der Gesellschaft dazu führt, das Menschen sich nicht verantwortlich für andere Menschen außerhalb des eigenen Territoriums fühlen und wo die Grenzen unserer Moral liegen. Das Forschungsprojekt habe ich mit einer intensiven Recherche in alle Richtungen zu dem Thema begonnen und angefangen Umfragen zu erstellen.
Dann kam Corona. Das Corona-Virus stellte mein Praktikum auf den Kopf. Arbeitete ich zunächst jeden Tag 6-7 Stunden im Büro, wurde das Institut von einen Tag auf den anderen geschlossen. Schnell wurde klar, dass die veränderte Situation zwar meine Praktikumserfahrung grundlegend verändern würde (geplante Reisen konnten nicht stattfinden, Konferenzen wurden abgesagt, der Alltag im Büro), aber ich mein Praktikum nichtsdestotrotz zu Ende führen können würde. Die Umstellung auf home office war zum Glück relativ unproblematisch. Da das Arbeiten in einem solchen Institut ja sowieso naturgemäß nahezu rein kognitiv verläuft, war es relativ problemlos den Betrieb auf Zoom Konferenzen umzustellen. Da sich Finnland zu diesem Zeitpunkt auch noch mitten im Semester befand, war eine schnelle Lösung notwendig und die Universität hatte binnen einer Woche alle notwendigen tools etabliert und über Fortbildungen auch den fachgerechten Umgang mit den digitalen Instrumenten schnell vermittelt. So war zu diesem Zeitpunkt nicht das Arbeiten an sich das Problem. Ein akademisches Problem stellte sich mir aber dadurch, dass durch Corona jeglicher Diskurs über Migrations-Thematiken in den Hintergrund gerückt ist und auch meine Umfragen plötzlich einen anderen output hatten, da die durch das Corona-Virus generierte Angst, auch auf andere Teilbereiche des öffentlichen Lebens transferiert worden ist. Ich musste also das Konzept verändern und durch eine Umstellung auf eine etwas theoretisch-philosophische Perspektive konnte ich meine Forschung fortsetzen. Ein anderes Problem war der mangelnde soziale Kontakt. Mir wurde durch Corona die Möglichkeit genommen meine jungen finnischen Freundschaften zu pflegen. So beschränkten sich meine sozialen Interaktionen auf Zoom-Calls mit diversen Kolleg_innen, Freundesgruppen und der Familie und gelegentlichen Abendessen mit meinen Mitbewohner_innen. Im home office habe ich versucht meinen Arbeitsrhythmus beizubehalten. Das hat auch ganz gut funktioniert, außer dass über kürzere Perioden wenig Arbeit zu tun war und ich außer meinem eigenen Projekt nur wenig Ablenkung durch Aufgaben für andere Kolleg_innen Teil meines Alltags war. Während dieser Zeit hatte ich aber immer wieder regen Austausch mit dem Team und es wurde sich regelmäßig nach meinem Befinden erkundigt. Grundsätzlich war die Atmosphäre im Team eine sehr familiäre. Schon nach wenigen Tagen im Job ging ich täglich mit meinen Kolleg_innen zum Mittagessen und nach der Arbeit in der Universitätskneipe, um bei einem Bier weiter über spannende aktuelle Fragen zu diskutieren, aber auch persönliche Gespräche zu führen. Diese Gespräche konnten nach dem „shut-down“ natürlich nicht in der Form fortgesetzt werden; trotzdem trafen wir uns dreimal die Woche in verschiedenen Konstellationen via Zoom, um rein informelle Gespräche zu führen.
Ein weiteres Highlight waren die regelmäßigen Vorträge und Workshops, die teilweise institutsintern, teilweise für alle zugänglich abgehalten wurden und mir viele spannende Einblicke in die Forschungsprojekte verschiedenster Teilbereiche der Universität gegeben haben. Diese Vorträge liefen – in etwas reduzierter Form – auch noch via Stream weiter und waren eine willkommene Abwechslung zum home office Alltag. Zum Ende meiner Arbeitszeit kristallisierte sich immer mehr heraus, dass meine Forschungsarbeit ein so interessantes Resultat erzielen würde, dass ich gefragt wurde, ob ich die Arbeit publizieren wollen würde. Natürlich war ich begeistert von der Idee und begann einen Artikel bzw. ein kurzes Paper über die Resultate meiner Forschung zu schreiben. In diesem Schreibprozess und auch durch die Peer-Reviews meiner Kolleg_innen entstand ein Artikel, der eine für mich bisher unerreichte Dichte aufweist. In einem wissenschaftlichen Blog und einem anderen anthropologischen Magazin wird in Kürze der Artikel in Finnisch und Englisch erscheinen. Das war für mich das persönlich prägendste Erlebnis während des Praktikums und der Spaß am wissenschaftlichen Schreiben wurde noch weiter verstärkt.
