Mehr Home-Office? Auf die Bedingungen kommt es an!

Mehr Home-Office?

„Mehr Home-Office“, „flexiblere Wahl des Arbeitsorts“ und „flexiblere Einteilung der Arbeitszeit“ – das waren die in unserer Umfrage mit Abstand am meisten genannten Antworten auf die Frage, was in die Zeit nach Corona gerettet werden sollte. Oftmals wurden in diesem Zusammenhang die Zeitersparnis durch den Wegfall des Anfahrtsweges, manchmal verbunden mit Umweltaspekten, mehr Effizienz und konzentrierteres Arbeiten, vor allem aber die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt.

Besonders häufig wurde der Wunsch nach mehr Home-Office und Flexibilisierung dabei von der Statusgruppe der „Sonstigen Mitarbeiter*innen“ genannt. Aber auch Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen wünschten deutlich mehr Flexibilität. Doch es gab auch andere Stimmen. Unter Belastungen wurden häufiger mangelnde Struktur und fehlende Trennung von Privatleben und Beruf beklagt. Zur Herausforderung wurde das Home-Office im Lockdown für Familien, die von Kita- und Schulschließungen betroffen waren. Dieser Punkt wurde, wenig überraschend, besonders häufig von Frauen genannt.[1]  Zugleich merkten einige jedoch auch positiv an, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. In einigen Fällen mangelte es an geeigneten Räumlichkeiten, seltener an Ausstattung, ergonomischer Gestaltung des Arbeitsplatzes und/oder einer stabilen Internetverbindung. Ungleiche Aufgabenverteilung und Möglichkeiten des Arbeitens im Home-Office wurden ebenfalls genannt. Vermisst wurde aber vor allem und von Seiten der Mitarbeiter*innen der Austausch und Kontakt zu den Kolleg*innen. Hier wurden besonders auch die spontanen Flurgespräche und der informelle Plausch beim Essen oder am Kaffeeautomaten genannt, welche sich nicht durch Videokonferenzen ersetzen lassen. Auch der face-to-face Kontakt zu Studierenden wurde vermisst, wie auch ganz generell, auch von Studierenden, das „Uni-Feeling“.

Das verordnete Home-Office unter Pandemiebedingungen wird insgesamt als ambivalent wahrgenommen. Dennoch wünschen sich viele die Möglichkeit, für den – hoffentlich in absehbarer Zeit wieder eintretenden – Normalbetrieb mehr Flexibilität bei der Wahl von Arbeitsort und -zeit.

Mehr Flexibilität.

Mehr Flexibilität ist vermutlich auch in der neuen Dienstvereinbarung „DV Flex“ vorgesehen, die ab dem 1. Januar 2021 die bisherige „DV Alternierende Telearbeit und mobiles Arbeiten“ ersetzen sollte.[2]

Was ist Telearbeit?
Nach der zum 31. Dezember 2020 vom Präsidium gekündigten Vereinbarung[3] konnten Mitarbeiter*innen auf Antrag bis zu 40 % der Arbeitszeit als Telearbeit zu verrichten, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben waren. Hierüber entschieden die jeweiligen Vorgesetzten. Die Telearbeit muss an einem genau festgelegten und dafür ausgestatteten Arbeitsplatz in der eigenen Wohnung erfolgen. Während die FU als Arbeitgeberin für die Ausstattung verantwortlich ist, obliegt es der/m Mitarbeiter*in, technische Voraussetzungen, die Einhaltung des Arbeitsschutzes und Datenschutzes am häuslichen Arbeitsplatz sicher zu stellen und zur Überprüfung ggf. Zutritt zur Wohnung zu gewähren. Strom- und Telefonkosten werden von der FU mit einer Kostenpauschale bezuschusst, Kosten für dienstliche Telefonate können erstattet werden. Die Verteilung der Arbeitszeit zwischen Büro und Home-Office muss genau festgelegt werden und Präsenzzeiten innerhalb der Kernarbeitszeit vereinbart werden.

