Ich habe ein Praktikum bei einem gewerkschaftlichen Dachverband in Brüssel absolviert. Innerhalb des Verbands arbeiten unterschiedliche Gewerkschaften aus zahlreichen Ländern zusammen, um die Aktivitäten der EU-Institutionen im Bereich Arbeit und Soziales zu beobachten, begleiten und beeinflussen. Es gibt in Brüssel verschiedene Gewerkschaftsverbände, die häufig nach Wirtschaftssektoren organisiert sind. So gibt es beispielsweise einen Dachverband für Gewerkschaften des Bildungswesens, des Transportsektors oder der Versorgungswirtschaft.
Das Büro, in dem ich tätig war, hat ca. 25 Mitarbeitende und ist damit für Brüsseler Verhältnisse ein vergleichsweise großes Lobbybüro. Die Mitarbeitenden kommen aus den verschiedensten Ländern, nur im administrativen Bereich sind überwiegend Belgier*innen anzutreffen. Ich war während meines Praktikums die einzige Deutsche im Büro.
Die Arbeitssprache im Büro ist Englisch, es werden jedoch auch andere Sprachen gesprochen, insbesondere Französisch. Veranstaltungen finden in der Regel mit Unterstützung von Dolmetscher*innen statt. Insgesamt kommt man in Brüssel mit Englisch sehr gut zurecht, obwohl die meisten Einheimischen französische Muttersprachler sind. Deutsch ist eine der Amtssprachen, was im Notfall hilfreich sein kann. Ich habe neben meinem Praktikum einen Französischkurs besucht. Da Sprachschulen vor Ort sehr teuer sind, habe ich den Kurs online über eine Berliner Volkshochschule absolviert. Diese Investition hat sich in jedem Fall gelohnt, lernt man doch viel schneller, wenn man täglich mit der neuen Sprache konfrontiert wird.
Was meine Tätigkeiten anging, war ich in meinem Praktikum sehr frei. Ich durfte zahlreichen Netzwerktreffen der Mitgliedergewerkschaften beiwohnen sowie an Meetings mit Arbeitgeberverbänden und Mitgliedern der Europäischen Kommission teilnehmen. Außerdem hatte ich die Erlaubnis, jederzeit an Veranstaltungen teilnehmen, die für mich oder mein Studium von Interesse waren, auch wenn sie nicht in direktem Zusammenhang mit meinen Aufgaben als Praktikantin standen. Am Anfang fühlte ich mich fast ein wenig verloren, weil es kaum konkrete Erwartungen an mich zu geben schien. Letztendlich lag der Schlüssel darin, selbst die Initiative zu ergreifen und Vorschläge zu machen, was ich für die Organisation tun könnte. Dies kannte ich aus vorangegangenen Praktika eher weniger. Schlussendlich schrieb ich verschiedene Websiteartikel, ein Briefing für den geschäftsführenden Ausschuss und ein Paper, half bei der Vorbereitung einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne und entwarf ein an die EU-Kommission gerichtetes Statement, das dann von verschiedenen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden unterzeichnet wurde.
Neben meinem Praktikum blieben ausreichend Freiräume, um das Leben in Brüssel zu erkunden. Die berühmte Brüsseler Blase mit zahlreichen „Expats“ aus verschiedensten Ländern, die im gleichen institutionellen Kontext tätig sind, ist sicherlich besonders, wenn nicht sogar einzigartig auf der Welt. Insbesondere donnerstags, wenn alle EU-Mitarbeitenden am Place du Luxembourg zum Feierabendbier zusammenkommen, spürt man den besonderen Charakter der Stadt. Dass Brüssel im Herzen Europas liegt, merkt man spätestens dann, wenn man am Wochenende ohne viel Aufwand nach Amsterdam, Paris oder London fährt. Meine persönlichen Höhepunkte waren jedoch meine Ausflüge in andere belgische Städte – ich hatte die Schönheit des Landes bei Weitem unterschätzt.
