Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

De geenovereenkomstuittreding

Die Ära der großen Fernseh-Spielshows ist wahrscheinlich vorüber, aber lange Zeit waren niederländische Produktionen große Exportschlager – allen voran jene von Endemol. Rund um die Welt ging beispielsweise das Konzept von Deal or No Deal, hervorgegangen aus der Miljoenenjacht. In Dutzenden Ländern wurde die Show gesendet, oft mit dem englischen Titel. Auch eine Ausgabe auf Afrikaans gab es: Doen met ’n Miljoen! In Flandern hieß die Sendung zeitweise Te nemen of te laten (parallel zum Titel in Wallonien und in Frankreich: A prendre ou à laisser).

Aktuell ist die Formel no deal wieder bekannt, aber in einem komplett anderen Kontext: Ein Brexit ohne Abkommen zwischen Großbritannien und der EU. Rund um den EU-Austritt hat sich ein ganzes Inventar von Anglizismen gebildet, die in jede Menge andere Sprachen eingegangen sind, Niederländisch und Deutsch natürlich einbgeriffen. Dazu zählt der Brexit selbst, die Brexiteers (die für einen schnellen, möglichst weitgehenden Austritt sind), oder auch der Backstop (als Lösung für die Grenze in Irland).

Brexit-Wandbild von Banksy. (I. Giel, PD)

Im gesamten Brexit-Vokabular ist no deal wohl der interessanteste Fall. Übersetzt man es wörtlich, müsste es wohl kein Deal oder keine Absprache heißen (bzw. geen deal oder geen akkoord). Die Formel findet man in den unterschiedlichsten Kombinationen, mal alleine und mal in Komposita. Kommt noch der Brexit hinzu, blüht die Vielfalt der Formen besonders auf: mit Groß- und Kleinschreibung, mit Bindestrich oder ohne, mal noch in Anführungszeichen oder auch ohne. Ein paar niederländische Beispiele (auf Deutsch wird man einen ähnlichen Reichtum an Varianten finden):

no-deal Brexit (KVK)

No-Deal Brexit (Rijksoverheid)

no-deal-brexit (NOS)

‘no-deal’ brexit (Algemene Rekenkamer)

‘No deal-Brexit’ (nu.nl)

No deal-Brexit (ScienceGuide)

no deal Brexit (logistiek.nl)

Offenkundig ist: Wo ein Bindestrich hingehört, wo Großbuchstaben, wo Anführungszeichen – darüber herrscht so wenig Einigkeit wie im britischen Unterhaus. Das ist wenig verwunderlich, denn hier kommt vieles zusammen. Zunächst geht es um zwei Entlehnungen, die eigentlich unabhängig voneinander aus dem Englischen übernommen wurden und dann ein neues Kompositum bilden (das es auf Englisch aber auch gibt). Bei beiden muss jeweils geklärt werden, ob sie in der Zielsprache schon als etabliert gelten oder ob man sie mit Anführungszeichen als übernommen markieren muss. Das gilt für no deal wahrscheinlich noch eher als für Brexit. Zudem ist eine der Entlehnungen zweigliedrig, womit sich bei Komposita die Frage stellt, ob und wo man Bindestriche setzen sollte. Das fällt auch auf Deutsch vielen schwer (man denke an das Emmy Noether-Programm der DFG zur Nachwuchsförderung in der Wissenschaft). Zuletzt bleibt noch die Frage, ob man es mit einem Phänomen zu tun hat, das vielleicht einen Eigennamen trägt, also Großschreibung verlangt – und wenn ja, wo?

Die Entlehnung von no deal hat aber noch mehr Tricks auf Lager als nur die Vielfalt der Schreibweisen. In den Medien findet man beispielsweise auch solche Formulierungen:

May spreekt, EU denkt aan een no-deal (NRC)

De Belgische en Finse regeringen bereiden een ‘no deal’ voor (De Morgen)

Spannend, vertel me meer over de no-deal (NOS)

Alternative zum No-Deal (n-tv)

…dass der No-Deal am 29. März 2019 die wahrscheinlichste Austrittsform sein wird (Tagesspiegel, Userkommentar)

Das Kuriose liegt darin, dass no im Englischen bereits ein Determinierer ist, also eigentlich wie ein Artikel funktioniert. Trotzdem kommt noch ein neuer Artikel dazu, entweder bestimmt (de/der) oder unbestimmt (een/ein). Im Prinzip handelt es sich also um „ein kein Abkommen“. Die Formel no deal ist dann die direkte Entsprechung von Austritt ohne Abkommen, eben ohne Determinierer. Die Funktion von no ist praktisch verloren gegangen.

In Kreolsprachen sind solche Effekte noch weiter fortgeschritten. Dort wurden Artikel der europäischen Kolonialsprachen oft vollständig zu untrennbaren Bestandteilen des Substantivs; neue Artikel kamen dann hinzu, etwa enn lari (wörtlich abgeleitet: une la rue  eine Straße). Aber auch im Deutschen haben wir vereinzelt ähnliche Fälle, man kann etwa an aus der Lameng denken (von la main – die Hand).

Beispiele von Artikel + no deal ohne weiteres Substantiv sind deutlich schwieriger zu ergoogeln als solche mit. Es überwiegen in beiden Sprachen die Komposita wie No-Deal-Brexit oder sehr häufig auch No-Deal-Szenario. Dass so etwas funktionieren kann, wissen wir spätestens, seit der Film Keinohrhasen in die Kinos kam. Die Vorliebe zum Kompositum könnte darauf hindeuten, dass das no sich bei vielen noch ausreichend wie ein Determinierer anfühlt – und dass diese Eigenschaft in einem Kompositum schwächer wird oder weniger Konflikte mit dem hinzukommenden Artikel auslöst.

Übrigens braucht es gar nicht unbedingt eine Entlehnung. Das Englische scheint gelegentlich auch für sich alleine solche Konstruktionen zu erlauben (wobei sie dort ebenso selten sind wie auf Deutsch oder Niederländisch; auch in englischen Texten überwiegen bei weitem die Komposita):

The ‘no deal’ would mean that for every tonne of wheat that comes into Ireland a €95/t tariff would be applied to it. (agriland.ie)

The only hope would be that the ‘no deal’ could include an agreement to continue with the transition period. (Expatnetwork.com)

Es bleibt spannend, wie es mit no deal weitergehen wird. Dass der Begriff Brexit im Wortschatz erhalten bleiben dürfte, jedenfalls in den zukünftigen Geschichtsbüchern, das ist recht sicher. Beim no deal ist das weniger klar. Viel hängt davon ab, wie der Brexit letztendlich verlaufen wird. Aber die Formel kann natürlich in der Zukunft auch für andere Fälle benutzt werden, in denen eine ungesteuerte politische Entwicklung ohne Absprache droht. Bis dahin schafft es der Wildwuchs von Konstruktionen und Schreibweisen im Brexit-Vokabular jedenfalls bestens, das Chaos und die Unsicherheit dieses politischen Himmelfahrtskommandos hochsymbolisch abzubilden.

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Der Beitrag wurde am Dienstag, den 26. Februar 2019 um 09:18 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Allgemein, Grammatik, Sprachvergleich, Syntax, Wortbildung, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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