Meine 6 Monate bei der Livraria das Insurgentes waren definitiv herausfordernd, nervenaufreibend aber zur gleichen Zeit sehr bereichernd und eine großartige Erfahrung.
Leben in Lissabon: Im Vergleich zu Städten wie Berlin wirkt Lissabon sehr überschaubar, was ich jedoch sehr genoss. Kleine Straßen und alles sehr fußläufig trotz des vielen Auf und Abs. Die Stadt zeichnet sich besonders durch die vielen kleinen Parks und den sogenannten Miradouros (Aussichtspunkten) aus, von welchen man immer einen schönen Blick auf die Stadt und des Flusses Tejos hat. Fast alle meine Freund*innen wohnten auch nur 10-15 Minuten zu Fuß von mir entfernt, was spontanere Treffen definitiv einfacher machen. Besonders im Sommer ist Lissabon eine Stadt, in der man viel draußen unternimmt. Eine der Lissabonner Besonderheiten für mich sind auch die kulturellen Organisationen, in denen man für 2-3 Euro Mitglied werden kann und so wöchentlich neben Küfas (gemeinschaftlichem Kochen) auch Konzerten oder Kunstausstellungen besuchen kann.
Ich habe mein 6-monatiges Praktikum bei der Livraria das Insurgentes in Lissabon absolviert. Es handelt sich hier nicht um eine gewöhnliche Buchhandlung, da es darüber hinaus eine gemeinnützige Organisation ist, welche neben dem Verkauf von Büchern, ausschließlich geschrieben von Frauen und nicht binären, auch Workshops, Events und Debatten rund um das Thema Feminismus organisiert.
Durch mein Romanistikstudium hatte ich mich bereits vermehrt mit feministischer Literatur auseinandergesetzt und hatte den Wunsch in meinem Praktikum mein Wissen in diesem Bereich weitervertiefen zu können. Da ich zuvor schon ein halbes Jahr in Lissabon gewohnt hatte und bereits Portugiesisch sprach fiel mir die Recherche für geeignete Praktikumsstellen etwas leichter, dennoch kontaktierte ich dutzende Organisationen und war überglücklich, als ich die Zusage der Livraria das Insurgentes bekam.
Anders als in Deutschland gibt es in Portugal nicht allzu viel finanzielle Unterstützung, seitens der Regierung, für gemeinnützige Organisationen, insbesondere wenn es sich um Themen wie Feminismus handelt. Als ich mein Praktikum anfing, befand sich das Projekt gerade in einer Umbruchsphase. Die Organisation hatte zuvor eine große Finanzierung seitens des Lissabonner Senats erhalten, welche aber nach erneuter Beantragung leider nicht weiter gestattet wurde. Dies beeinflusste in gewisser Weise meinen Beginn in dem Projekt, da Personen, die zuvor angestellt waren, nun nur ehrenamtlich an dem Projekt arbeiten konnten. Da ich die Finanzierung durch Erasmus Plus erhielt und schon vorher wusste, dass ich keine weitere finanzielle Unterstützung durch meine Praktikumsstelle erhalten würde, beeinflusste mich dies nur indirekt.
Das Projekt befand sich zu meinem Praktikumsbeginn in einem Reorganisierungsprozess, was für mich zu Beginn etwas chaotisch und überfordernd wirkte. Da ich bereits in anderen Vereinen ehrenamtlich tätig war, war ich jedoch gewisse Dynamiken im Kulturbereich schon gewohnt und konnte aufgrund dieser Erfahrungen gewisse Methoden und Arbeitsweisen direkt anwenden, was sehr hilfreich war.
Das Team des Projektes bestand zu diesem Zeitpunkt nur aus einem hauptamtlichen und weiteren ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen. Deshalb arbeitete ich besonders zu Beginn eng mit meiner Vorgesetzten zusammen.
Gerade durch die kleine Teamstruktur wurde ich von Anfang an in alle Aufgaben miteingebunden. Was mir sehr gefiel war, dass ich von Anfang an als vollständiges Mitglied behandelt wurde und in wichtige Entscheidungsprozesse eingebunden wurde. Zur gleichen Zeit bedeutete dies eine hohe Verantwortung, jedoch konnte ich immer offen kommunizieren, falls mich etwas überforderte.
Mit etwas Einarbeitung und Zeit lebte ich mich gut in der Organisation ein und verstand mich sehr gut mit meinen Arbeitskolleg*innen. Mir gefiel besonders, dass ich sehr vielfältige Aufgaben hatte. Es reichte von eher bürokratischen Aufgaben hinzu praktischen und kreativen Aufgaben wie die Vor- und Nachbereitung von Events oder Workshops. Außerdem verbesserte ich durch den täglichen Gebrauch von Portugiesisch sehr meine Portugiesischkenntnisse. Obwohl ich vorher schon sehr gute Kenntnisse hatte, bekam ich so noch mehr Sicherheit insbesondere im Sprechen der Sprache.
Seit einigen Jahren hegt die Livraria das Insurgentes eine enge Zusammenarbeit mit einem Kollektiv/Organisation namens „Manas“, welches aus einer Gruppe von Frauen und nicht binären Personen besteht, welche unter anderem Drogenkonsument*innen, Sexarbeiter *innen oder Personen ohne Obdach sind. Eines der Hauptziele der Zusammenarbeit mit diesem Kollektiv ist zum einen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sowie des Arbeitsmarktes durch Workshops und Angeboten wie die der Ausbildung zu Bibliothekar*in.
