Der 21. Februar ist laut UNESCO Internationaler Tag der Muttersprache. Zum 20. Mal feiert die UNESCO damit die sprachliche Diversität. Im Fokus stehen dieses Jahr insbesondere indigene Sprachen, die durch die Verbreitung von Nationalsprachen vom Aussterben bedroht sind. Nicht selten wird Muttersprache jedoch nicht etwa mit indigenen Sprachen, sondern vielmehr mit offiziellen Nationalsprachen in Verbindung gebracht. „Unsere Muttersprache“[1] heißt eine Lehrbuchreihe für den Deutschunterricht in der Grundschule und Sekundarstufe in Berlin und Brandenburg. Angeboten werden die Bücher für den Einsatz in Schulklassen, in denen gewiss zahlreiche Schüler*innen Deutsch nicht als Muttersprache bezeichnen würden, wenngleich viele von ihnen Deutsch als eine ihrer Erstsprachen erlernt haben. Im Amtsdeutsch der Bildungsverwaltung bleiben sie sogenannte Schüler*innen „nicht-deutscher Herkunftssprache“. Der Begriff der „Muttersprache“ ist – wie das Wort „unsere“ im Titel des erwähnten Lehrbuchs deutlich macht – zumindest im deutschen Sprachgebrauch häufig verbunden mit Prozessen der In- und Exklusion. Die Vorstellung von deutscher „Muttersprache“ als quasi natürlicher Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einer „nationalen Gemeinschaft“ ist in Deutschland tief verwurzelt. Wie die Mehrsprachigkeit im Kaiserreich über das Bildungssystem aus deutschen Klassenzimmern und damit aus der Vorstellungswelt verdrängt wurde, hat Ingrid Gogolin eindrucksvoll in ihrer Studie „Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule“[2] dargestellt.
„Muttersprache“ – der Begriff ist auch aus feministischer Sicht nicht unproblematisch, geht er doch einher mit der Vorstellung, dass Sprache vor allem über die Mutter vermittelt wird, die – so die Assoziation – sich am heimischen Herd um die Kinder kümmert, während der Vater arbeiten geht und wenn nötig das „Vaterland“ verteidigt. „Vaterland“? Auch dies ist ein problematischer Begriff, der daran erinnert, dass die deutsche Staatsangehörigkeit bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts nur über den Vater weitergegeben wurde (mit Ausnahme von Kindern unverheirateter Mütter).
Doch zurück zur „Muttersprache“: Welche Sprache sprechen demnach Kinder, die bei ihren Vätern aufwachsen? Sind Kinder auch deutscher Muttersprache, wenn nur der Vater Deutsch spricht? Wie bezeichnet man Sprecher*innen, die mit Sprachen aufwachsen, die nicht ihre „Muttersprachen“ sind? Und welches Frauenbild transportiert der Begriff der „Muttersprache“? Wir plädieren dafür, den Begriff „Muttersprache“ durch den von Linguisten verwendeten Begriff „Erstsprache(n)“ zu ersetzen.
Mit der Unesco feiern wir die Diversität der Sprachen – und hoffen, dass sich Diversität immer mehr auch in der Sprache abbildet.
[1] Reihe „Unsere Muttersprache“ Cornelsen Verlag, https://www.cornelsen.de/reihen/unsere-muttersprache-220000990000
[2] Gogolin, Ingrid (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster: Waxmann Verlag.