Die Landtagswahlen in Deutschland haben auch in den westlichen Nachbarländern Schlagzeilen gemacht. Man kann sich vorstellen, wie schwierig es sein muss, einem weniger vertrauten Publikum die Besonderheiten des deutschen Föderalismus und der Parteienlandschaft zu erklären (auch wenn die Belgier selbst einiges gewöhnt sind). Klar ist, dass in den drei Bundesländern die bisherigen Koalitionen weder durchregieren noch voortregeren können.
Der flämische Standaard titelt sogleich vom opmars der AfD. Ein reichlich ironischer Begriff im Vergleich mit dem Deutschen. Man weiß nicht so recht, ob die Redaktion absichtlich zu dem Ausdruck gegriffen hat. Auf Deutsch steht Aufmarsch in der Gegenwartssprache – angelehnt natürlich an historische Zusammenhänge – für Demonstrationen extremistischer Parteien oder Vereinigungen, in letzter Zeit z.B. von Pegida. Die Verbindung mit der AfD ist also nicht völlig aus der Luft gegriffen. Das Niederländische hat bei dem Begriff aber noch eine zusätzliche Bedeutungsmöglichkeit, die Van Dale als groeiend succes umschreibt. Es kann also auch eine zweifellos demokratische Partei auf Niederländisch in opmars zijn, ohne dass sie gleich einen Aufmarsch veranstalten muss.
Die AfD scheint die Presse in den Lage Landen nicht nur vor lexikalische, sondern auch vor grammatische Herausforderungen zu stellen. Liest man eine kleine Auswahl von Artikeln aus den Tageszeitungen De Standaard, De Morgen, NRC, Trouw und De Telegraaf, dann fällt ein seltsames Phänomen auf: Die AfD hat sehr häufig keinen Artikel, obwohl er syntaktisch möglich wäre.
In Rijnland-Palts kreeg AfD zowat elf procent van de kiezers achter zich. (De Morgen)
In Saksen-Anhalt stemde zelfs een op de vijf voor AfD. (Trouw)
Nun ist diese kleine Textauswahl keine ernstzunehmende Korpusanalyse, aber die Verteilung in der kleinen Auswahl ist doch erstaunlich. Den anderen Parteien widerfährt der Verlust des Artikels viel seltener:
Nennung mit Artikel | Nennung ohne Artikel | |
AfD | 14 | 21 (60%) |
CDU | 17 | 2 |
SPD | 13 | 2 |
Sonderfälle sind die Grünen und die Linke, deren Artikel auch im Deutschen stärker in den Namen hineingeschmolzen ist. Hier findet man gelegentlich auch einmal eine Nennung mit der deutschen Form, und öfter de Groenen (nicht aber die artikellose Form Groen der flämischen Schwesterpartei).
Wenn man genauer die Verteilung nach Herkunftsland der Zeitungen aufschlüsselt, wird noch ein Phänomen sichtbar (hier sind wieder nur CDU, SPD und AfD gerechnet, die anderen kommen zu unregelmäßig vor):
Nennung mit Artikel | Nennung ohne Artikel | |
Niederlande | 31 | 6 |
Belgien | 13 (davon 2 AfD) | 19 (davon 15 AfD) |
Der Großteil der Parteibezeichnungen ohne Artikel geht auf das Konto der belgischen Zeitungen. Und diese wiederum verzichten vor allem bei der AfD auf den Artikel, bei den anderen Parteien viel seltener. Der Text im NRC Handelsblad aus den Niederlanden wiederum ist der einzige, der ausnahmslos immer einen Artikel verwendet (was aber in anderen Beiträgen derselben Zeitung wieder weniger konsequent gehandhabt wird). Man müsste eine größere Anzahl von Texten vergleichen, um zu testen, ob diese Tendenz zum Unterschied zwischen Belgien und den Niederlanden sich verfestigt.
Große Teile der Zeitungsartikel sind von Nachrichtenagenturen übernommen. Auch kleinere Zeitungen nutzen sicherlich in der Auslandsberichterstattung über deutsche Regionalpolitik eher Texte von Agenturen, als selbst welche zu schreiben. Man kann also davon ausgehen, dass diese besondere (Nicht-)Verwendung von Artikeln in der niederländischsprachigen Presse noch weiter verbreitet ist.
Doch wie kommt es überhaupt zu diesem Unterschied? Eine mögliche Erklärung könnte im Namen der Partei Alternative für Deutschland liegen. Auf Niederländisch sagt man eher het alternatief, auf Deutsch dagegen die Alternative, d.h. das Wort hat in den beiden Sprachen ein anderes Genus. Für die Variante het AfD hat sich in diesen fünf Texten keine einzige Zeitung entschieden, während de AfD durchaus vorkommt. Nur ein einzelner Autor bei De Morgen greift wiederum ganz konsequent zu het AfD. Sollte die Variante ohne Artikel also ein Effekt des Konflikts zwischen den beiden Genera sein? Und wenn ja: Warum gehen belgische Zeitungen damit anders um als niederländische?
Wüsste die AfD von dieser grammatikalischen Erscheinung, sie wäre sicher schnell mit einer Erklärung bei der Hand: Die Lügenpresse gönnt der armen Partei der aufrechten Kämpfer gegen den Mainstream noch nicht einmal mehr einen Artikel vor dem Namen. Wenn das nicht wieder ein willkommener Baustein im Opfermythos ist!
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