Vor meines Praktikumsbeginn wusste ich bereits, dass ich mit Personen zusammenarbeiten werde, die Konsument*innen von Drogen wie Crack oder Heroin sind, jedoch war dies besonders zu Beginn eine neue Herausforderung für mich. Im Laufe der Zeit gewöhnte ich mich jedoch daran und konnte etwas selbstsicherer damit umgehen, ohne meine eigenen Grenzen zu überschreiten. Besonders diese Zusammenarbeit hat mir viel gelehrt und nachblickend gesagt wachsen lassen. Außerdem erhielt ich verschiedene Einblicke in bestimmte Dynamiken des portugiesischen Kulturbereiches und hatte die Möglichkeit, an Veranstaltungen wie Universitätskonferenzen zum Thema Sexarbeit oder einer Veranstaltung teilzunehmen, bei der unbekannte Künstler geehrt wurden, die sich wie die Mitglieder des Manas-Kollektivs in prekären Situationen befinden.
Abschließend gesagt kann ich sagen, dass ich definitiv durch einige Höhen und Tiefen gegangen bin, jedoch durch die tatkräftige Unterstützung meiner Arbeitskolleg*innen nie allein auf mich gestellt war. Ich habe viel neues gelernt und das Praktikum hat mir neue Perspektiven gezeigt, insbesondere auf soziokulturelle Ebene in Portugal. Zum anderen habe ich neue Motivation gewonnen mich weiter in diesem Bereich weiterzubilden. Alles in Allem bin ich sehr dankbar diese Erfahrung gemacht zu haben und kann nur jedem ans Herz legen ein Praktikum im Rahmen der Erasmus Förderung zu machen, da man so nicht nur professionelle Erfahrungen gewinnen kann, sondern darüber hinaus die Möglichkeit hat ein neues Land und neue Kultur kennenzulernen.
Tipps für andere Praktikant:innen
Vorbereitung
Am besten alle Unterlagen vor dem Aufenthalt im Ausland schon abgeschickt haben, da die Post im Ausland sehr teuer oder unzuverlässig sein kann
Beantragung Visum
Da ich mein Praktikum innerhalb Europas gemacht habe, musste ich kein Visum beantragen
Praktikumssuche
Da ich schon vorher in Lissabon gewesen bin, hatte ich schon einige Kontakte. Darüber Hinaus habe ich viel im Internet und auf sozialen Netzwerken recherchiert und ungefähr 20 Organisationen kontaktiert.
Wohnungssuche
Definitiv viel Zeit dafür einplanen. Ich hatte große Schwierigkeiten eine WG zu finden. Für Portugal empfehle ich auf Facebook und Idealista zu suchen oder versuchen in Whatsappgruppen wie Eramus Lisbon nachzufragen. Es gibt viele Betrüger auf allen möglichen Plattformen, deshalb würde ich nie vorher Geld überweisen, bevor man die Wohnung nicht persönlich gesehen hat. Leider bekommt man oft keinen Vertrag vom Vermieter/in und in vielen Wohnungen werden Besuche nie gestattet oder nur wenn man pro Tag mehr bezahlt. Bei solchen Vereinbarungen würde ich sehr vorsichtig sein, insbesondere wenn es keinen Vertrag gibt.
Versicherung
Ich hatte bevor meinem Auslandsaufenthalt schon eine Auslandsversicherung
Formalitäten vor Ort
Telefon-/Internetanschluss
Internetanschluss war in meiner WG schon vorhanden. Für mein Handy habe ich meinen deutschen Vertrag weiterbehalten.
Bank/Kontoeröffnung
Ich habe weiter meine Deutsche Bankkarte benutzt. Ich glaube es lohnt sich nur wenn man länger als 6 Monate in Portugal hat und den Wohnsitz hier offiziell anmelden kann.
Alltag/Freizeit
Ausgehmöglichkeiten
In Lissabon gibt es sehr viele kulturelle Organisationen die neben Konzerten, Küfas (Küche für Alle) und verschiedenen Workshops, sich mit politischen Zuständen wie der Häuserkriese auseinandersetzen. Diese Orte sind eine gute Möglichkeit neue Menschen kennenzulernen, insbesondere Portugies*innen
Beispiele: Zona Franca, Disgraça, Sirigaita, Renovar a Mouraria, Busparagem, Emaus, Desterro
Sport: Es gibt verschiedene Sportvereine in welchem man zu einem geringen Preis verschiedene Sportmöglichkeiten wahrnehmen kann. Ich bin häufig zu „Grupo deportivo da Mouraria“ zum Acroyoga gegangen
Sonstiges
Auch wenn Lissabon eine sehr internationale Stadt ist und man sich gut auf Englisch verständigen kann, ist es immer gut gesehen, wenn man zumindest ein bisschen Portugiesisch kann. Je nachdem in welchem Bereich man ein Praktikum finden möchte, kann es schwierig werden einen Platz zu bekommen, wenn man kein Portugiesisch spricht. Zumindest trifft dies auf den Kulturbereich hier zu.