„… kickte er Karatekid-mäßig seine Bücher vom Tisch.“

Ein Beitrag von Natalie W.

Ich hospitierte in einer 4. Klasse in der ersten Stunde Deutsch. Ein Junge in dieser Klasse, kaum 10 Jahre alt, galt als eines der Problemkinder an der Schule. Das Kollegium warnte mich schon vor ihm und erzählte von seinen vergangenen Wutausbrüchen, die mit Beleidigungen und weggeworfenen Stühlen endeten. Gleichzeitig wurde mir von seiner tragischen Geschichte in der Familie erzählt und „das man ihn eigentlich verstehen könne“. Nach diesen Geschichten, war ich natürlich gespannt auf die Deutschstunde. Als ich in den Klassenraum kam, schien mir die Klasse jedoch sehr friedlich. Der besagte Junge war auch für den größten Teil der Stunde nicht auffällig, ich fragte mich schon ob ich in der richtigen Klasse saß.

Da es eine der ersten Stunden im Schuljahr war, sah sich die Klasse zunächst ihre neuen Bücher an und meldeten sich immer, wenn sie etwas neues entdeckten. Danach wurde ein Spiel mit dem Wörterbuch gespielt. Die Lehrerin gab ihnen ein Wort und welche Sitzreihe dieses zuerst fand, bekam einen Punkt. Der besagte Junge machte begeistert mit. Er freute sich immer sehr, wenn seine Reihe einen Punkt sammelte und suchte begierig in seinem Wörterbuch. Doch dann kam ein Wort, dass die halbe Klasse nicht fand. Mit jeder Minute wurde er ungeduldiger und man merkte ihm an, dass er dieses Wort jetzt endlich finden wollte. Nach einiger Zeit begann er zu schimpfen und meinte, dass es das Wort nicht gäbe und wurde sehr wütend. Irgendwann ließ die Lehrerin die Situation dann auflösen und beendete das Spiel. Nachdem alle ihre Bücher und Hefte wieder ordentlich an den rechten Rand des Tisches gelegt hatten, wurde der Junge noch wütender, ließ sich immer mehr von seinen Mitschüler*innen aufstacheln und kickte seine Bücher dann Karatekid-mäßig von dem Tisch. Wäre es eine andere Situation gewesen, wäre ich vermutlich beeindruckt gewesen, wie hoch er sein Bein bekam. Die Lehrerin beobachtete ihn genau, unternahm allerdings nichts außer die anderen Schüler*innen dazu zu bringen, mit dem Unterricht weiter zu machen. Er saß auf seinem Platz und schrie Beleidigungen durch die Gegend, dann wurde er still. Nach 10 Minuten stand er auf, hob seine Bücher auf, setzte sich wieder hin und meldete sich, so als wäre nichts gewesen.

Meine Einsichten und Folgerungen

Ich fand es beeindruckend, wie die Lehrerin die Situation einschätze und aktiv entschied, nichts zu tun. Gerade in solchen Situationen ist wichtig, genau zu überlegen, wie man reagiert. Man muss genau abwägen können, ob er sich und andere in dem Moment verletzt oder ob eine negative Reaktion auf sein Verhalten die Situation noch verschlimmert hätte. Dafür muss man den Schüler genau kennen und genau wissen, wie sich solche Situationen entwickeln können. Auch ihr ständiges Beobachten, während sie den Unterricht trotzdem fortsetzte, zeugen von einem enormen Maß an Multitasking. Als Lehrkraft muss man seine Schüler*innen also genau kennen und jede Situation neu einschätzen können. Ich war wirklich sehr beeindruckt und hoffe, mit etwas mehr Erfahrung, genauso ruhig blieben zu können.

Meine Anschlussfragen

  • Wie erkennt man ob ein Eingreifen notwendig ist oder nicht?
  • Was hätte man tun können um diese Situation zu vermeiden?
  • Wie kann dem Jungen längerfristig geholfen werden?
  • Wie kann man das komplette Klassengeschehen beobachten und kontrollieren?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Captcha
Refresh
Hilfe
Hinweis / Hint
Das Captcha kann Kleinbuchstaben, Ziffern und die Sonderzeichzeichen »?!#%&« enthalten.
The captcha could contain lower case, numeric characters and special characters as »!#%&«.