Von Mitte Oktober bis Mitte Dezember 2024 war ich Praktikant in einem Stadtteilmuseum in Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens. Das Museum hatte ich bei einem vorherigen Aufenthalt besucht und bei der Gelegenheit das Kollektiv kennengelernt, Kontakt gehalten und mich bereits mit der Praktikumsidee für meinen MA in Global History beworben.
Meine Erfahrung war sehr positiv. Das Museum versteht sich als Gegenentwurf zu institutionellen Erinnerungsorten, was sich neben den ausgestellten Inhalten (Gegenstände aus dem Alltagsleben der Menschen vor Ort) auch in einer freien Organisationsform widerspiegelt. Das Museumteam agiert unentgeltlich und entscheidet ohne nennenswerte Hierarchien im Kollektiv. Von Beginn an wurde ich als vollwertiges Mitglied in Entscheidungs- und Arbeitsprozesse einbezogen. Meine Hauptaufgabe bestand darin, an einem Archivierungsprojekt mitzuwirken. Von ausgewählten Exponaten habe ich Foto-, Video- und Audioaufnahmen angefertigt und diese durch entsprechende Texte ergänzt. Das so erstellte Material wird auf der Internetseite des Museums eingepflegt und darüber hinaus in einer Online-Anwendung des Centro Nacional de Memoria Historica verwendet; einer –hier doch– nationalen Institution, die der Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts im Land verpflichtet ist.
Obwohl mein Aufenthalt für die Praktikumseinrichtung also einen konkreten Nutzen hatte, war es für das Museumsteam mindestens ebenso wichtig, dass ich die lokalen Zusammenhänge verstehe, die die Grundlage der Erinnerungsarbeit darstellen. Neben meiner konkreten Praktikumstätigkeit, habe ich deshalb auch viele Stunden in der Nachbarschaft verbracht und als Gast und Helfer an Community-Events teilgenommen.
Siloé, der Stadtteil, dessen Geschichte das Museum bewahrt, wurde in Cali von Beginn an buchstäblich marginalisiert. Anfang des 20. Jahrhunderts siedelten erste Minenarbeiter an einem Hügel außerhalb der eigentlichen Stadtgrenzen. Backstein und Beton haben mittlerweile Bambus, Stroh und Lehm als bevorzugtes Baumaterial ersetzt. Trotzdem schiebt sich ein Großteil der Häuser weiter ohne Baugenehmigung den Hang hoch, an dem das Viertel liegt. Strukturelle Benachteiligung zeigt sich in teils improvisierter Energieversorgung und Abwasserbeseitigung; ans städtische Müllentsorgungsnetz angeschlossen wird Siloé erst Mitte der 1980er Jahre. Unmittelbar spürbar sind prekarisierte Lebensverhältnisse aber zuallererst auf eine andere Art: Es gibt kaum Platz. Im Viertel selber wird von 11 Quadratzentimetern Öffentlichem Raum pro Person gesprochen. Die Zahl habe ich zwar nicht überprüft, eine Fahrt mit der zum ÖPNV gehörenden Seilbahn über Siloé reicht aber aus um zu verstehen, dass den Menschen kaum Privatsphäre zur Verfügung steht. Nicht in Haushalten, in denen bisweilen ganze Familien in einem oder zwei Zimmern wohnen, und auch nicht auf der Straße, auf die sich deswegen automatisch das alltägliche Leben verschiebt.
All das und eine Reihe weiterer Faktoren führen dazu, dass dem Stadtteil und seinen Bewohnenden ein soziales Stigma anhaftet. Als ich kolumbianischen Bekannten vor meiner Reise vom Ort meines Praktikums erzählte, erntete ich hochgezogene Augenbrauen. Taxifahrer bitten schon mal wieder auszusteigen, sobald sie verstanden haben, dass es nach Siloé gehen soll und glaubt man den entsprechenden Videos auf Youtube, handelt es sich hier um eins der gefährlichsten Viertel Lateinamerikas.
Diesen Vorurteilen und der notorischen nicht- oder miss-Repräsentation ein eigenes Narrativ entgegenzusetzen ist Aufgabe des Museo Popular de Siloé. Damit sich Menschen ein vollständigeres Bild machen können, gehören Spaziergänge –caminatas de memoria– zum obligatorischen Teil eines Museumsbesuchs. Die Nachbarschaft, die dabei erkundet wird, ist allerdings von unsichtbaren Bandengrenzen durchzogen. Es empfiehlt sich also trotz angebrachter Skepsis gegenüber Stereotypen und Panikmache das Viertel nicht auf eigene Faust zu erkunden.
Wenn euch das zu sehr abschreckt oder einfach nicht so interessiert, keine Sorge. Cali hat eine ganze Menge zu bieten. Das Kulturprogramm während meines Aufenthalts war ziemlich beeindruckend. Die Salsa WM, ein internationales Ballettfestival, ein Filmfestival und eine Buchmesse fanden teilweise zeitgleich statt. Außerdem war Cali Ausrichter der COP16 – der Biodiversitätskonferenz der UNO. Auch wenn diese durchaus gemischt
aufgenommen wurde, gab es ein großes –gut besuchtes– kulturelles Rahmenprogramm.
Nach Weihnachten findet die Feria von Cali statt, eine Art Stadtfest mit unzähligen Bühnen und Konzerten. (Wer in der Nähe des Pascual Guerrero Stadions wohnt, kann alles von zu Hause aus hören). Solltet ihr ausgerechnet in einer Phase ohne Großveranstaltungen in der Stadt ankommen, gibt es viele Salsaclubs und -schulen, dazu eine Menge Kunsthandwerk, Druckereien und Kollektive, die sich in diesem Bereich engagieren. Außerdem hat Cali eine coole Punk-Szene.
