Anfang des Jahres 2024 absolvierte ich ein Praktikum an der Galerie Tangent Projects in Barcelona, Spanien. Ab dem 15. Januar bis hin zum 15. April arbeitete ich dort überwiegend in der Studio Koordination, wo ich engen Kontakt zu den dort arbeitenden Künstlerinnen aufbaute. Tangent Projects ist eine kuratorische Initiative, die mit Künstler*innen an Ausstellungen und Projekten arbeitet.
Der Kunstraum verfügt über sieben Künstlerateliers und eine Kunstgalerie/Projektraum. Ohne kommerzielle Ausrichtung und mit der Ermutigung zum Experimentieren lädt Tangent Projects Künstler dazu ein, die Umwege und Abweichungen innerhalb ihrer künstlerischen Praxis zu erkunden.
Tangent Projects ist ein unabhängiger, gemeinnütziger Kunstraum in L’Hospitalet de Llobregat, Barcelona, eine besondere Lage, da die Galerie sich somit außerhalb des Zentrum Barcelonas befindet und so einen Gegenpol zu vielen zentralen kommerziellen Galerien bildet.
Der nicht-kommerzielle Ansatz der Galerie und ihre gesetzte Agenda der Inklusion, Diversität und die gezielte Kritik des gegenwärtigen Kunstarchetypus haben mich fasziniert und dazu bewogen mich dort zu bewerben. Diese Ansätze waren bei all den Galerien und Kunstinitiativen, die ich für ein Praktikum in Erwägung gezogen hatte, eine Seltenheit, obwohl sie aktuell enorm wichtig sind.
Zu meinen Erwartungen an dieses Praktikum gehörten die Möglichkeit aktiv an Projekten teilzunehmen, mein Verständnis für die Kunstwelt zu vertiefen und praktische Erfahrungen in einem Umfeld zu sammeln, das meine Werte von Inklusion und kritischer Betrachtung der Kunst unterstützt. Auch die Künstler*innen-Studios haben mich interessiert, ich war gespannt auf den Austausch mit den dort tätigen Künstler*innen. Der Bewerbungsprozess lief hervorragend, der Austausch mit der Direktorin von Tangent Projects Tsering Frykman-Glen war sehr einfach gestaltet, das Ausfüllen aller Dokumente ging schnell und effizient.
Nun mehr zur Galerie, Tangent Projects wurde ursprünglich im November 2015 als nomadisches Projekt gegründet. Anfang 2019 wurde Tangent Projects jedoch zu einem gemeinnützigen Kulturverein unter der Leitung von Tsering Frykman-Glen. Die derzeit dauerhaft ansässigen Atelierkünstler und Vereinsmitglieder sind Rozalina Burkova, Agustina Fioretti, Ajda Kara, Roshni Kavate, Agnes Essonti Luque, Elin Lindecrantz, Maíra das Neves, Sejal Parekh, Thelma Vanahí und Tanya Zommer. Die Vorstandsmitglieder sind Tsering Frykman-Glen (Parodi), Victor Serrano Teixidó und André Parodi.
Die sieben Kunstateliers sind von unterschiedlicher Größe, 6 Ateliers für ständige Atelierkünstler und 1 Atelier für unser Atelieraufenthaltsprogramm (studio residency program) zu dem ich später noch ein paar Worte sage. Als gemeinnütziger Kulturverein und nicht als kommerzielles Unternehmen ist Tangent Projects auf die Künstler ausgerichtet und konzentriert. Sie bieten Künstlern komfortable Atelierräume zu fairen Preisen, in denen sie in einem kreativen und dynamischen Umfeld arbeiten können. Die Galerieleitung knüpft und pflegt Kontakte zu anderen Kunstschaffenden – sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene. So bieten sich für die dort arbeitenden Künstler*innen einige wichtige Anknüpfungspunkte und Karrierechancen. Die an die Galerie Tangent Projects angegliederten Ateliers sind ein fester Bestandteil eines wachsenden und aktiven Netzwerks von Kunstschaffenden. Die Galerie wird für Ausstellungen und Projekte von Meschen mit verschiedenen künstlerischen Hintergründen genutzt.
Um die Leitung bei allem zu unterstützen sind meistens zwei Praktikanten eingestellt.
Zu meinen Aufgaben und Verantwortlichkeiten gehörten zum einen die Aktualisierung und Bearbeitung der Webseite, Dazu gehört unter anderem die Bearbeitung, Formatierung und teilweise Übersetzung kuratorischer Texte.
