Balance-Akt

In der Öffentlichkeit wie in der Fachliteratur wird häufig von Work-Life-Balance gesprochen, was jedoch inhaltlich aus mehreren Gründen problematisch ist: Der Begriff suggeriert, dass Arbeit nicht wirklich zum „Leben“ dazugehöre und dass privat nicht gearbeitet werde; Familienarbeit wie Haushalt, Pflege von Angehörigen und Kindererziehung, ehrenamtliche Tätigkeiten u.ä. werden hier ignoriert, obwohl zu vermuten ist, dass sich diese Aspekte auf das Erleben einer Balance auswirken. Demgegenüber kann festgehalten werden, dass in beiden Bereichen Anforderungen und Verpflichtungen sowie Interessen und Bedürfnisse eine wichtige Rolle spielen und sich auf das Erleben einer Balance auswirken können (zsfd. hierzu auch Blahopoulou, 2012). Daher bevorzuge ich den Begriff der Life-Balance.

Life-Balance umfasst noch weitere Facetten; sie kann sich nämlich auf sehr unterschiedliche Dinge beziehen: auf tatsächlich verbrachte Zeit, auf psychische und körperliche Anforderungen und Beanspruchungen, auf die Erreichung von persönlichen Zielen und und und … Bei einer gestörten Life-Balance wird oft vermutet, dass sich das Berufsleben negativ auf das Privatleben auswirkt (manchmal auch umgekehrt). Diese gegenseitige Beeinflussung wird fachlich auch gern mit Spillover betitelt und sie kann – das wird häufig vergessen – natürlich auch positiv sein: So kann eine Person z.B. von ihren im Privatleben erworbenen Organisationskompetenzen auch beruflich profitieren.

Eine Vielzahl von Rollen und Funktionen wird oft mit einer (Über-)Belastung assoziiert, obwohl ebenfalls argumentiert wird, dass Menschen von vielfältigen Rollen profitieren und Ressourcen aufbauen können. Die Frage ist m.E. weniger, welche der beiden Hypothesen zutrifft, als vielmehr, unter welchen Bedingungen die eine und wann die andere gilt.

Grenzgänger*innen

Susan Campbell Clark (2000) hat dazu eine Theorie über die Grenzen zwischen Arbeit und Familie formuliert und Erwerbstätige als Grenzgänger*innen bezeichnet. Sie hat z.B. Hypothesen dazu aufgestellt, unter welchen Bedingungen z.B. sehr starke Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sinnvoll und hilfreich sind für eine gelungene Life-Balance und wann nicht. Die Stärke der Grenzen wird der Theorie zufolge durch ihre Durchlässigkeit[1] und Flexibilität/Starrheit bestimmt und soll eine zentrale Rolle für die Life-Balance spielen. Clark vermutet, dass starke Grenzen sich dann positiv auswirken, wenn Arbeits- und Privatleben sich in vielen Dimensionen unterscheiden; bei großen Ähnlichkeiten hingegen sollen schwache Grenzen positiv erlebt werden. Wenn Grenzen nur in eine Richtung durchlässig sind, aber nicht in die andere[2], dann ist eine stärkere Identifikation mit dem besonders stark „geschützten“ Bereich hilfreich, um eine positivere Life-Balance zu erleben. (Im unten genannten Beispiel wäre es also vorteilhaft für die betroffene Person, sich besonders mit ihrem Beruf zu identifizieren.) Ob eine Trennung von Arbeit und Privatleben zu empfehlen ist, hängt demnach von den Umständen ab. Dabei ist der Einfluss der betreffenden Person auf die Festlegung der Grenzen ebenfalls relevant: Je mehr die Grenzen selbst beeinflussbar sind, desto positiver fällt die Life-Balance aus.