Grundsätzlich kann ich sagen, dass trotz der extrem widrigen Umstände mein Praktikum prägend für die Planung meiner weiteren Laufbahn war. Der tiefe Einblick in das Institut hat mir gezeigt, dass das Arbeiten im akademischen Kontext gut zu mir passt und mir Freude bereitet. Dadurch, dass ich meine Fähigkeiten in diesem Gebiet unter Beweis stellen und weiter entwickeln konnte, ist auch ein Selbstbewusstsein im Umgang mit und vor allem in der Produktion von wissenschaftlicher Arbeit entstanden, dass die reine universitäre Lehre in der Tiefe nicht entwickeln kann.
Als Resümee für mich kann ich ziehen, dass ich mir das Praktikum unter den gegebenen Umständen nicht besser hätte vorstellen können. Ich bin mir darüber hinaus sicher, dass der Kontakt nach Helsinki nicht abbrechen wird und ich mir vorstellen könnte für ein weiteres Praktikum oder für einen Job zurück nach Helsinki ans Institut zu gehen. Ich halte es für essentiell wichtig, dass man – sollte man planen im akademischen Bereich zu arbeiten – ein Praktikum macht, das einem das wirklich methodische Arbeiten auf dem jeweiligen Gebiet nahebringt. Trotz Methoden-Modulen und anderen praktischen Übungen ist der Unterschied zwischen Studium und Lehre immens und es ist schwer in einem Seminar als Dozent_in plastisch Erfahrungen aus der eigenen Forschung darzustellen und dabei wirklich den dahinterstehenden Prozess zu illustrieren. Durch den erst kurzen Abstand zum Praktikum ist es schwer einzuschätzen wie viel mich die hier dargestellten Erfahrungen geprägt haben und noch prägen werden, meiner Einschätzung nach aber sicherlich grundlegend.
Tipps für andere Praktikanten
Vorbereitung
Wie bereits beschrieben, war besonders die genaue Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Schwerpunkten der Arbeitsstelle von Vorteil. Eine wirkliche „Einarbeitung“ in die Gepflogenheiten ist für Helsinki nicht wirklich notwendig, allerdings sind ein paar Wörter und Sätze auf Finnisch oder Schwedisch von großem Vorteil. Schwedisch ist die zweite Amtssprache in Finnland und so gut wie alle Straßenschilder aber auch Etiketten im Supermarkt sind zweisprachig. Ansonsten sprechen die meisten Finn_innen sehr gut Englisch und selbst im entlegensten Lappland hatte ich keine Probleme mich zu verständigen.
Wohnungssuche
Für die Wohnungssuche kann ich verschiedene Social Media Plattformen empfehlen. Es gibt einige Gruppen, die extra für Erasmus-Studierende ausgelegt sind.
Sonstiges
Entscheidend ist es, sich rechtzeitig bei der Auslandsstelle um eine Steuer ID zu kümmern.
Ausgehmöglichkeiten
Durch Covid-19 waren meine Ausgehmöglichkeiten stark eingeschränkt. In Helsinki wohnt man jedoch häufig wenige Gehminuten vom Wald, Fjorden und Stränden entfernt, die auch mit social distancing einen Besuch wert sind. Allgemein sollte man sich bei einem längeren Aufenthalt eine Reise nach Lappland nicht entgehen lassen. Nicht nur, dass es dort die Polarlichter zu sehen gibt; in Lappland bzw. dem nördlichen Polarkreis leben die Samen, eine der wenigen europäischen indigenen Gruppen, die auch in der finnischen Politik präsent sind und ein eigenes Parlament haben, in dem sie über Fragen in dieser Region beschließen.
Sonstiges
Entgegen dem Klischee habe ich die Finn_innen als offene und herzliche Menschen kennengelernt. Das kann natürlich viele Gründe haben, allerdings würde ich dazu raten die Information aus Reiseführern zur „finnischen Art“ nicht allzu Ernst zu nehmen.