Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Mark und Youssef

verkiezingDen niederländischen Parlamentswahlen am 15. 3. 2017 widmen wir eine kleine Serie.

Der Wahlkampf in den Niederlanden nimmt langsam Fahrt auf und die ‚etablierten‘ Parteien überlegen, wie sie dem drohenden Wahlsieg von Geert Wilders Partij voor de Vrijheid (PVV) etwas entgegensetzen können. Wilders treibt die Koalition von rechtsliberaler VVD und Sozialdemokraten (PvdA) seit Jahren vor sich her, und die versuchen jetzt unter anderem, junge Wähler/innen zu erreichen. Und wo findet man die? Klar – auf YouTube. Angela Merkel hatte sich daher 2015 schon von LeFloid interviewen lassen, und der niederländische Premier Mark Rutte hat sich jetzt auch einen bekannten YouTuber gesucht: Youssef Koukouh, 21, geboren im Schilderswijk, einem Stadtteil von Den Haag mit hohem Migrantenanteil, der oft als Problembezirk galt und gilt. Koukouh, ein lustiger junger Mann mit marokkanischen Wurzeln, erzählt in seinem Video-Tagbuch, was er so treibt, er singt, macht kleine Sketche, er macht Reklame für einen neuen Friseur oder verschenkt auch mal Laptops eines Sponsors. Damit hat der Vlogger es auf über 200.000 YouTube-Follower gebracht, was für niederländische Verhältnisse sehr viel ist. YousToub nennt er sich, und er ist natürlich auch auf anderen Social Media unterwegs, z.B. auf Instagram, wo er zur Zeit ca. 145.000 Abonnenten hat.

Videos von der Aufnahme des Podcasts in einem Beitrag des Algemeen Dagblad

Damit erreicht er eine interessante Zielgruppe, die ansonsten für Politiker wie Mark Rutte kaum erreichbar ist. Darum hat der sich jetzt mit Koukouh/YousToub zu einem Interview getroffen. Anders als Angela Merkel lässt er sich aber nicht interviewen, sondern er interviewt Youssef Koukouh. Rutte gibt sich jovial; die beiden duzen sich gleich. Das erscheint irgendwie unpassend, obwohl es im niederländischen Kontext viel weniger auffällig ist als in einem deutschen. Es verstärkt den Eindruck, der sich schon nach wenigen Momenten einstellt: die joviale Attitüde wird zur Anbiederung und das Interesse an Koukouh wirkt – zumindest auf mich – doch recht gewollt und künstlich. 200.000 Abonnenten? Rutte: „Daar zouden Geert Wilders en ik een moord voor doen“. Rutte fragt dann gleich mal danach, ob sich die Videos denn auch finanziell überhaupt lohnen und ob man davon denn auch leben kann (für einen aufrechten Rechts- oder Neoliberalen natürlich das zentrale Kriterium) und er lässt sich erklären, wie bekannte YouTuber von Google/YouTube be- und entlohnt werden. Er lässt sich auch von Koukouh zeigen, wie der seine Videos aufnimmt und spielt mit dessen Kamera herum. Alles ganz einfach, sagt Koukouh, und Rutte scheint angetan. Das will er in Zukunft auch mal ausprobieren, sagt (oder droht) er.

Ab und zu bekommt das ‚Interview‘ leicht paternalistische Züge. Rutte erklärt, wie wichtig es ist, dass die Migranten-Jungs sich integrieren. Koukouh wird dann zum Vorzeige-Migranten stilisiert und eingenordet, um den Kollegen, die nicht so nett sind wie er, mal wieder zu sagen, dass sie sich gefälligst zu benehmen und zu integrieren haben. Das richtet sich u.a. gegen die treitervloggers (aus treiteren ’nerven, triezen‘ und vlogger ‚Video-Blogger‘), die im vergangenen Jahr für Furore sorgten, weil sie in Zaandam Leute belästigt haben und Videos dieser Aktionen online gestellt haben. Damals hatte Rutte einen dieser Vlogger, Ismail Ilgün, als tuig van de richel bezeichnet (Van Dale übersetzt das als ‚lichtscheues Gesindel‘). Entschuldigen wollte er sich dafür nicht, aber Ilgün wird das egal sein: der umstrittene 19-Jährige hat aufgrund der ganzen Publizität immerhin einen Vertrag mit dem Plattenlabel TopNotch bekommen…

Rutte erwähnt immer wieder gerne, dass er nah dran ist am Leben der jungen Niederländer/innen aus migrantisch geprägten Milieus, da er ja schließlich ab und zu ehrenamtlich an einer Schule im Schilderswijk in Den Haag unterrichte und auch ‚marokkanische Freunde‘ hat. Das erzählt er auch in dem Interview mit YousToub, wo sich aber auch zeigt, wie wenig er tatsächlich über deren Leben weiß. In dem Gespräch geht es um den Ramadan und Rutte zeigt sich erstaunt, dass im Fastenmonat der Muslime zwischen Sonnenauf- und untergang nicht nur nicht gegessen, sondern auch nicht getrunken werden darf („Echt? Auch kein Wasser?“). Integration als Einbahnstraße: wir müssen uns nicht für euch interessieren; ihr müsst euch einfach an uns anpassen. Hauptsache, ihr macht keinen Ärger. An sich ist es natürlich gut, dass der Ministerpräsident auch mit jungen Leuten spricht. Aber hier entsteht dann letztlich – bei mir – doch das Bild eines Wahlkämpfers auf Stimmenfang und einer als Toleranz verkleideten Gleichgültigkeit. Ob man so die Probleme der multikulturellen Gesellschaft in den Griff bekommt? Und ob man sich so von Geert Wilders und der PVV abgrenzen kann?
(Nachtrag am 22.1.: Nachdem ich diesen Text geschrieben hatte, hat Rutte eine Zusammenarbeit mit der PVV nahezu ausgeschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob es nach den Wahlen dabei bleibt.)

Das ganze Interview dauert 45 Minuten (= zu lange); es ist der erste Teil eines Spotify-Podcasts, in dem Rutte sich mit den Ansichten und Problemen der Niederländer/innen auseinandersetzen will. Man darf gespannt sein.

Aus der deutschen Perspektive ist es übrigens auch ganz interessant, das Interview von Rutte mit YousToub mit dem von Merkel und LeFloid zu vergleichen. Wenn man mehr wissen will über die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden, dann kann dieser Vergleich recht instruktiv sein…

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Der Beitrag wurde am Samstag, den 21. Januar 2017 um 12:43 Uhr von Matthias Hüning veröffentlicht und wurde unter Allgemein, Niederlande abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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