Joel Moses Belf begann 1870 in Wien, mit hebräischen Büchern zu handeln und besaß seit mindestens 1903 auch ein Ladengeschäft, die J.M. Belf Buchhandlung in der Wiener Rabensteiggasse. Sohn Joseph übernahm die Firma spätestens 1919 und erweiterte das Sortiment um weitere Sprachen, Kunst, Musikalien sowie antiquarische Literatur. Ende 1938 wurde er durch die Nazis ins KZ Dachau verschleppt und seines Vermögens beraubt. Der Buchladen wurde arisiert. Nach seiner Freilassung im Januar 1939 emigrierte Josef mit seiner Frau Berta und den gemeinsamen Kindern in die USA, erlebte aber nicht mehr das Kriegsende. In den 1960er Jahre stellte die Witwe ein Antrag bei österreichischen Abgeltungsfond, um eine Entschädigung für die erlittenen Vermögensverluste zu erhalten. Die UB der Freie Universität Berlin und die UB der Universität Potsdam haben die Bücher im Januar 2018 an die Erben in den USA zurückgegeben.
Stempel: Buchhandlung, J. M. Belf Buchhandlung Wien I. Rabensteig Nr. 8 Provenienzhinweis
Ein Beitrag von Elena Brasiler und der Pressestelle der FU Berlin, Tagesspiegel Beilage vom 19.06.2017
Mitarbeiterinnen der Stabsstelle NS-Raub- und Beutegut konnten den Eigentümer eines Buches aus der Campusbibliothek ermitteln. Was bleibt von einem Menschen nach dessen Tod?
Bisweilen wenig – manchmal nur ein Buch aus seinem Besitz. Dass das viel sein kann, wissen Elena Brasiler und Susanne Paul von der Stabsstelle NS-Raub- und Beutegut der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. Denn Bücher sind der Ausgangspunkt für ihre Recherche: Im besten Fall lassen sich über sie die rechtmäßigen Eigentümer eines Werks beziehungsweise deren Erben ermitteln. Mit der Suche rekonstruiert sich ein Stück Erinnerung an einen Menschen, der Opfer des Nationalsozialismus geworden ist.
So war es im Fall von Fritz Berets. Als Ende vergangenen Jahres in der Fachabteilung Judaistik der Campusbibliothek der Freien Universität ein Pentateuch aus dem Jahr 1914 gefunden wurde, wies die handschriftliche Widmung im Innern des Buches den Provenienzforscherinnen die Spur: „Dem Bar-Mitzwoh Fritz Berets Sabbat Mischpotim den 1. Adar 5679 – 1. Februar 1919 zur Erinnerung gewidmet. Siehe Gottesfurcht, das ist Weisheit, und das Böse meiden, ist Verstand! Hiiiob 28, 28 Oberrabiner Dr. Levi“. Fritz Berets, 1906 in Krefeld geboren, war 13 Jahre alt, als er den Pentateuch – so nennt man die ersten fünf Bücher des Alten Testaments, die fünf Bücher Mose – zur Bar Mizwa geschenkt bekam.
Viele Familienmitglieder flohen in die Niederlande
Fritz Berets war eines von zehn Kindern einer aus den Niederlanden nach Deutschland eingewanderten Familie, die sich in Krefeld einen Namen als Kaufleute gemacht hatte. Von 1933 an war die jüdische Familie der Verfolgung durch das NS-Regime ausgesetzt. Viele Familienmitglieder flohen in die Niederlande. Auch Fritz Berets verließ Deutschland und ging nach Amsterdam. Dort lernte er seine Frau Lena Strauß aus dem niederrheinischen Millingen kennen, die ebenfalls mit ihrer jüdischen Familie aus Deutschland geflohen war.
Fritz Berets’ Neffe, der heute 79-jährige Alexander Ernst Berets, hat den Holocaust überlebt. Er berichtet, was ihm seine Mutter über das junge Paar erzählt hat: „Es klickte zwischen den beiden, und sie blieben beieinander. In Amsterdam bewohnten sie ein Grachtenhaus, und es wurden Zwillinge geboren. Ein Junge und ein Mädchen. Fast wie in einem Groschen-Roman. Lange dauerte ihr Glück jedoch nicht.“
Nach der deutschen Besetzung der Niederlande wurden Fritz Berets und seine Familie 1943 im Durchgangslager Westerbork inhaftiert, von dort ins KZ Theresienstadt und 1944 ins KZ Auschwitz deportiert. Seine Frau und die vier Jahre alten Zwillinge wurden bei ihrer Ankunft getötet. Fritz Berets starb am 28. März 1945 im KZ Buchenwald/Mittelbau-Dora. Von seinen neun Geschwistern haben lediglich drei das NS-Regime überlebt.
