In der Zeit von Mitte September bis Mitte Dezember 2021 habe ich ein Forschungspraktikum in Toulouse absolviert. Dieses dreimonatige Praktikum für 15 LP war im Studienverlauf meines Masterstudiums im Fach Chemie vorgesehen, ich verbrachte damit also den Großteil meines dritten Mastersemesters in Frankreich.
Das Labor für Koordinationschemie ist zwar ein eigenständiges, staatlich gefördertes Institut, steht aber in enger Zusammenarbeit mit der Université Toulouse III – Paul Sabatier und befindet sich auf dem gegenüberliegenden Campus, wodurch ein reges Kommen und Gehen Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen und Semester innerhalb des Instituts gewährleistet war. Den Wunsch, eines meiner Forschungspraktika innerhalb des Masters im Ausland zu absolvieren, hegte ich schon länger, wobei sich Frankreich in meinem Fall besonders anbot, da ich bereits seit der Schulzeit über gute Französischkenntnisse verfüge. Über eine Empfehlung eines meiner Professoren in Berlin stieß ich auf die zahlreichen Chemieinstitute in Toulouse und reichte eine Initiativbewerbung in der Forschungsgruppe ein, deren Chemie mich am meisten interessierte. Da ich innerhalb weniger Tage eine Zusage erhielt, konnte ich zügig mit der Beantragung der Erasmus+ Förderung beginnen, sowie meinen Antrag auf ein Forschungspraktikum im Prüfungsbüro einreichen, wobei ein*e Professor*in der FU als Mitbetreuer*in gefunden werden musste.
Unterkunft
Die anschließende Wohnungssuche stellte sich als deutlich schwieriger heraus. Da ich nur 3 Monate in Toulouse sein würde, konnte ich mich weder auf ein Zimmer in einem der Studierendenwohnheime bewerben, noch fand ich eine WG, die bereit gewesen wäre, für solch einen kurzen Zeitraum eine neue Mitbewohnerin aufzunehmen. Zusätzlich fängt in Frankreich das Wintersemester bereits im September an, ich suchte also zeitgleich mit all den neuankommenden Studierenden eine Unterkunft. Über Airbnb fand ich schließlich eine sehr liebe Gastfamilie, mit der ich mehrmals im Voraus telefonierte und vereinbarte, die ersten 3 Wochen über die Website zu buchen und dann, wenn alles gut funktioniert, eine neue Miete unter uns auszumachen. Grundsätzlich dürfte die Wohnungssuche im Falle eines Aufenthalts von über 6 Monaten wesentlich leichter sein, da dies sowohl die zeitliche Untergrenze zur Bewerbung auf die Wohnheime darstellte als auch als Mindestmietdauer der überwiegenden Zahl an WG-Angeboten angegeben wurde. Trotzdem ist der Wohnungsmarkt in Toulouse für Studenten ähnlich angespannt wie in Berlin, man sollte sich also möglichst früh um eine Unterkunft bemühen und muss mit teils deutlich höheren Mieten rechnen, abhängig von der Wahl des Bezirks (mit einer Miete von bis zu 650€ für ein WG-Zimmer sollte durchaus gerechnet werden, die Studierendenwohnheime sind dagegen deutlich günstiger). Capitole, Carmes und Saint-Aubin sind die zentralsten und damit teuersten Bezirke der Stadt, da Toulouse aber über sehr gute Anbindungen verfügt und gemessen an Berlin sehr klein ist, ist man auch ausgehend von den weniger zentralen Gegenden noch innerhalb von 10 – 20 min wieder in der Innenstadt.
