„ … fragte mich ein außenstehender Junge: „Können Sie Streit lösen? Das müssen Sie an dieser Schule können.“

Ein Beitrag von Clara W.

Während meines Orientierungspraktikums, das ich an einer Brennpunktschule in Berlin-Wedding absolvierte, erlebte ich eine mich zum Nachdenken bringende Situation, die im Folgenden dargestellt werden soll. Während einer Hofpause bemerkte ich, dass ein Streit zwischen zwei Jungen der vierten Klasse zu eskalieren drohte. Sie fochten ihre Meinungsverschiedenheit nicht mehr nur mit Worten aus, sondern wurden auch handgreiflich. Ich ging zu den Schülern herüber, wo sich neugierig immer mehr Kinder ansammelten, um die Situation zu beobachteten. Als ich dazwischen ging und versuchte die Jungen zu beruhigen und sie auseinanderzubringen, fragte mich ein außenstehender Junge namens B.: „Können Sie Streit lösen? Das müssen Sie an dieser Schule können.“

Inzwischen waren die Jungen auseinandergegangen, warfen sich aber noch immer boshafte Blicke zu, diskutierten und waren jeden Moment wieder bereit, sich erneut zu prügeln. Der Junge B., der sich zurückgehalten, die Situation aufmerksam verfolgt hatte und die beiden sich streitenden Jungen zu kennen schien, griff ein und stellte ihnen Fragen. So sollte erst der eine Junge den Streit aus seiner Perspektive schildern, anschließend bekam der andere Junge die Möglichkeit, die Auseinandersetzung aus seiner Sicht darzustellen. Ich hielt mich zurück und ließ den Jungen die Situation klären und den Streit schlichten. Die sich streitenden Jungen nahmen den Jungen B. sehr ernst und antworteten gewissenhaft auf die gestellten Fragen. Nachdem sie sich ausgesprochen hatten, bemerkten sie, dass es sich bei ihrem Streit um ein Missverständnis gehandelt hatte. Nach dem Gespräch spielten die beiden zusammen weiter.

Meine Einsichten

Das Verhalten des Jungen, welcher den Streit zwischen den beiden Kindern löste, fand ich beeindruckend. Er achtete darauf, dass sich beide Jungen gegenseitig aussprechen ließen, sich durch Perspektivenwechsel in die Situation des anderen hineinversetzten und dem anderen und seinen Worten Aufmerksamkeit geschenkt wird. Durch die oben beschriebene Situation wurde mir klar, dass es sehr wirksam sein kann, Kinder untereinander Streite lösen zu lassen. So hatte ich den Eindruck, dass sich die Jungen ernst genommen fühlten von dem Jungen B., der auf Augenhöhe mit ihnen die Gründe des Streits herausarbeitete. Auch da sich die drei Kinder bereits kannten, konnte der Streitschlichter den Jungen besser Einsichten vermitteln und wurde nicht als erziehende, maßregelnde Person wahrgenommen.

Natürlich ist es nicht immer möglich, dass Kinder selbstständig untereinander Konflikte bewältigen, aber der Ansatz von Konfliktlots*innen auf dem Pausenhof halte ich für eine wertvolle, gewinnbringende Möglichkeit. Die streitschlichtenden Kinder lernen dabei, beide Konfliktparteien gleichermaßen zu unterstützen und Ansätze für Lösungen und Kompromisse herauszuarbeiten. Für die sich streitenden Kinder können Schülerkonfliktlots*innen Personen sein, denen sie eher persönliche Informationen anvertrauen und von denen sie sich verstanden fühlen.

Meine Folgerungen

Nicht immer ist es für Lehrkräfte leicht, die Probleme der SchülerInnen sofort aufzufassen und zwischen den unterschiedlichen Charakteren und ihren Vorstellungen zu vermitteln. Und dennoch wird von Lehrkräften unentwegt ein Konfliktlösevermögen gefordert und ist ein immanenter Bestandteil des Lehrerdaseins. Wesentlich ist, denke ich, dass man den Kindern zuhört, sie ausreden lässt, sich in sie einfühlt und ihnen demonstriert, dass man Anteil nimmt an ihren Gefühlen und Sorgen. Anstatt die Kinder zu maßregeln und sie „erziehen“ zu wollen, sodass sie das Gefühl bekommen, ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben zu bekommen, sollte die gegenseitige Verständigung und Achtung im Mittelpunkt stehen. So können anschließend Problemsituationen im Gespräch auf Augenhöhe durch gegenseitiges Zuhören und Vermitteln geklärt werden.

Meine Anschlussfragen

  • Welche Möglichkeiten gibt es neben Konfliktlots*innen noch, Kindern unser Wertesystem eines respektvollen Umgangs und der gewaltfreien Begegnung in Konfliktsituationen weiterzugeben und die Kinder dabei selbst Verantwortung übernehmen zu lassen?
  • Wie kann man Kindern verständlich machen, dass das Prinzip der Vergeltung nicht der richtige Weg zur Lösung eines Problems ist, sodass sie folglich Gewalt nicht mehr mit Gegengewalt beantworten?
  • Welche konkreten Möglichkeiten gibt es für StudentInnen über die Ausbildung an der Universität hinaus, sowie für Lehrkräfte, etwa durch die Teilnahme an Fortbildungen und Seminaren, sich mit den Themen Gewaltprävention und Konflikttraining auseinanderzusetzen?

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