Alexander Ernst Berets in der Maastrichter Synagoge mit dem zurückgegebenen Buch. Foto: Dimitry Boutylkov
Als Erinnerung bleibt nicht viel mehr als ein Buch
„Ein Mensch ist vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, heißt es im Talmud. Damit Ernst David Berets nicht vergessen wird – einer von Fritz Berets’ Brüdern und Alexander Ernst Berets’ Onkel – wurde für ihn am 22. Oktober 2013 in Maastricht ein Stolperstein verlegt. Über diese Spur gelangten die Provenienzforscherinnen der Freien Universität zu Alexander Ernst Berets. Am 4. Mai 2017 konnten ihm die Mitarbeiter von „Struikelsteentjes Maastricht“ (Niederlande) in der dortigen Synagoge den Pentateuch seines Onkels überreichen. Die Selbstverpflichtung Deutschlands nach der Washingtoner Erklärung von 1998 und die moralische Verpflichtung zur Rückgabe von Raubgut, aber vor allem die Bedeutung, die Bücher für Hinterbliebene haben, motiviert die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stabsstelle NS-Raub- und Beutegut.
Das Buch, das in Maastricht restituiert werden konnte, enthält die Widmung an einen 13-Jährigen, der sein Leben damals noch vor sich hatte. Kaum 30 Jahre später war nicht nur dieses Leben ausgelöscht, sondern auch das seiner Frau, seiner Kinder, Schwestern und Brüder. Als Erinnerung bleibt nicht viel mehr als ein Buch.
Gemeinsam konnten von der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, der Bibliothek der Universität Potsdam und der Zentral- und Landesbibliothek Berlin vier Bücher an die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG Wien) zurückgegeben werden.
Die IKG Wien entstand 1852 nach Genehmigung durch die Behörden des Kaisers. Damit besaß die jüdische Gemeinde einen Rechtsstatus, der ihr Autonomie in allen inneren Angelegenheiten gewährte. In der Folge entstand eine aus breitgefächerte Infrastruktur, zu der auch Bibliotheken und Lehrhäuser gehörten. Am Vorabend des Anschlusses von Österreich an Deutschland im Jahr 1938 zählte die Gemeinde 185.000 Mitglieder, nach Kriegsende waren es nur noch 25.000. In diesem Zeitraum wurden auch die Einrichtungen der Gemeinde geplündert oder zerstört.
Die restituierten Bücher finden Sie in unserer LCA Datenbank
Damit bündeln nun sechs Einrichtungen ihre Erfahrungen im Bereich Provenienzforschung und stellen ihre Informationen gemeinsam der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Am 19. Oktober 2016 strahlte das Deutschlandradio Kultur ein Feature zur Suche nach NS-Raubgut und Beutegut aus. Den informativen Beitrag finden Sie hier.
Ex Libris Bruno Marwitz
Der Beitrag von Günther Wessel beschreibt auf recht ausführliche und detailreiche Weise unsere Arbeit und die Probleme dabei. Ebenso unsere Erfolge!
Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin und die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin haben gemeinsam zwei Exlibris und ein Buch an die Erben von Franz und Clara Fürstenheim restituiert.
Für die Rückgabe konnte auf die gesammelten Rechercheergebnisse in der LCA-Datenbank zurückgegriffen werden. Bereits 2012 konnte die ZLB zwei Bücher und ein loses Exlibris an die Erben von Franz und Clara Fürstenheim zurückgeben. Ein Buch mit dem gleichen Exlibris, welches jetzt im Bestand der Universitätsbibliothek auftauchte, wurde zusammen mit zwei weiteren Exlibris im Bestand der ZLB gemeinsam an die Erben geschickt.
Weitere Informationen unter „Raubgutforschung“ der Zentral- und Landesbibliothek Berlin:
Am 10. März 2016 wurde unsere gemeinsame Datenbank „Looted Cultural Assets“ in der Stiftung Neue Synagoge, Centrum Judaicum in Berlin öffentlich präsentiert.