Zum anderen auch die Vorbereitung und Nachbereitung von Projekten und Ausstellungen, einschließlich dem Auf- und Abhängen von Werken sowie der allgemeinen Installation. Hierbei führen wir Gespräche mit Künstler*innen, um ihre Bedürfnisse und Vorstellungen zu verstehen und die erforderlichen logistischen Schritte zu planen. Nach jeder Ausstellung sorgen wir für die Rückführung des Raums in seinen Normalzustand, einschließlich der Reparatur von Löchern in den Wänden und der Demontierung all der Gegenstände einer Ausstellung. Auch bei Events oder Aktivitäten muss sich um die Gestaltung des Raumes gekümmert werden, da jedes Projekt eigene Ansprüche an den Raum hat (dazu später mehr).
Auch wenn sich meine Arbeit hauptsächlich rund um die Galerie gespielt hat, habe ich zum Teil auch bei der Koordination der Studios mitgeholfen und bei Problemen und Anfragen als Ansprechpartnern gedient. Zum tagtäglichen Ablauf gehörten auch simple Aufgaben, wie das Öffnen der Galerie, das Anschalten aller benötigten technischen Geräte im Galerieraum, das Sauberhalten der Gemeinschaftsbereiche der Studios, falls (und das war oft der Fall) die Studio- Künstler*innen ihr Essen und Geschirr nicht weggeräumt haben. Falls Besucher*innen in die Galerie kamen, diese Begrüßen und ihnen ein Room Sheet anbieten und für Fragen bereitstehen.
Zum Zeitpunkt meiner Ankunft in Barcelona war noch keine andere Praktikantin oder Praktikant vor Ort, mir wurde mitgeteilt dass normalerweise zwei Praktikant*innen gleichzeitig starten, ich war jedoch für mehr als einen Monat allein, da eine Studentin aus London Probleme bei der Wohnungssuche hatte und daher später als geplant ankam. Ganz allein war ich jedoch nicht, denn die Kuratorin Mana Pinto, die das non-exhibition Projekt namens Fluchtpunkt/Vanishing Point 3 mit kuratierte kam alle paar Tage vorbei und arbeitete mit Tsering und mir an der Projektgestaltung und Vorbereitung.
Nun nenne ich einige Beispiele für die bei Tangent Projects standfindenden Projekte. Das bereits erwähnte erste Projekt, an dem ich teilnahm und mitarbeitete begann an dem Tag meiner Anreise mit einem Event bei dem der Künstler Mark Shorter von ihm angefertigten riesige Trompeten vorstellte.
Fluchtpunnkt/Vanishing Point ist ein non-exhibition Projekt bei dem im Laufe von fünf Wochen die Tangent Projects Galerie zu einem Konvergenzpunkt wird wo verschiedene Projekte in einem
`Fluchtpunkt` zusammentreffen und einen Raum für Möglichkeiten schaffen. Dieses Projects hat mir sehr gefallen, unteranderem weil es für mich bedeutete, dass jeden Tag was neues passierte und ich immer auch mit den Künstlerinnen im Gespräch war und aktiv war. Das Projekt war folgendermaßen aufgebaut, jede zweite Woche gab es Mittwochs eine activity zum Beispiel Workshops, Künstler*innentreffen, Reden, Präsentationen, Vorstellungen und ähnliches. An jedem zweiten Freitag gab es Events, bei welchen unterschiedliche Künstler*innen zusammen oder allein etwas veranstaltet haben, war zur Community beiträgt und bereichernd für sie selbst und für alle Teilnehmer*innen ist. Zu den Künstler*innen gehörten Augustina Fiorretti, Ajda Kara und Elin Lindecrantz, elisa ortega montilla und Javiera Luisiana Cádiz Bedini, Segal Parekh, Lucia Retamar, Mark Shorter, Dimitra Stavropoulou, Tanya Zommer und Kevin Maguire.
Nach diesem Projekt folgte am 1. März die Ausstellung Bird of Shape – A Non-Solo of Ivy Ma in association with Carol Chow, Man Mei To and June Wong, kuratiert von Jamsen Law. Zusammen bilden sie das Kollektiv nProjekt welches Hong Kongs lebendige Kunstszene auf der globalen Kunstcommunity verbinden möchte. Anschließend folgte das End of Residency Project der Künstlerinnen Anna Andrzhievskaia und Dimitra Stravropoulou namens On the way. Hier stellen die Künstler*innen die in den drei Monaten Studio Residency entstandenen Werke vor, begleitet wird dieses Project immer mit einem Zine (Magazin) welches in Koordination mit den Praktikant*innen hergestellt wird in diesem Fall mit mir und Ruby Ray. Darauf folgte die Ausstellung Hurgar Hogar von Marina Rubio, bei der ich nur in der Vorbereitung beteiligt war, da die Ausstellungseröffnung am 19. April stattfand, vier Tage nach Ende meines Praktikums.