Wer sich für Sport und Natur interessiert findet in und um Cali viele (Ausflugs-)Möglichkeiten. Beliebte Beschäftigungen am Wochenende sind im Fluss sitzen (es gibt verschiedene) und auf den Berg Tres Cruces klettern. Letzteres ist teilweise ziemlich anstrengend. Einmal oben angekommen warten eine Freiluftkapelle, ein Freiluftgym und eine super Aussicht über die Stadt. Grundsätzlich ist es in Cali ziemlich heiß und kein Haus in dem ich war hatte Heizung oder warmes Wasser. Im Herbst scheint Regen aber nicht ungewöhnlich.
Der ÖPNV in Cali ist gut, wird aber –mit Ausnahme der Seilbahn in Siloé– ausschließlich von Bussen getragen. Diese werden viel genutzt, was das Vorankommen teilweise etwas verlangsamt. Radfahren als Fortbewegung habe ich als unpraktisch empfunden: Es gibt kaum Radwege, die Luftqualität ist nicht ideal und andere Verkehrsteilnehmende nehmen keine Rücksicht. Ich war daher viel zu Fuß unterwegs. Wenn es schnell gehen muss, sind Taxis oder alternative Fahrdienste für Menschen mit deutschem Einkommen relativ günstig.
Zum Abschluss noch ein wichtiger Hinweis: Wer kein Fleisch ist, kann trotzdem in Cali überleben. Obwohl ich die kolumbianische Küche als sehr unvegetarisch kennengelernt habe, gibt es eine Reihe vegetarisch/vegane Restaurants in der Stadt, bei denen ein Mittagessen in der Regel allerdings etwas mehr kostet. Es gibt viele Alternativen zu Milchprodukten. Die sind aber eher teuer (Hafer-/Sojamilch) oder teuer und selten (Joghurt). Dafür gibt es in jedem Supermarkt CARVE, texturisiertes Soja. Empfehlungen sind ansonsten: Burger der Marke B-Getal im Tiefkühlfach beim EXITO-Supermarkt und das Schokoladeneis von NOT CO.
Bildquellen: privat.
Tipps für andere Praktikant:innen
Vorbereitung
Den größten Vorlauf brauchte in meinem Fall die Promos Bewerbung. Außerdem habe ich mich vor der Abreise bei einer entsprechenden Praxis über notwendige und sinnvolle Impfungen beraten lassen. Ein Nachweis über die Gelbfieberimpfung ist bei der Einreise Pflicht (wobei das bei mir nicht abgefragt wurde). Weil bei manchen Impfungen der volle Schutz erst nach mehreren Monaten eintritt, ist es ratsam diesen Prozess früh zu beginnen.
Beantragung Visum
Mit deutscher Staatsbürgerschaft ist es möglich, sich bis zu 180 Tage im Jahr als Tourist:in in Kolumbien aufzuhalten. Allerdings muss bei Einreise ein entsprechendes Formular (checkmig) vorgelegt werden. Darauf wurde ich von der Fluglinie hingewiesen. Wichtig: Fünf Tage vor Ablauf der ersten 90 Tage müsst ihr eine Verlängerung beantragen. Wer das, wie ich, vergisst, zahlt eine Strafe.
Praktikumssuche
Meine Stelle habe ich über einen privaten Kontakt organisiert.
Wohnungssuche
Ich habe bei Freund:innen gewohnt und musste mir deshalb keine Wohnung suchen.
Versicherung
Meine Versicherung konnte ich durch das Promos Stipendium über den DAAD laufen lassen. Wichtig ist, dass ihr während des Auslandsaufenthalts in Deutschland weiterversichert seid – eure Auslandsversicherung also eine Zusatzversicherung sein muss. Es gibt eine Reihe Angebote, die alle nicht besonders teuer sind.
Sonstiges
Mir ist während meiner Zeit in Cali nichts passiert, berichte von bewaffneten Überfällen sind aber üblich. Kein Grund zur Panik, aber schaut euch bei den Leuten vor Ort ab, wann und wo es sinnvoll ist, nicht alleine unterwegs zu sein. Außerdem: ein Bekannter wurde bei einem Tinderdate mit K.O.-Tropfen ausgenommen. Auf das Risiko weist aber bereits das Auswärtige Amt hin.
Formalitäten vor Ort
Telefon-/Internetanschluss
SIM-Karten gibt es, wie in Deutschland, überall zu kaufen. Meine war von dem Anbieter Claro, auf den hier viel geschimpft wird. Ich hatte aber keine Probleme. Einen Internetanschluss gab es in meiner Wohnung bereits.
Bank/Kontoeröffnung
Ich habe vor Ort kein Konto eröffnet und alle paar Wochen Geld mit meiner Kreditkarte abgehoben. Grundsätzlich wird in Kolumbien viel über den Bezahldienst NEQUI abgewickelt. Dafür braucht ihr eine Telefonnummer.
Alltag/Freizeit
Ausgehmöglichkeiten
In Cali gibt es ein großes Angebot, insbesondere wenn ihr euch für Salsa interessiert. Ich war vor allem im Fitnessstudio. Meine Empfehlung: FyF BOX in Miraflores.
Sonstiges
Mückenspray nicht vergessen.