Was ist Mobiles Arbeiten?
2015 wurde die ursprüngliche DV Alternierende Telearbeit um die Möglichkeit des mobilen Arbeitens ergänzt, um, auch mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auf kurzfristige und vorübergehende Bedürfnisse eingehen zu können. Mobiles Arbeiten konnte nach der alten Regelung für bis zu 21 Tagen im Jahr und an maximal drei, in Ausnahmefällen fünf Arbeitstagen im Monat beantragt werden, allerdings nur, wenn nicht gleichzeitig Telearbeit in Anspruch genommen wurde. Dabei war die Arbeitszeit im Rahmen der allgemeinen Bestimmungen frei wählbar und es gab keine Festlegung des Arbeitsortes. Allerdings bestand dabei weder Anspruch auf Bereitstellung der technischen Ausstattung durch den Arbeitgeber noch auf Übernahme von entstehenden Kosten. Die neue DV Flex, die derzeit mit dem Personalrat Dahlem verhandelt wird, soll die Regelungen für Telearbeit, mobiles Arbeiten und Gleitzeit nun in einer Vereinbarung bündeln.

Zur Geschichte.
Der heute altmodisch anmutende Begriff Telearbeit geht auf den 1973, lang vor dem Zeitalter der Digitalisierung, von James Nilles geprägten Begriff „telecommuting“ zurück (Nilles 1988). Nilles ging es zunächst vor allem darum, durch eine Auslagerung der Arbeit das wachsende Verkehrsaufkommen zu verringern. Damit würde, so Nilles, zugleich auch die Unfallrate sinken, die Luftqualität verbessert werden und – angesichts der damaligen Ölkrise besonders aktuell – der Energieverbrauch zurückgehen. Nilles Zukunftsvision sah dabei nicht nur Arbeiten im Home-Office, sondern vor allem in dezentralen, wohnortsnahen Außenstationen von Betrieben oder auch betriebsunabhängigen Satelitenstationen vor – im heutigen Sprachgebrauch „Co-working spaces“.

Die Möglichkeiten des Home-Office bzw. von Telearbeit und Mobilen Arbeitens werden auch im digitalen Zeitalter bei Weitem noch nicht ausgeschöpft, wobei Deutschland – zumindest vor Corona – im europäischen Vergleich noch unter dem Durchschnitt lag (Brenke 2016). Laut Mikrozensus von 2018 arbeiteten 11,8 % der Bevölkerung zumindest gelegentlich von zuhause aus (Bonin et al. 2020). Dabei sind auch deutliche Hierarchien erkennbar. So wird Home-Office weitaus häufiger von Personen mit akademischem Abschluss in Anspruch genommen (Brenke 2016). Das Potential für Home-Office wird deutlich höher eingeschätzt (Brenke 2016) und jede fünfte Person wünscht sich demzufolge im Home-Office arbeiten zu können.

Folgen von Home-Office – v.a. für Frauen

Derzeit häufen sich allerdings die Hinweise, dass sich durch das pandemie-bedingte Mobile Arbeiten soziale Ungleichheiten verstärken.[4] Davon sind insbesondere auch Frauen betroffen, die oftmals den größeren Teil der Sorgearbeit übernehmen.[5] Auch Studien vor Corona zeigen auf, dass sich durch Telearbeit durchaus traditionelle Rollenverteilungsmuster (re-)etablieren und Frauen tendenziell mehr Zeit im Home-Office mit Haus- und Care-Aufgaben verbringen (Carstensen 2020). So kommt Carstensen in ihrer Studie zwar zu dem Schluss, dass sich Telearbeit nicht nur positiv auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auswirkt, sondern auch zur Verringerung des gender-pay-gaps beiträgt. Allerdings zu einem Preis. Denn Frauen arbeiten im Home-Office zwar mehr, erledigen aber auch mehr der Haus- und Sorgearbeit. „Zugespitzt“, schreibt Carstensen, „befördern digitale flexible Angebote damit die individualisierte Alltagsoptimierung und führen zu einer Verunsichtbarung der dadurch entstehenden Anforderungen und Belastungen.“ (Carstensen 2020, 203). Und weiter: „Deutlich wird auch, wie wirkmächtig die Rahmenbedingungen für die praktizierte Arbeitsorganisation und -teilung sind.“ (ebd.).

Und nun?

Mehr Home-Office und generell die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort werden derzeit von unterschiedlichen Seiten gefordert. Dabei gilt es die jeweiligen Interessen im Blick zu halten. Aus Sicht von Arbeitgeber*innen sind die Zufriedenheit, Gesundheit und damit erwartete erhöhte Produktivität der Arbeitnehmer*innen durchaus von Interesse, zugleich mögen auch Einsparungsmöglichkeiten zur Attraktivität beitragen. Im Raum steht jedoch noch immer die Frage der Kontrolle. Nicht alle Vorgesetzten vertrauen ihren Mitarbeitenden. Auf der anderen Seite steht die Sorge um ständige Erreichbarkeit und digitale Überwachung seitens der Arbeitnehmer*innen, auf die die Gewerkschaften verweisen.[6]

  • Für Arbeitnehmer*innen sind Autonomie, Zeitgewinn und verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf tragende Argumente. Letzteres gilt besonders auch für Frauen.
  • Zugleich sind jedoch Frauen noch immer besonders von negativen Folgen der Entgrenzung und doppelten Belastung betroffen.