Insgesamt kann ich allen, die Lust auf eine Auslandserfahrung haben, ein Erasmus+ Praktikum wärmstens empfehlen. Gerade wer während seines Studiums schon einmal im Ausland studieren durfte (z.B. im Rahmen eines Auslandssemesters während des Bachelorstudiums), wird im Rahmen eines Auslandspraktikums noch einmal neue und andere Erfahrungen machen. Ich habe sowohl fachlich als auch persönlich sehr viel aus dieser Zeit mitgenommen und bin dankbar dafür, dass ich von diesem großartigen Programm profitieren durfte.
Vorbereitung
Gerade in Pandemiezeiten empfiehlt es sich, zusätzlich zu Plan B auch noch einen Plan C und D in der Tasche zu haben. Ich habe mich während der gesamten Vorbereitungszeit darum bemüht, flexibel zu bleiben und mich bei Zeitpunkt, Zeitraum und Ort meines Auslandspraktikums nicht zu sehr festzulegen.
Praktikumssuche
Die Suche nach einem Praktikumsplatz im Ausland kann entmutigend sein. Mein Eindruck ist, dass sich Politik- und Sozialwissenschaftler*innen häufig bei den großen, bekannten internationalen Organisationen nach einem Praktikumsplatz umschauen. Denjenigen, die dort nicht zu den wenigen Auserwählten zählen, und denjenigen, die zeitlich eingeschränkt sind, empfehle ich, den Blick auch nach links und rechts zu richten. Gerade in Brüssel gibt es unzählige Lobby-Büros, in denen man ebenfalls interessante Einblicke in die „EU- Blase“ erhalten kann und bei denen sich eine Initiativbewerbung lohnt. Lediglich von sehr kleinen Büros mit weniger als 10 Mitarbeitenden würde ich abraten.
Wohnungssuche
Es gibt verschiedene Facebook-Gruppen, die nützlich sein können, z.B. „Wonen in Brussel“
und „Deutsche in Brüssel“. Ich habe mein Zimmer über housinganywhere.com gefunden, eine Plattform für kurz- und mittelfristige Zimmervermietung. Ein vergleichbarer Anbieter ist nestpick.com. Man zahlt für die Vermittlung eine Gebühr, hat dann aber auch ohne vorherige Besichtigung die Sicherheit, dass das Zimmer wirklich existiert.
Versicherung
Ich war während meines Aufenthalts durch die Gruppenversicherung des DAADs für 38,00 Euro im Monat auslandskranken-, unfall- und privathaftpflichtversichert. Der Abschluss war einfach und ich war froh, alle notwendigen Versicherungen in einem Paket zu erhalten.
Telefon-/Internetanschluss
Sofern in der Unterkunft WLAN gestellt wird, braucht man sich um Telefon und Internet keine Gedanken zu machen. Deutsche Handyverträge sollten dank des EU-Rechts ohne Mehrkosten weiter genutzt werden können.
Bank/Kontoeröffnung
Vor Antritt meines Aufenthalts habe ich ein kostenloses Konto bei der DKB beantragt, das eine kostenlose Kreditkarte beinhaltet und entgeldfreies Geldabheben im Ausland ermöglicht. Da in Brüssel so gut wie immer mit Karte bezahlt werden kann bzw. muss – sogar im Bus zahlt man mit Kreditkarte – war dies eine sehr sinnvolle Entscheidung.
Ausgehmöglichkeiten
Wer wollte, musste in Belgien auch in Zeiten hoher Infektionszahlen nicht auf Barabende, Festivals und Clubbesuche verzichten. Brüssel hat ein reiches Kulturleben, spannende Museen (z.B. das Comic-Museum, die Train World und die königlichen Museen der Schönen Künste) und zahlreiche wunderschöne Parks. Sehr empfehlen möchte ich Wochenendausflüge in umliegende Orte wie Gent, Brügge, Antwerpen, Leuven oder Namur. Zugtickets sind sehr preisgünstig, sodass die genannten Orte am Wochenende für unter 10 Euro (Roundtrip) erreicht werden können.