Disclaimer: Dieser Blogbeitrag enthält Spuren von Fußball und Sprachideologie.
In der Volkskrant erschien kürzlich ein Interview mit dem niederländischen Fußballer Regi Blinker, ehemals Mitglied der Nationalmannschaft, der 1969 in Paramaribo geboren wurde – in Suriname, einige Jahre vor der Unabhängigkeit. Das Gespräch ist insgesamt lesenswert und lehrreich: Interessante Einblicke über die Erfahrungen in der niederländischen Gesellschaft, in der Sportwelt, in der Familie. Und es kommt erstaunlich vieles vor, was für Sprachinteressierte spannend sein dürfte: Aussagen über Sprache(n) als auch Formulierungen und Ausdrücke, die ein paar Gedanken wert sind. Folgen wir einfach der Reihe nach der Lektüre.
Schon im Teaser zu dem Artikel greift die Redaktion eine ziemlich deutliche Bemerkung heraus: „Surinaams is niet een taal om even beleefd terug te praten tegen je ouders“. Das ist eine Einstellung, die man weiterhin recht häufig findet: Für die „höheren“ Bereiche der Kommunikation ist das Niederländische zuständig, Sranan steht eine Stufe darunter. Man kann nur spekulieren, welche Rolle es dabei spielt, dass diese Ansicht hier von jemandem geäußert wird, der selbst in den Niederlanden erfolgreich war und auf Niederländisch den Aufstieg geschafft hat.
Dass hier durchgängig von Surinaams die Rede ist und nicht von Sranan, auch das wirft ein paar Fragen auf. Beides benennt zwar dieselbe Sprache, aber damit sind die Begriffe noch lange nicht identisch. Mit Surinaams wird etwas spürbarer der Zusammenhang mit dem Land Suriname angedeutet, die Zugehörigkeit der Sprache zur Nation (jedenfalls nach meinem eigenen Eindruck – wer das anders sieht, möge mich korrigieren). Nicht unbedingt eine glasklare politische Entscheidung, aber in der Nuance auch nicht ganz egal.
Man tut Regi Blinker aber wahrscheinlich Unrecht, wenn man ihm eine starre, hierarchisierende Ideologie unterstellt. Sehr schön illustriert er den Wandel der Spracheinstellungen in der Gesellschaft, der sich bei ihm selbst spiegelt: Inzwischen spricht er gelegentlich doch Sranan mit seinen Kindern, und diese scheinen es auch einzufordern. In mehrsprachigen Familien ist es nicht selten, dass Kinder und Jugendliche ihre Haltungen zu den Sprachen in ihrem Umfeld ab und zu ändern, mal ablehnend, mal interessiert. Umso wichtiger ist es, dass Eltern darauf eingehen und den Kindern die Mehrsprachigkeit mitgeben können, die sie zu bieten haben. Dazu gehört der Gedanke: Wenn eine Sprache in früheren Jahren ausgeblendet wird, ist sie nicht so leicht wieder zurückzuholen.
Dass Blinker von „halfbloedkinderen met mooie krullen“ spricht, mag für deutsche Ohren sehr gewöhnungsbedürftig sein. Hier spielt nicht unbedingt nur der Unterschied von Konnotationen zwischen Niederländisch und Deutsch eine Rolle. Was man sagt, hängt nämlich auch davon ab, wer man ist. Bemerkungen über die Haare von people of colour werden oft als übergriffig wahrgenommen, da ist Respekt und Zurückhaltung gefordert; und quasi-berechnende Einteilungen über „Blutsanteile“ verbieten sich für Weiße ziemlich von selbst. Hier geht es aber um eine Äußerung aus der in-group heraus, und das macht einen gewaltigen Unterschied. Die Bedeutung einer Aussage ist immer kontextabhängig und nicht starr in der Sprache allein festgelegt. Die sprechende Person und die Frage, wo sie sich sieht, ist ein ganz zentraler Faktor des Kontextes.
„In dat elftal begon de straattaal langzaam z’n weg te vinden.“ – Das sagt Blinker über die Kommunikation in der Fußballmannschaft. Für viele ist straattaal fest verbunden mit Sranan, auch wenn dazu natürlich noch viel mehr gehört. Blinkers Vorstellung ist nah an dem, wie Sprache oft konzeptionalisiert ist: Sie besteht aus Wörtern. Und wenn man Wörter aus dem Sranan ins Niederländische übernimmt, entsteht straattaal. Eher beiläufig erfahren wir, was bis heute im Blick auf Kontaktphänomene wie straattaal oder auch Kiezdeutsch gerne ausgeblendet wird: Daran sind auch Sprecher beteiligt, die nicht den sichtbaren ‚Migrationshintergrund‘ haben. Blinker kann offenbar davon berichten, dass das von Anfang an der Fall war. Damit ist er ein durchaus wertvoller Informant, denn die Entstehung von Multiethnolekten ist noch lange nicht zuende erklärt.
Besonders faszinierend ist die Abschlussfrage ganz unten: „Wit of blank?“ – „Automatisch blank. Wit klinkt harder en directer, dichter bij racisme en discriminatie.“ Damit ist Regi Blinker genau umgekehrter Meinung als die NOS-Redaktion, die den Begriff blank inzwischen vermeidet.
Fazit der Lektüre: Gespräche mit Sportlern gelten oft als intellektuell unterfordernd, gerade Fußballer als unterkomplexe Körpermenschen. Das Interview hilft nebenbei mit, auch dieses Stereotyp noch einmal zu durchbrechen.
Tags: Auf Deutsch, bal-bol-kogel