Hier gilt es – jenseits des gesamtgesellschaftlichen Ziels einer gerechten Verteilung der Care-Arbeit! – Regelungen zu finden, die sowohl arbeitnehmer*innenfreundlich als auch gendersensibel sind, um Autonomieempfinden und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gegen Eigenverantwortung für die Arbeitsbedingungen und erhöhten Druck zur Selbstausbeutung einzutauschen.

Im Fazit:
Mehr Home-Office? Eindeutig ja, aber auf die Bedingungen kommt es an!

Literatur

Bonin, H. et al. (2020). Verbreitung und Auswirkungen von mobiler Arbeit und Homeoffice. Kurzexpertise. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) Forschungsbericht 549.

Brenke K (2016) Home Office:Möglichkeiten werden bei weitem nicht ausgeschöpft. DIW Wochenbricht 5/2016, 95–105

Carstensen, T. (2020). Orts- und zeitflexibles Arbeiten: Alte Geschlechterungleichheiten und neue Muster der Arbeitsteilung durch Digitalisierung [Flexibility in working time and place of work: Old gender inequalities and new patterns of division of labor through digital transformations]. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft. (2), 195-203. https://doi.org/10.1007/s41449-020-00213-y

Gajendran, R. S., & Harrison, D. A. (2007). The good, the bad, and the unknown about telecommuting: Meta-analysis of psychological mediators and individual consequences. The Journal of Applied Psychology, 92(6), 1524–1541. https://doi.org/10.1037/0021-9010.92.6.1524

Nilles, J. M. (1988). Traffic reduction by telecommuting: A status review and selected bibliography. Transportation Research Part a: General, 22(4), 301–317. https://doi.org/10.1016/0191-2607(88)90008-8


[1] Einschränkend muss hier allerdings erwähnt werden, dass (erstaunlich) viele – annähernd zwei Fünftel der Befragten in allen Statusgruppen – keine Angaben zum Geschlecht gemacht haben.

[2] https://www.fu-berlin.de/sites/gpr/news/20210126_dienstvereinbarungen.html

[3] https://www.fu-berlin.de/service/zuvdocs/personal/2015/pb-05-2015-alternierende-telearbeit-anlage.pdf

[4] https://bukof.de/service/corona-gleichstellung-und-hochschule-in-der-pandemie/

[5] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-frauen-in-der-coronakrise-starker-belastet-29949.htm

[6] https://fidi.verdi.de/banken/private-oeffentliche-banken/++co++25d8b910-944e-11ea-aff1-525400b665de
https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/gewerkschaften-fordern-mehr-arbeitsschutz-im-homeoffice/


Balance-Akt

In der Öffentlichkeit wie in der Fachliteratur wird häufig von Work-Life-Balance gesprochen, was jedoch inhaltlich aus mehreren Gründen problematisch ist: Der Begriff suggeriert, dass Arbeit nicht wirklich zum „Leben“ dazugehöre und dass privat nicht gearbeitet werde; Familienarbeit wie Haushalt, Pflege von Angehörigen und Kindererziehung, ehrenamtliche Tätigkeiten u.ä. werden hier ignoriert, obwohl zu vermuten ist, dass sich diese Aspekte auf das Erleben einer Balance auswirken. Demgegenüber kann festgehalten werden, dass in beiden Bereichen Anforderungen und Verpflichtungen sowie Interessen und Bedürfnisse eine wichtige Rolle spielen und sich auf das Erleben einer Balance auswirken können (zsfd. hierzu auch Blahopoulou, 2012). Daher bevorzuge ich den Begriff der Life-Balance.

Life-Balance umfasst noch weitere Facetten; sie kann sich nämlich auf sehr unterschiedliche Dinge beziehen: auf tatsächlich verbrachte Zeit, auf psychische und körperliche Anforderungen und Beanspruchungen, auf die Erreichung von persönlichen Zielen und und und … Bei einer gestörten Life-Balance wird oft vermutet, dass sich das Berufsleben negativ auf das Privatleben auswirkt (manchmal auch umgekehrt). Diese gegenseitige Beeinflussung wird fachlich auch gern mit Spillover betitelt und sie kann – das wird häufig vergessen – natürlich auch positiv sein: So kann eine Person z.B. von ihren im Privatleben erworbenen Organisationskompetenzen auch beruflich profitieren.