Praktikum und Lernerfolg
Der Campus liegt im Stadtteil Rangueil südlich des Zentrums, ich wohnte nur 10 min mit dem Bus davon entfernt, wobei die Uni auch über eine eigene U-Bahnstation und sogar eine station téléo verfügt, eine öffentliche Gondelbahn, mit der man die Garonne (Fluss) überqueren kann, die die Stadt in zwei Teile teilt. Die Chemie-Arbeitsgruppen in Frankreich sind bezüglich der Mitarbeiter sehr unterschiedlich zu den deutschen aufgebaut, es gibt sehr viele festangestellte wissenschaftliche Mitarbeitende und vergleichsweise wenige Doktorand*innen, außerdem sind die Professor*innen nicht zwingend die Arbeitsgruppenleitenden und die Hierarchien sind allgemein sehr flach. An meinem ersten Arbeitstag wurde mir sofort das Du von allen Mitarbeitenden angeboten und die Betreuung erfolgte von allen ein Bisschen, gerade an diesen Umstand musste ich mich erst gewöhnen, da ich es aus Berlin gewohnt war, mit Fragen immer nur zu meinem eigentlichen Betreuer zu gehen. Die Chemiestudenten werden in Frankreich deutlich mehr an die Hand genommen als bei uns, beispielsweise sind jegliche Praktika auf denselben Zeitraum getaktet und werden gemeinsam geplant, was leider dazu führte, dass während meines Aufenthalts keine Studenten in meiner Arbeitsgruppe gearbeitet haben. Um hier leichter Anschluss zu finden, würde sich ein Praktikum zwischen Januar und Juli mehr anbieten, da in dieser Zeit alle Masterstudenten ihre Masterarbeiten in den Instituten absolvieren. Andererseits sind die Mitarbeitenden durch diese engmaschige Betreuung sehr um einen bemüht und eher mit unseren Mentor*innen als Professor*innen zu vergleichen, ich habe mich also schnell sehr gut aufgehoben und versorgt gefühlt. Über die Universität Paul Sabatier und ihre Angebote kann ich leider keine Auskunft geben, da ich außer für einige Messungen nie auf dem Campus war, die Studierenden wirkten aber grundsätzlich alle ähnlich zufrieden mit dem Chemie-Studiengang wie an der FU und durch den sehr geregelten Ablauf könnte ich mir vorstellen, dass sich ein ganzes Austauschsemester recht einfach gestalten dürfte. Der Arbeitsanspruch, die Ausstattung des Instituts und das fachliche Niveau vor Ort waren sehr vergleichbar mit denen in Deutschland, wobei ich allerdings deutlich mehr praktische Erfahrung aus dem Labor verglichen mit meinen Kommilitonen in Frankreich mitbrachte. Anfangs wurde mir also noch sehr viel über die Schulter geguckt, ich konnte dann aber schnell wieder selbstständig arbeiten und mein Projekt eigenständig planen, wobei mir aber bei Fragen immer alle Türen offenstanden.
Während meiner Zeit konnte ich zahlreiche neue Kontakte knüpfen, gerade durch die flachen Hierarchien kam ich oft auch mit älteren wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Professor*innen ins Gespräch, wodurch ich nun wichtige neue Verbindungen zu Arbeitsgruppen verschiedener Universitäten und Länder gewonnen habe. Mein Französisch hat sich während meines Aufenthalts deutlich verbessert, da meines Empfindens nach wesentlich weniger Englisch gesprochen wurde, als am Chemieinstitut in Berlin, gleichzeitig waren dafür aber die vertretenen Nationen sehr divers, was natürlich einen interessanten kulturellen Einblick gab. Wer nur über geringe Französischkenntnisse verfügt, könnte sich allerdings schnell ausgeschlossen fühlen, da gerade die Studierenden eher schlecht Englisch sprachen und dementsprechend lieber in frankofoner Gesellschaft blieben. Da ich mein Praktikum allerdings außerhalb eines festen Erasmus-Programms und sehr auf eigene Faust geplant hatte, könnte ich mir vorstellen, dass sich der Anschluss normalerweise einfacher gestaltet.