Da ich bis zu diesem Punkt noch nie in der professionellen Kunstszene gearbeitet hatte, war das Praktikum für mich ein großer Schritt ins Ungewisse. Schon als ich noch in Berlin war, war ich aufgeregt und gespannt auf meinen Aufenthalt in Barcelona und die Arbeit die ich bei Tangent Projects machen würde. Von Praktikumsstellen hörte ich oft schlechtes, entweder werden die Leute als billige Arbeitskräfte ausgenutzt und überfordert oder haben keine wichtigen Aufgaben, dürfen nur Kaffee machen und rumgammeln. Die Spannung war somit hoch, wie es für mich bei Tangent Projects aussehen würde. Nach diesen vergangenen drei Monaten kann ich mit Überzeugung sagen, dass meine Ängste unberechtigt waren. Die Tangent Projects Gemeinschaft und vor allem Tsering Frykman-Glen machten dieses Praktikum zu einer unvergesslichen Erfahrung. Tsering gab mir viel Verantwortung, half mir jedoch immer beim Erlernen neuer Fähigkeiten, ließ mir, aber auch den nötigen Freiraum etwas selbst zu erlernen und Probleme selbst zu lösen. Trotzdem hatte sie immer genaue Vorstellungen von vielen Dingen und überprüfte alles. Von ihr habe ich gelernt wie viel Detail hinter jedem Projekt, jedem Text und jedem Plan steckt. Insgesamt war ich intensiv planerisch, recherchierend oder organisatorisch tätig und in Projekte eingebunden.
Zu den wichtigsten Erfahrungen gehörten für mich die Einblicke in die Kunstszene, da wir auch oft alle zusammen zu Ausstellungseröffnungen und Museen gegangen sind konnte ich mir die lokale Kunstszene Barcelonas schnell erschließen, aber auch im globalen Kontext war der Austausch mit meiner Chefin unglaublich bereichernd, durch ihren kritischen Blick auf die Kunstwelt und ihr langjährige Erfahrung. Dazu kommt der Standort, Barcelona ist bekannt für seine kulturelle Vielfalt, durch das Praktikum hatte ich die Möglichkeit mit Künstler*innen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen zusammenzuarbeiten und ihre perspektiven kennenzulernen.
Das schon angeschnittene Thema, Projektmanagement, die Organisierung und Durchführung von Ausstellungen und Veranstaltungen, ich habe nun eine genaue Idee davon was nötig ist um diese zu realisieren und wo man auch seinen moralischen Standpunkt sehen sollte. Das arbeiten in einem kreativen Umfeld kann schnell, durch Konkurrenzdenken toxisch werden, wie also die Rahmenbedingungen von der Galerie/Studioleitung gesetzt werden ist entscheidend. Zusätzlich habe ich gelernt effektiv mit Künstlerinnen, Galerieleitern und Besuchern zu kommunizieren und den richtigen Umgang zu finden. Hier ist mir aufgefallen, dass ein großer Unterschied in der englischen und deutschen Sprache existiert, genauer ausgedrückt, die Engländer drücken sich sehr viel höflicher und liebevoller aus. Das bedeutete dass ich meinen Sprachgebrauch schnell anpassen musste um nicht unfreundlich zu wirken. Ich begann also sie zu imitieren und es wurde schnell zur Gewohnheit in dieser für mich anfangs übertrieben höflichen Art zu reden. Jetzt nach drei Monaten habe ich mich an diesen Umgang gewöhnt und bin etwas überfordert von der Direktheit der Deutschen.
Vor dem Praktikum war ich auch sehr gespannt auch die kuratorische Praxis und wie diese bei Tangent Projects aussieht. Zu meiner Begeisterung wurde auch nach meiner Meinung gefragt bei der Installation von Werken und anderem. Istallationswochen waren dementsprechend immer sehr interessant und lehrend. Spannend war auch wie unvorhersehbar die Kunstwelt ist, man lernt flexibel zu seien und sich an Veränderungen anzupassen, genauso bildet man eben auch eine Konstante für die Künstler*innen, die oft nicht sonderlich organisiert sind. Das Praktikum konnte mir auch einige Fragen zu meinem eigenen Werdegang beantworten. Einige Fragen sind jedoch noch offen, will ich wirklich in der Kunstszene arbeiten? Möchte ich doch selbst Kunst schaffen aber dabei ein Leben der finanziellen Ungewissheit riskieren? Stehe ich moralisch hinter der kommerziellen Seite der Kunst?
