Als bekennender Serienzuschauer räume ich ohne Umschweife ein, dass ich früher sehr gerne die belgische Krankenhaus-Soap Spoed geschaut habe. Die relativ belanglosen Dialoge waren ein guter Einstieg ins Niederländische und vor allem: Weil man dem niederländischen Publikum nicht zutraute, die südlichen Nachbarn zu verstehen, wurde die Sendung immer untertitelt. Für Lerner also ideal.
Natürlich war in der Serie fast dauerhaft Krisenzustand. Schwerer Unfall! Notoperation! Angehörige ohnmächtig zusammengebrochen! In jeder Episode wurde mindestens achtmal irgendwem der Blutdruck gemessen. Dabei wunderte ich mich regelmäßig, denn Untertitel und gesprochene Dialoge wollten in diesen Situationen einfach nicht zusammenpassen. Die Niederlande messen nämlich ihren Blutdruck anders als Belgien. Während man im Norden die Werte in mm Quecksilbersäule (millimeters kwikdruk) angibt, misst man im Süden in cm. Wenn der Arzt also von “12 over 8” sprach, stand in den Untertiteln “120 over 80”. Woher haben die Flamen diese Angewohnheit? Vermutlich ihrerseits aus dem frankophonen Süden, wie man bei diesem netten Wallonen in seiner wunderbar anschaulichen Erklärung sehen und hören kann (bei ca. 10:00 min).
Die Unterschiede zwischen gesprochenen Dialogen und Untertitel helfen nicht nur beim Verstehen von alltäglichen Formulierungen aus dem informellen flämischen Sprachgebrauch, wie “Vooruit!” für “Komaan!” oder “Aan de slag!” voor “Allez-y!” Auch bei der medizinischen Terminologie findet man so manches Beispiel für abweichende Übersetzungen:
een flacon natriumbicarbonaat – een fles natriumbicarbonaat
tetanusspuitje – tetanusinjectie
Ze moet naar Rx. – Ze moet naar Röntgen.
Aspiratie! – Afzuigen!
Patiënt mag naar de inzo. – Patiënt mag naar de IC.
Balloneren! – Beademen!
Natürlich geht es hier nicht um die Fachterminologie im engeren Sinne. Ein aneurisma ist in Flandern und den Niederlanden dasselbe, ebenso wie eine nierinsufficiëntie. Die kleinen Abweichungen liegen eher in den Wortfeldern, die zwar medizin-spezifisch sind, aber um die Behandlung herum angeordnet sind, sozusagen der medizin-periphere Wortschatz. Dazu gehört auch die afdeling spoedgevallen, für die Schwester Bea am Empfang immer den Telefonhörer abnimmt. In den Niederlanden spricht man häufiger von spoedeisende hulp – wobei die Begrifflichkeiten in beiden Ländern stark auseinandergehen können.
Nicht in allen Fällen geht es dabei um typisch belgische Ausdrücke, die man in den Niederlanden nicht verstehen würde. Manchmal hilft der Text auch als Übersetzung für den Insider-Sprachgebrauch. Die Dialoge sollen – selbst bei einer nicht übermäßig anspruchsvollen Seifenoper – einigermaßen realistisch sein. Dazu benutzt man bei Spoed eine recht gelungene Mischung aus Tussentaal, Antwerpener Dialekt und Ärzteslang. Fragt sich nur, für welche dieser drei Fachsprachen das niederländische Publikum die Untertitel am meisten braucht.
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