Aktuell wird auch im akademischen Arbeitskontext besonders spürbar, dass „zu Hause arbeiten“ oftmals mit sehr schwachen, durchlässigen Grenzen einhergeht. Gerade diejenigen, die aktuell keinen eigenen, ungeteilten oder aber keinen ruhigen Raum zum Arbeiten haben, wissen die sonst selbstverständlichen Grenzen zum Büro oder zur Ruhe der Bibliothek in der Uni ganz neu zu schätzen (siehe auch Facts des Monats Mai). Es wird auch deutlich, dass „zu Hause arbeiten“ die ganze Vielfalt von Arbeit umfasst: Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung, Betreuung von erkrankten oder pflegebedürftigen Menschen, Haushalt, …

Klar ist, dass Life-Balance immer wieder neu gefunden werden muss, erst recht in dieser Zeit. Wie es Ihnen aktuell damit ergeht und wie Sie die letzten Wochen erlebt haben, interessiert uns ganz besonders und wir laden Sie ein, uns gern dazu ein kurzes Statement, ein Foto oder kurzes Video zu schicken (schreiben Sie uns: Frauenbeauftragte EwiPsy). Wenn Sie das zusätzlich erlauben, machen wir Ihren Beitrag auch gern anderen Angehörigen des Fachbereichs zugänglich!

Literatur

Blahopoulou, J. (2012). Work-Life-Balance-Maßnahmen: Luxus oder Notwendigkeit? Organisationale Unterstützung und ihre Auswirkungen. München: Hampp.

Clark, S.C. (2000). Work/family border theory: A new theory of family/work balance. Human Relations, 53(6), 747-770.

[1] Unter einer durchlässigen Grenze versteht sie, dass Elemente des jeweils anderen Bereichs präsent sind (z.B. Familienfotos auf der Arbeit, Anrufe von der Arbeit nach Hause usw.).

[2] Beispiel: Wenn das Privatleben auf der Arbeit in keiner Weise präsent ist und die Arbeitszeiten nicht an private Bedürfnisse angepasst werden (können), die betreffende Person jedoch zu Hause stets beruflich zu erreichen sein muss, spräche man davon, dass die Grenze der Arbeit sehr stark/undurchlässig und die des Privatlebens eher schwach/durchlässig wäre.

17. März 2020

Im Jahr 2020 fällt der Equal Pay Day in Deutschland zum ersten Mal auf den 17. März; im vergangenen Jahr war es der 18. März, vor zehn Jahren fiel er auf den 26. März – ein Fortschritt? Was bedeutet dieser Tag? Er markiert deutlich die Verdienstlücke zwischen Männern und Frauen in Deutschland: Bis zu diesem Tag arbeiten Frauen hier im Durchschnitt seit Jahresbeginn zusätzlich zum vergangenen Jahr (also quasi unentgeltlich), um genauso viel Geld verdient zu haben wie die Männer allein im Vorjahr. Das heißt in Zahlen: Frauen verdienen faktisch hierzulande im Durchschnitt 21% weniger als Männer, und damit gehört Deutschland gemeinsam mit Estland und der Tschechischen Republik europaweit zu den Schlusslichtern (eurostat). Dieser Umstand führt zum sogenannten Gender Pension Gap: Deutsche Rentnerinnen erhalten im Durchschnitt nur etwa 53% dessen, was Männer als Rente beziehen (Drucksache 18/13119 des Deutschen Bundestages).

Gründe für den Gender Pay Gap

Ein Teil dieses Unterschieds ist darauf zurückzuführen, dass Frauen …

  • häufiger Teilzeit arbeiten,
  • häufiger (unbezahlte) Pflege-/Sorgeaufgaben übernehmen und
  • häufiger Berufe ergreifen, die trotz gleicher Qualifikationsstufe schlechter bezahlt werden (z.B. Krankenpflege vs. Handwerk).

Aber auch dann, wenn man diese Faktoren berücksichtigt und einen sogenannten bereinigten Gender Pay Gap berechnet, zeigt sich, dass Frauen für dieselbe Arbeit im Mittel 6% weniger verdienen. Das heißt, Frauen werden systematisch benachteiligt!

Gender Pay Gap überall –  in der Wissenschaft …

„Das kann aber nicht im Öffentlichen Dienst und daher auch nicht an der Universität passieren!“ Glauben Sie? Leider ein Irrtum! Sicher: Bei den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen gibt es keinen Spielraum; hier verdienen Frauen in der Regel genauso viel wie Männer. Sobald es aber an die Besoldungen der Professor*innen geht, bei denen Leistungsbezüge zum Grundgehalt dazukommen, tut sich wieder einmal ein Abgrund auf, wie Hubert Detmer (2020) unter Rückgriff auf Daten des Statistischen Bundesamtes für die Jahre 2018 aufzeigt.