Das Praktikum bei Tangent Projects hat mich zwar näher an Antworten, aber auch stärker zum Nachdenken gebracht. Der Austausch mit den Künstler*innen vor Ort hat mir auch die Vielfältigkeit des Kunstschaffens nah gebracht. In dem Umfeld, in dem ich mich in Berlin bewege, existiert immer nur eine gewisse Form der Kunst. In Barcelona habe ich gelernt, dass es auch andere Formen des Kunstschaffens gibt, wie zum Beispiel auf Recherche und Forschung basierte Kunst. Oder interaktive Kunst, wo die Kunst nicht in materieller Form, sondern in einem kollektiven Potenzial existiert. Obwohl ich mich eigentlich auf den kuratorischen und organisatorischen Hintergrund der Kunstszene konzentrieren wollte habe ich so also auch persönliche künstlerische Inspiration in den drei Monaten gesammelt und bin gespannt wie sich diese in meine eigenes künstlerisches Schaffen einbauen wird.
Die wohl bedeutendste Erfahrung, die ich in der Zeit gemacht habe und worüber ich am meisten gelernt habe, ist die Bedeutung von Nonprofit-Arbeit. Nonprofit-Galerien und Studios bieten oft einen breiteren Zugang zur Kunst für die Öffentlichkeit, unabhängig von deren finanziellen Möglichkeiten. Sie können kostenlose Ausstellungen, Workshops und Veranstaltungen anbieten, die Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten ansprechen. Diese Art von Institutionen legen oft einen starken Fokus auf Vielfalt und Inklusion, sowohl in Bezug auf die Künstlerinnen, deren Werke gezeigt werden, als auch auf das Publikum, das sie erreichen möchten. Tangent Projects als Galerie- und Studioraum hat die Freiheit, kritischere und experimentellere Kunst zu fördern, die von kommerziellen Galerien gemieden wird. Dies ermöglicht es Künstlerinnen, sich auszudrücken und Themen anzusprechen, die in der Mainstream-Kunstszene möglicherweise unterrepräsentiert sind. Das Arbeiten in einem solchen Umfeld ist also nicht von Geld getrieben, sondern von Überzeugung. Ich habe gelernt, dass Geld zwar vieles ermöglichen kann, aber die Motivation der Menschen nicht vom Geld, sondern von ihrer eigenen Leidenschaft und ihrem Enthusiasmus kommt.
Das Praktikum hat meine berufliche Entwicklung in dem Sinne beeinflusst, dass ich mir ein kritisches Verständnis der Kunstszene angeeignet habe und dies aus einer Perspektive außerhalb von Deutschland. Nicht nur das Praktikum, sondern auch die damit verbundene spanische und katalanische Kultur und Lebensart. Ich möchte die in Spanien und bei Tangent Projects herrschende Offenheit und hilfsbereite Einstellung der Menschen nicht nur auf meine Karriere, sondern auch auf mein Leben beziehen. Ich habe in dieser Zeit Kontakte geknüpft, die ein Leben lang halten und auch ein Potenzial für Zusammenarbeit bilden. Das Praktikum hat mich aber auch hinsichtlich meiner Berufswahl ermutigt in die Kunstszene einzutreten, denn meiner Meinung nach habe ich die nötigen kommunikativen Kompetenzen und jetzt auch Wissen über logistische und organisatorische Ansprüche. Mich hat jedoch auch die durch fehlende finanzielle Mittel ein herkommende Ungewissheit und auch Ungerechtigkeit in dieser Branche abgeschreckt. Die kritischen Perspektiven und positiven Eindrücke und Verbindungen, die man bei Tangent Projects bekommt sind die ausschlagenden Argumente warum ich ein Praktikum in dieser Institution jedem empfehlen würde der Interesse an Nonprofit-Projekten hat und auch mal mit anpacken will.
Tipps für andere Praktikant:innen
Vorbereitung
Eigentlich war alles sehr einfach aber geh am besten eine Woche früher nach Barcelona, weil man sonst die erste Woche sehr überfordert ist.
Beantragung Visum
Brauchte ich nicht, war EU
Praktikumssuche
War hart in Spanien, weil man immer Spanisch/Catalan sprechen muss.
Wohnungssuche
War relativ einfach, weil ich im Kontakt mit Erasmusstudent*innen dort war.
Versicherung
Kann ich nicht viel zu sagen, ist immer unterschiedlich
Ausgehmöglichkeiten
Gibt es total viele in Barcelona aber das coole ist, dass alles sehr nah aneinander ist. Deshalb sind Bartouren sehr spaßig.