Wir freuen uns, dass wir mit dieser Dokumentation einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung von NS-Raubgut in Bibliotheken und zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte leisten können. Mit jedem Buch, das wir an die Nachfahren der Opfer zurückgeben können, geben wir auch ein Stück Erinnerung zurück. Denn schon Goethe wusste: „Auch Bücher haben ihr Erlebtes, das ihnen nicht entzogen werden kann.“
Wir bedanken uns bei allen Beteiligten und den Leitungen unserer Einrichtungen für die Zusammenarbeit und die Unterstützung.
Die Stabstelle NS-Raub- und Beutegut der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin konnte 37 Bücher an die Parlamentsbibliothek „Library of Saeima“ nach Riga in Lettland zurückgeben. Die Bücher stammen aus der 1979 von der FU Berlin gekauften Privatbibliothek von Alfred Weiland.
Die Bibliothek des Parlamentes, die sog. „Library of Saeima“ wurde während der deutschen Besatzung (1941-1945) in Lettland ausgeraubt und Teile des Bestandes wurden als Beutegut nach Deutschland verschleppt. Es ist davon auszugehen, dass diese durch die Wehrmacht erbeuteten Bände von Lettland in die ehemalige Bibliothek des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) nach Berlin gebracht worden sind. Alfred Weiland hatte in den 50er Jahren in Berlin-Schöneberg an der Sicherstellung geraubter Literaturbestände mitgearbeitet und dabei seine eigene Privatbibliothek erweitert. Daher lassen sich in seinen gesammelten Büchern oft unterschiedliche Hinweise finden, die auf NS-Raub- und Beutegut hindeuten. Seit einigen Jahren bemüht sich die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin um die Rückgabe von NS-Raub- und Beutegut aus dieser Sammlung.
Stempel: Satversmes Sapulces Biblioteka
Bei der Überprüfung der Provenienzen in der Bibliothek Alfred Weiland tauchten vermehrt Stempel mit der Aufschrift „Latvijas Republika Saeimas Biblioteka“ auf. Ferner waren die Bücher durch Katalognummern gekennzeichnet. Nach einer Anfrage bei der lettischen Parlamentsbibliothek in Riga wurde bestätigt, dass es sich um die geraubten Bestände aus dem 2. Weltkrieg handelt. Somit wurde der rechtmäßige Eigentümer, das Lettische Parlament, zweifelsfrei identifiziert.
Dies ist die zweite Rückgabe von Büchern aus Beutegutbeständen an die Bibliothek des Lettischen Parlaments. Die erste Rückgabe fand im Dezember 1992 durch die Deutsche Nationalbibliothek statt.
Das Team der UB freut sich über die erfolgreiche Rückgabe und bedankt sich für die gute Zusammenarbeit mit der Parlamentsbibliothek in Riga.
„Spurensuche – NS-Raubgut Forschung in Bibliotheken und Archiven. Ein Fortbildungsangebot aus der Praxis für die Praxis“ .
Unter diesem Motto findet zur Zeit in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Berlin der zweite Fortbildungstag, veranstaltet von der Initiative Fortbildung für wissenschaftliche Spezialbibliotheken und verwandte Einrichtungen e.V. statt. Themen sind u.a. Informationen zur Rechtslage, Erbensuche und Kontaktaufnahme sowie verschiedene Datenbanken. Die Zentral- und Landesbibliothek sowie die Universitätsbibliothek der Freien Universität nehmen daran teil. Das ganze Programm findet man hier:
Morgen, am 9. Dezember 2015 findet das 4. Treffen des Arbeitskreises Provenienzforschung in Bibliotheken bei unserem Kooperationspartner, der UB Potsdam statt. Bei diesem Treffen kommen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verschiedener Projekte zum Thema Provenienzforschung in Bibliotheken aus ganz Deutschland zusammen, um sich auszutauschen. Neben den Berichten aus den einzelnen Projekten, stehen auch Themen wie die Weiterentwicklung der Lostart-Datenbank (hier der Link: www.lostart.de) und eine Strategiediskussion mit Bericht aus Hannover auf dem Programm. Heute treffen sich nämlich dort die Mitglieder des Arbeitskreises Provenienzforscher.