Quelle: eigene Abbildung [unter Rückgriff auf Angaben des Statistischen Bundesamts nach Detmer (2020)]
Der Gender Pay Gap ist besonders eklatant in der höchsten Besoldungsstufe: Während er 2018 immerhin 3,3 % bei W1 und 4,3% bei W2-Professuren beträgt, steigt er bei W3-Professuren auf 7,8%!

Gender Pay Gap überall – … und in den Köpfen

Zwei in letzter Zeit häufiger zitierte Studien mit bundesdeutschen repräsentativen Daten von Katrin Auspurg und Kolleg*innen (2017) sowie Jule Adriaans und Kolleg*innen (2020) kommen zu dem Ergebnis, dass Männer wie Frauen es als gerecht bewerten, wenn Männer mehr verdienen (der Unterschied liegt – je nach Studie – zwischen 3 und 8 %). Gleichzeitig heißt es, dass fast alle Befragten eingangs die Meinung vertreten hätten, dass unabhängig vom Geschlecht gleiche Arbeit auch gleich bezahlt werden sollte.  Ist das nicht widersprüchlich?

Die Erklärung dafür liegt in der Art, wie gefragt wurde:

  1. Wurden Personen gebeten, grundsätzlich zu beurteilen, ob Männer und Frauen für die gleiche Arbeit auch gleich viel Geld bekommen sollten, also im direkten Vergleich, waren sie sich einig: JA!
  2. Wurden sie hingegen einzeln gefragt, ob es gerecht wäre, wenn Person XY (das Geschlecht war erkennbar) in einer bestimmten Situation ein bestimmtes Gehalt erhält, also im indirekten Vergleich, zeigte sich, dass die Befragten den fiktiven Frauen für die gleiche Arbeit weniger Geld zusprachen als den fiktiven Männern. Hier waren sie sich also auch einig: NEIN! Offenbar sind hier nach wie vor geschlechterstereotype Zuschreibungen zu beobachten, und zwar gleichermaßen bei Männern wie Frauen.

Was können wir tun?

  1. Wir müssen strukturelle Maßnahmen weiter vorantreiben. Hindernisse für eine Vollzeitstelle müssen weiter abgebaut werden (etwa in Form ausreichender Betreuung von Menschen, die diese brauchen); gleichzeitig sollten Männer weiterhin ermuntert werden, diese Formen von Arbeit mit den Frauen gerecht zu teilen (Equal Care) und auch wertzuschätzen. Karriereperspektiven von Frauen sollten weiterhin gefördert werden. Die diskriminierungsfreie Bewertung aller Berufe muss weiter vorangetrieben werden; ein Beispiel ist hier die Kampagne zur Neudefinition der Hochschulsekretariate: FairNetztEuch.
  2. Gehälter müssen transparent sein. Das Entgelttransparenzgesetz soll Arbeitnehmende dabei unterstützen, ihren Anspruch auf Gleichbezahlung durchsetzen zu können. Zwar erfahren sie dadurch u.U. lediglich, wie viel Kolleg*innen verdienen, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben; dennoch ist das eine wichtige Information, um z.B. als angehende Professorin besser verhandeln zu können.
  3. Und nicht zuletzt sollten wir uns auch an die eigene Nase fassen und an unseren eigenen Stereotypen arbeiten. Was wir aus der Forschung wissen, ist: Je mehr geschlechtsneutrale Vorbilder wir haben, desto mehr wandeln sich auch unsere Stereotype. War es vor 30 Jahren noch „Wahnsinn“, wenn ein Mann mit seinem Kind tagsüber auf  dem Spielplatz war, ist das heute normal. Künftig sollte es keine Meldung mehr sein, dass die erste Vorstandsvorsitzende der BVG  wirklich eine Frau war und fünf Kinder hat …
Quellen

Adriaans, J., Sauer, C., & Wrohlich, K. (2020). Gender Pay Gap in den Köpfen: Männer und Frauen bewerten niedrigere Löhne für Frauen als gerecht. DIW Wochenbericht, 10/2020, 147-152.

Auspurg, K.,  Hinz, T., & Sauer, C. (2017). Why should women get less? Evidence on the Gender Pay Gap from multifactorial survey experiments. American Sociological Review, 82 (1), 179–210.

Detmer, H. (2020). Welche W-Besoldungen zahlen die Bundesländer wirklich? Forschung & Lehre, 27, 32-34.