Der Sprachpurismus hatte es schwer in letzter Zeit. Mit Corona wurden unzählige Anglizismen angespült, vom Lockdown bis zum Superspreader. Einige davon machten Karriere als Wörter des Jahres, andere als Unwörter, sei es im Deutschen, im Niederländischen oder in anderen Sprachen.
Seit Ende 2020 naht aber Hoffnung. Als wäre es ein Zeichen, scheint nicht nur die Entlehnung sondern auch die Pandemie gebremst zu werden durch die Impfung. Wer die deutsche Sprache liebt, begeistert sich über Konsonantenhaufen wie in Impfpflicht. Aber der Sprachpurismus wäre nicht er selbst, würde er nicht auch hier den Fremdkörper identifizieren und anprangern: das Vakzin.
Viele stören sich daran, finden es affektiert und fragen, warum man nicht einfach Impfstoff sagen könne, wie alle vernünftigen Menschen. Ob es nun englisch, französisch, lateinisch ist – jedenfalls ist das Vakzin offenbar vor allem eins: fremd. Und überhaupt, daneben gibt es auch noch die feminine Variante die Vakzine. Kann man sich da nicht wenigstens entscheiden? Nun, vernünftig ist dann auch das Niederländische nicht, denn dort gibt es neben der inenting und dem entstof auch die vaccinatie mit dem vaccin.
Siehe da, man hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die Schreibweise an die niederländische Orthographie anzugleichen, während wir im Deutschen mit dem K und dem Z doch recht germanisch tun. Und der Impfstoff ist anscheinend auch immun gegen den Lautwandel des Niederländischen.
Schauen wir ähnlich aufgebaute Wörter an, etwa medicijn oder kapucijn. Ein C hat man den Wörtern noch belassen, damit die romanische Herkunft nicht völlig verschwindet, ansonsten hat man sie aber konsequent nederlandisiert, auch mit dem K am Anfang. Zudem können wir in der letzten Silbe einen Diphthong erkennen, wo die ursprünglich französische Form -cine oder -cin hatte, das Lateiniche -cina bzw. -cinus. Mit dem niederländischen IJ in der betonten Silbe hat man sich zugleich beim kapucijn eine artikulatorische Zumutung erspart, nämlich die französische Nasalierung.
Beim vaccin dagegen nichts von alledem. Nicht nur bleibt man in der Schreibweise bei einem doppelten C, was im Niederländischen äußerst selten vorkommt, sondern es bleibt in der Aussprache sogar der Nasalvokal erhalten. Woran liegt das? Die Erklärung ist vermutlich relativ simpel: Impfungen sind in der bekannten Form einfach zu neu. Das Wort vaccin ist im Niederländischen erst ab dem 19. Jahrhundert belegt, die anderen beiden Wörter dagegen einige Jahrhunderte früher. Sie hatten schlichtweg mehr Zeit zur Anpassung. Bis von einem vaccijn oder gar einem vakcijn die Rede sein wird, dürfte es noch eine Weile dauern. Das sehr ähnlich aufgebaute, altehrwürdige Wort accijns (Verbrauchssteuer) hat den Wandel zum ij schon lange hinter sich, aber es ist zu sehr ein Nischenbegriff um als Vorbild für eine Analogie zu taugen und es hat zudem eine etwas andere, komplizierte Lautgeschichte.
Wenn man beim vaccin genau hinhört – und das Wort wird ja momentan oft genug ausgesprochen – ist der Nasalvokal bisweilen schon spürbar geschwächt. Manchmal ist es ziemlich mühsam, mit dem Ohr genau wahrzunehmen, ob nicht doch bereits ein ij zu hören sein könnte. Liegt es nur daran, dass ich es so gerne heraushören möchte? Je länger die Debatte über die Lieferschwierigkeiten in Europa andauert, desto besser stehen jedenfalls die Chancen für den Sprachwandel.
Das deutsche Vakzin hat sich im Vergleich dazu schon längst seinem neuen Wirt angepasst, ohne ihm zu schaden. Die einzige Nebenwirkung: Ein paar Nörgeleien aus der sprachpuristischen Ecke.
Tags: Auf Deutsch, der menschliche Körper, Lehnwörter, Wissenschaft