Eine Vielzahl von Rollen und Funktionen wird oft mit einer (Über-)Belastung assoziiert, obwohl ebenfalls argumentiert wird, dass Menschen von vielfältigen Rollen profitieren und Ressourcen aufbauen können. Die Frage ist m.E. weniger, welche der beiden Hypothesen zutrifft, als vielmehr, unter welchen Bedingungen die eine und wann die andere gilt.

Grenzgänger*innen

Susan Campbell Clark (2000) hat dazu eine Theorie über die Grenzen zwischen Arbeit und Familie formuliert und Erwerbstätige als Grenzgänger*innen bezeichnet. Sie hat z.B. Hypothesen dazu aufgestellt, unter welchen Bedingungen z.B. sehr starke Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sinnvoll und hilfreich sind für eine gelungene Life-Balance und wann nicht. Die Stärke der Grenzen wird der Theorie zufolge durch ihre Durchlässigkeit[1] und Flexibilität/Starrheit bestimmt und soll eine zentrale Rolle für die Life-Balance spielen. Clark vermutet, dass starke Grenzen sich dann positiv auswirken, wenn Arbeits- und Privatleben sich in vielen Dimensionen unterscheiden; bei großen Ähnlichkeiten hingegen sollen schwache Grenzen positiv erlebt werden. Wenn Grenzen nur in eine Richtung durchlässig sind, aber nicht in die andere[2], dann ist eine stärkere Identifikation mit dem besonders stark „geschützten“ Bereich hilfreich, um eine positivere Life-Balance zu erleben. (Im unten genannten Beispiel wäre es also vorteilhaft für die betroffene Person, sich besonders mit ihrem Beruf zu identifizieren.) Ob eine Trennung von Arbeit und Privatleben zu empfehlen ist, hängt demnach von den Umständen ab. Dabei ist der Einfluss der betreffenden Person auf die Festlegung der Grenzen ebenfalls relevant: Je mehr die Grenzen selbst beeinflussbar sind, desto positiver fällt die Life-Balance aus.

Aktuell wird auch im akademischen Arbeitskontext besonders spürbar, dass „zu Hause arbeiten“ oftmals mit sehr schwachen, durchlässigen Grenzen einhergeht. Gerade diejenigen, die aktuell keinen eigenen, ungeteilten oder aber keinen ruhigen Raum zum Arbeiten haben, wissen die sonst selbstverständlichen Grenzen zum Büro oder zur Ruhe der Bibliothek in der Uni ganz neu zu schätzen (siehe auch Facts des Monats Mai). Es wird auch deutlich, dass „zu Hause arbeiten“ die ganze Vielfalt von Arbeit umfasst: Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung, Betreuung von erkrankten oder pflegebedürftigen Menschen, Haushalt, …

Klar ist, dass Life-Balance immer wieder neu gefunden werden muss, erst recht in dieser Zeit. Wie es Ihnen aktuell damit ergeht und wie Sie die letzten Wochen erlebt haben, interessiert uns ganz besonders und wir laden Sie ein, uns gern dazu ein kurzes Statement, ein Foto oder kurzes Video zu schicken (schreiben Sie uns: Frauenbeauftragte EwiPsy). Wenn Sie das zusätzlich erlauben, machen wir Ihren Beitrag auch gern anderen Angehörigen des Fachbereichs zugänglich!

Literatur

Blahopoulou, J. (2012). Work-Life-Balance-Maßnahmen: Luxus oder Notwendigkeit? Organisationale Unterstützung und ihre Auswirkungen. München: Hampp.

Clark, S.C. (2000). Work/family border theory: A new theory of family/work balance. Human Relations, 53(6), 747-770.

[1] Unter einer durchlässigen Grenze versteht sie, dass Elemente des jeweils anderen Bereichs präsent sind (z.B. Familienfotos auf der Arbeit, Anrufe von der Arbeit nach Hause usw.).

[2] Beispiel: Wenn das Privatleben auf der Arbeit in keiner Weise präsent ist und die Arbeitszeiten nicht an private Bedürfnisse angepasst werden (können), die betreffende Person jedoch zu Hause stets beruflich zu erreichen sein muss, spräche man davon, dass die Grenze der Arbeit sehr stark/undurchlässig und die des Privatlebens eher schwach/durchlässig wäre.