„Am nächsten Tag hatte lediglich ein einziges Kind die Aufgabe erfüllt.“

Ein Beitrag von Kristina

Die Kinder einer Klasse, welche aus Erst- und Zweitklässlern besteht, hatten das Thema Sonnenblumen. Dabei befassten sie sich damit, wie aus einem Samen eine Sonnenblume entsteht. Sie arbeiteten mit Arbeitsblättern und Videomaterial. Ihre Klassenlehrerin hatte für den nächsten Tag geplant, sich mit echten Sonnenblumen auseinanderzusetzen. Deshalb sollten alle Kinder für den nächsten Tag eine Sonnenblume mitbringen. Diese Aufgabe schrieben die Zweitklässler in ihre Hausaufgabenhefte, den Erstklässlern halfen die Klassenlehrerin und ich. Am nächsten Tag hatte lediglich ein einziges Kind die Aufgabe erfüllt. Alle anderen Kinder nicht. Die Lehrerin war sichtlich erbost darüber und sagte in einem lauten Ton: „Es war klar, dass ich mich nicht auf euch verlassen kann“.

Meine Einsichten

Der Umgang mit dieser Lehrkraft stellte eine große Herausforderung für mich da. Viele ihrer Unterrichtsweisen konnte ich nicht oder nur bedingt nachvollziehen. Mir war klar, dass viele Kinder keine Sonnenblume mitbringen werden, da ein Abend nicht genügt, um diese Aufgabe zu erfüllen. Ich hatte im Hinterkopf, dass die Eltern berufstätig sind und vielleicht erst spät nach Hause kommen – zu einer Uhrzeit, zu der Blumenläden in der Regel bereits geschlossen haben. Ich musste einsehen, dass nicht jeder, der den Beruf einer Lehrkraft ausübt, sensibilisiert für solche Themen ist. Die Schule, in der ich mein Beobachtungspraktikum gemacht habe, zeichnet sich dadurch aus, dass beinahe alle Kinder einen Migrationshintergrund haben und der größte Teil der Eltern Transferleistungen beziehen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Eltern arbeitslos sind. Ich kenne es aus meiner Grundschulzeit, dass meine Eltern trotzdem versucht haben, etwas dazu zu verdienen, trotz Transferleistungen. Ich finde, dass man dafür ein Gespür haben muss, vor allem wenn man an so einer Schule unterrichtet. Ich habe die Reaktion der Lehrkraft als äußerst unangemessen empfunden.

Meine Folgerungen

Es sollten viel mehr Lehrkräfte für solche Schwierigkeiten sensibilisiert werden. Für den einen mag diese Aufgabe wahrscheinlich banal klingen und leicht zu erfüllen sein. Doch ich konnte gut nachvollziehen, wieso fast die gesamte Klasse nicht die Aufgabe erfüllt hat. Ich habe einige Kinder versucht darauf anzusprechen, wieso sie keine Sonnenblume mitgebracht haben. Ein Kind sagte, dass seine Eltern es durchaus versucht haben und einen Blumenladen aufgesucht haben. Nur leider war dieser bereits geschlossen. Zwei Kinder sagten, dass ihre Eltern gar nicht wissen, wo man so etwas herbekommt und dass sie die Lehrerin danach fragen wollten.

Meine Anschlussfragen

  • Wie sensibilisiert man angehende Lehrkräfte für Schwierigkeiten sozioökonomisch schwacher Familien?
  • Wie kann ich professionell und nachhaltig meine zukünftigen Kolleginnen und Kollegen auf unangemessenes Verhalten hinweisen?
  • Darf ich mich in den Unterricht meiner zukünftigen Kolleginnen und Kollegen einmischen?

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