Am 26. April 2021 um 10 h versammelten sich zahlreiche Frauen und wenige Männer der FU vor dem Bildschirm, eingeladen vom Team Zentrale Frauenbeauftragte und Vizepräsidentin Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott, zu einer Podiumsdiskussion zum Spagat zwischen Studium, Beruf, Home-Schooling und Kitas im Notbetrieb. FU-Präsident Prof. Dr. Günther Ziegler und Vertreterinnen aller Statusgruppen (Teilnehmende) diskutierten mit Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.
Eine Zusammenfassung.
Ziel der Veranstaltung war es, über die Auswirkungen der aktuellen Lebensbedingungen auf die Chancengleichheit in der Wissenschaft zu informieren und gleichzeitig ganz konkrete Maßnahmen zu diskutieren, die die FU ergreifen kann, um die Studien- und Arbeitsbedingungen für Hochschulangehörige mit Familienaufgaben in der Pandemie zu verbessern.
Den Aufschlag machte Prof. Dr. Jutta Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung) mit einem konzisen Kurzreferat, in dem sie die heutige Situation von Wissenschaftlerinnen mit der Situation im Jahr 2019 verglich und dann eine ganze Liste an konkreten Vorschlägen lieferte, die anschließend von den übrigen Teilnehmenden noch ergänzt wurden.
Zur aktuellen Situation ist Folgendes zu konstatieren:
- Cooling out: War es auch 2019 noch zu beobachten, dass Frauen weit häufiger als Männer nicht nur nach der Promotion, sondern auch nach der Einstellung als Professorinnen „aufgaben“ (und die Wissenschaft verlassen haben), so ist aktuell angesichts der massiven Überbelastung und Erschöpfung vieler Wissenschaftlerinnen mit zu betreuenden Kindern eine Verstärkung dieser Tendenz zu befürchten. Dies wird verstärkt …
(a) durch eine Re-Traditionalisierung (verstärkt überproportional hohe Übernahme an Familienaufgaben durch Frauen),
(b) durch die vergleichsweise Mehrbelastung mit Gremienarbeit von Frauen in der Wissenschaft allgemein,
(c) durch die Tendenz von Frauen, mehr Zeit in die Lehre zu stecken (dies gilt nun erst recht bei der Online-Lehre),
(d) durch die verstärkte Übernahme von Transfertätigkeiten durch Frauen (Öffentlichkeitsarbeit) .
Diese Feststellungen von wissenschaftlicher Seite wurden durch die autobiografischen Berichte der Diskussionsteilnehmerinnen plastisch bestätigt, die u.a. ihre konkrete Situation als Wissenschaftlerinnen bzw. Studierende mit Kindern schilderten. Sie machten deutlich, dass sie sich – nach Jahren des anstrengenden, aber erfolgreichen Jonglierens mit Familien- und Berufsaufgaben – zum ersten Mal fragen: „Warum das alles?“ - Während das Coronajahr für Wissenschaftler*innen ohne Kinder oder Care-Verpflichtungen z.T. mit einer enormen Produktivitätssteigerung einherging (gemessen in Einreichungen und erfolgreichen Publikationen), berichten Eltern in dieser Gruppe von massiven Einbrüchen, wie Prof. Dr. Allmendinger erläuterte.
Was hilft?
Allgemeine Maßnahmen:
- Dem Wissenschaftszeitgesetz zufolge können befristete Qualifizierungsstellen bis zu 12 Monate zusätzlich verlängert werden. Im 2. Berliner Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie für den Hochschulbereich wurden die Qualifizierungsstellen im wissenschaftlichen Mittelbau „vergessen“; die FU könnte das Wissenschaftszeitgesetz (da Gesetz auf Bundesebene) jedoch dennoch auch auf diese Stellen anwenden.
- Ein Konzept für Abschluss- und Übergangsstipendien könnte entwickelt werden, um diejenigen unterstützen zu können, die aktuell keinen Arbeitsvertrag haben, aber finanzielle Unterstützung brauchen, um ihre Abschlussarbeiten oder Promotionen zuendezubringen.
- Mehr- oder Entlastungsprozesse im Coronazeitfenster sollten im künftigen Berufungsgeschehen berücksichtigt werden. (Diese Maßnahme wurde kontrovers diskutiert; einerseits wurde für mehr Offenheit plädiert; andererseits wurde davor gewarnt, dass Elternzeiten nach wie vor letztlich nachteilig ausgelegt würden.)
Konkrete Sofortmaßnahmen für Betroffene
- Befristete Arbeitsverträge sollten verlängert werden.
Hier wurde zudem darauf hingewiesen, dass gerade in den Situationen (Drittmittel), in denen aktuell keine solche Finanzierung gewährt wird, dringender Handlungsbedarf („jetzt!“) besteht. - Deputatsreduktionen (ggf. kompensiert durch Lehraufträge), um die Belastung zu reduzieren und Zeit für Qualifikationstätigkeiten zu schaffen
- Voucher/Zuschüsse für „ungestörte Räume“ (etwa in Hotels)
- Zuschüsse für haushaltsnahe Leistungen
(Putzen, Kochen, Nachhilfe, Kinderbetreuung) - zusätzliches Personal, d.h. studierende Hilfskräfte (Unterstützung bei der Lehre und bei Forschungsaufgaben) sowie weitere Stellen für Öffentlichkeitsarbeit (Wissenschaftstransfer)
- ggf. präferierter Laborzugang
- Anpassung von Beratungsangeboten (Offline-Formate, Live-Beratungszeiten auch spät abends)
- flexible Lehrangebote (Kombination von synchronen und asynchronen Konzepten)
Was die FU aus diesen Vorschlägen macht, wird sich zeigen; neben den Gleichstellungsmitteln bilden sicherlich auch die aktuellen Verhandlungen zu den Zielvereinbarungen einen guten Ausgangspunkt, diese Vorschläge zu realisieren.
Umdenken – auch nach der Pandemie
Es wurde zudem deutlich, dass ein umfassendes Umdenken nach der Pandemie erforderlich ist und dass das vergangene Jahr ganz sicher nicht einfach ad acta gelegt werden kann, sondern dass einerseits mit vielfältigen Nachwirkungen zu rechnen ist. So zeigt etwa der Umstand, dass Mitarbeitende aktuell zunehmend von einer grundlegenden Erschöpfung und Überlastung berichten, auch diejenigen, die sich bisher als psychisch stabil und sehr belastbar erwiesen haben. Andererseits sollten die Lessons learned unbedingt in diese Zeit „danach“ mitgenommen werden. Wir brauchen ein Umdenken und Nachdenken darüber, wie wir diese Benachteiligungen (auch unabhängig von Corona) berücksichtigen können und ob Schnelligkeit ernsthaft ein belastbares Gütekriterium ist. Wissenschaftler*innen und Studierende mit Kindern wollen beides: Zeit für Kinder und Zeit für ihre berufliche Entwicklung – sie können aber eben nicht hexen und sind doch ein Plus für die FU.