Alltag und Freizeit
Toulouse ist eine sehr gepflegte, typisch mediterrane Stadt mit einer wunderschönen Altstadt, vielen Parks und vor allem einer langen Promenade entlang der Garonne und dem Canal du Midi, die zum Spazieren, Joggen und Picknicken einlädt und jeden Abend zahlreiche Studierende um den Place Saint-Pierre herum anlockt. Wer aus Berlin kommt wird fast schon schockiert angesichts der Freundlichkeit der Toulousains sein, mir wurde überall mit einer umwerfenden Hilfsbereitschaft und Fröhlichkeit begegnet, was jeden Ausflug gleich noch schöner machte. Die Stadt ist randvoll mit Museen, Kirchen, Ausstellungen, regelmäßigen Märkten, Sport- und Kulturveranstaltungen und wer zufällig im Oktober da ist, kann während der „semaine des étudiants“ vieles davon zu reduzierten Preisen entdecken. Grundsätzlich werden alle Studierende unter 26 erstaunlich viel gefördert, der ÖPNV kostet mit einer Carte Pastel nur 10€ monatlich, die Zugtickets in die umliegenden Städte wie Bordeaux, Carcassonne, Albi oder in die Pyrenäen sind deutlich reduziert und sogar in einigen Supermärkten bekommt man bei Vorlage seines Studierendenausweises Rabatte auf seine Einkäufe. Über eine studentische Hilfskraft in meiner Arbeitsgruppe habe ich schnell Anschluss an die Fachschaftsinitiative des Chemieinstituts gefunden, die regelmäßig Events wie Spielabende, Pub Crawls, Schlittschuhlaufen, Escape Rooms, Kochabende usw. organisiert haben, aber auch davon abgesehen ist in den Bars der Innenstadt immer etwas los und es herrschte immer eine sehr gesellige Atmosphäre, langweilig wird es also wirklich nie. Vor allem wer gerne in der Natur ist, kommt durch die Nähe zu den Bergen definitiv nicht zu kurz und kann regelmäßig wandern, klettern oder Kanufahren gehen, im Winter sind auch diverse Skigebiete nicht weit. Zusätzlich sind im Sommer sowohl der Atlantik, als auch das Mittelmeer mit dem Auto oder TGV innerhalb einiger Stunden erreicht und die Städte auf dem Weg dorthin sind alle einen Abstecher wert. Durch die südliche Lage ist das Wetter das ganze Jahr über wesentlich besser als in Berlin, was sich natürlich ebenfalls positiv auf die Laune und Unternehmungslust ausübt und für mich, kombiniert mit all den oben genannten Faktoren, zu einem rundum spannenden, fröhlichen und vielfältigen Aufenthalt beitrug. Durch die Pandemie waren einige Unternehmungsmöglichkeiten etwas eingeschränkt, aber nicht so sehr, wie ich befürchtet hatte.
Zusätzliche Kosten und Sonstiges
Die Lebensmittel sind in Toulouse deutlich teurer als in Berlin und das Angebot natürlich etwas geringer, es lohnt sich demnach sehr, immer mal wieder einen Wochenmarkt zu besuchen und überwiegend selbst zu kochen. Wie bereits beschrieben, könnte auch die Miete höher ausfallen, und auch Bars und Restaurants sind etwas teurer, wenn auch nicht viel. Wer gut recherchiert kann aber als Student sehr viele Rabatte erhalten und Ausflüge dementsprechend planen, die Erasmus+ Förderung deckt also definitiv einen großen Teil der Kosten. Nichtsdestotrotz sollte man über Erspartes/Unterhalt/weitere Stipendien o.Ä. verfügen, um nicht bei den Freizeitaktivitäten Abstriche machen zu müssen.
Das Klischee der verschlossenen Franzosen wurde meines Erachtens eher widerlegt als bestätigt, wobei es wahrscheinlich sehr darauf ankommt, in welchem Kontext und mit welchem Sprachlevel man ankommt. Grundsätzlich gab es für mich aber nichts, was ich besonders schwierig oder abschreckend empfand, vielmehr gewöhnt man sich schnell an die etwas gemütlichere Einstellung der Leute und kann sich mal von der deutschen Striktheit lösen, ich hoffe, dass mir das noch eine Weile erhalten bleibt.
Sowohl für ein Forschungspraktikum wie das meine, als auch ein ganzes Austauschsemester oder -jahr kann ich Toulouse nur wärmstens empfehlen, an sich würde ich einen Zeitraum über zwei Semester empfehlen, um einmal alle Jahreszeiten in den Bergen erleben zu können und vor allem viel Zeit zu haben, sich richtig einzuleben und die Stadt zu erkunden. Wer also eine bunte Mischung aus Kultur, Studenten-/Nachtleben und Natur sucht, ist in Toulouse genau richtig, und alleine die vielen tollen neuen Menschen, die ich dort kennengelernt habe, haben mein Erasmus Praktikum für mich zu einer unglaublich wertvollen Erfahrung gemacht.