Code of Conduct (CoC) für die digitale Lehre – nettes Add-on oder doch unverzichtbar?

Der Umstand, dass Studierende aktuell fast ausschließlich online am Unigeschehen teilnehmen, lässt den Blick nicht nur auf gelingende Lehre richten, sondern auch auf Begleitumstände und Folgen. So berichten 86% der befragten Studierenden einer umfassenden Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dass in Zeiten der digitalen Semester der Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte zu Mitstudierenden schwieriger geworden sind (Marzuk et al., 2021). Ähnlich wurden fehlende Kontakte im Stimmungsbild 6/2020 unseres Fachbereichs nach dem ersten digitalen Semester in allen Statusgruppen beklagt. Vieles spricht dennoch dafür, dass die Möglichkeiten zum digitalen Austausch nicht nur zum Lernen und Diskutieren genutzt werden, sondern – infolge mangelnder Alternativen – auch zum Kennenlernen unter den Studierenden, v.a. bei den „Erstis“. Und das ist auch gut so. Aber müssen wir nochmal aufschreiben, wie wir uns „benehmen“?

Wie das Einmaleins des respektvollen Umgangs miteinander (auch) zum Werkzeug gegen Diskriminierung und Belästigung wird

Seit Juli 2020 haben wir es schriftlich: Der Code of Conduct der FU benennt nicht nur, dass alle Beteiligten in der digitalen Lehre respektvoll miteinander umgehen. Er konkretisiert das auch mit scheinbaren Banalitäten wie „Wir hören einander aufmerksam zu“ oder „Wir stellen das Mikrofon auf stumm, wenn wir einer Veranstaltung beitreten“ oder mit dem Hinweis, dass keinerlei Äußerungen/Verhaltensweisen geduldet werden, die unangemessene Inhalte verbreiten oder andere diskriminieren. Ja, klar, aber warum Selbstverständliches aufschreiben?

Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb!

Im aktuellen Welt-Mädchenbericht 2020 von Plan International (#FreeToBeOnline) wird v.a. eins deutlich: So doll lieb dann wohl doch nicht. 14.000 Mädchen und junge Frauen wurden in 22 Ländern weltweit zu ihren Erfahrungen in den sozialen Medien befragt; ihre Antworten sind ernüchternd. Jede zweite wurde bereits online belästigt, beschimpft oder bedroht; die Angaben zum Erstalter fangen bei acht Jahren an (Pehlke, 2020).

Auch wenn diese Ergebnisse selbstverständlich nicht 1:1 auf den universitären Alltag übertragen werden können oder sollen, müssen wir damit rechnen, dass auch an der Universität diskriminiert, beleidigt und belästigt wird. Grobes Fehlverhalten ist dabei relativ einfach einzuordnen. Schwieriger ist es, wenn die Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Verhalten nicht so deutlich ist. Sicherlich würde man zu Unrecht von (Cyber-)Stalking sprechen, wenn jemand nach einem unbeantworteten Kontaktversuch nochmal nachfragt (z.B. per Mail oder mittels eines Instant-Messaging-Dienstes). Wenn hingegen eine Beziehung wiederholt eingefordert wird, obwohl die Zielperson deutlich gemacht hat, dass sie den Kontakt nicht wünscht, könnte die Grenze erreicht sein. Zentral ist, dass die Lebensführung der Zielperson schwerwiegend beeinträchtigt wird, wenn sie sich also bedroht und belästigt fühlt. Und um genau so etwas nicht hinzunehmen, um Belästigte verteidigen und schützen zu können, brauchen wir den Code of Conduct!

CoC ist kein Knigge 3.0 – Verstöße können rechtliche Folgen haben!

Der Code of Conduct ist nämlich kein Knigge 3.0, dessen Benimmregeln man nach Lust und Laune befolgen kann (oder auch nicht …). Er ist verbindlich an der FU und wird von der FU-Richtlinie zum Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt ergänzt. Geklärt ist dabei, was passiert, wenn Personen sich nicht an diese Festlegungen halten. Bei gemeldeten Regelverstößen erfolgt zunächst eine Anhörung aller Betroffenen und es wird versucht, die Situation zu klären. Im nächsten Schritt können dann (in Abhängigkeit von Art und Ausmaß des Vorfalls/der Vorfälle) Konsequenzen gezogen werden, von schriftlicher Aufklärung/Absichtserklärung über Ausschluss von Lehrveranstaltungen und/oder Abmahnung bis hin zur Kündigung/Exmatrikulation und/oder Strafverfolgung.

Was ist zu tun?

Wenn Sie selbst betroffen sind:

  • Überlegen Sie, mit wem Sie darüber sprechen möchten, und kontaktieren Sie diese Person oder Institution. Dieser Kontakt kann auch dann (sehr) sinnvoll sein, wenn Sie sich nicht so ganz sicher sind, was Sie von der Situation halten sollen.
  • In jedem Fall können Sie z.B. die Dozierenden, das Dekanat oder die dezentrale Frauenbeauftragte kontaktieren. Weitere Anlaufstellen an der FU finden Sie hier. Externe Beratungsoptionen finden Sie zudem ganz am Schluss des Beitrags.
  • Die Art der Kontaktaufnahme ist ebenfalls Ihnen überlassen: online, telefonisch oder ggf. per Videokonferenz; dabei kann online- und telefonische Beratung auf Wunsch auch anonym geschehen.
  • Vertraulichkeit und Schweigepflicht sind für Berater:innen selbstverständlich!

Wenn Sie Zeug:in solcher Regelverstöße geworden sind:

  • Schauen Sie hin und werden Sie aktiv!
  • Machen Sie deutlich, dass Sie das inadäquate Verhalten nicht tolerieren.
  • Bieten Sie der betroffenen Person Ihre Unterstützung an.
  • Überlegen Sie (falls sinnvoll), wie Sie sich mit ihr solidarisieren können (unter Berücksichtigung der Wünsche der betroffenen Person).
  • In manchen Fällen – wenn die betroffene Person z.B. gar nicht weiß, dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt werden – kann es auch notwendig sein, den Vorfall zu melden.

Bevor Sie eine private Chat-Gruppe zu Studienzwecken bilden (mit welchem Dienst auch immer):
Prüfen Sie, ob es nicht genauso ein User-Wiki oder ein User-Blog der FU tut, also eine der sog. „inoffiziellen“ Plattformen der FU, die auch von Studierenden genutzt werden können. Dann nämlich kann die FU als Institution bei Bedarf (Regelverletzungen) auch juristisch aktiv werden!


Hilfe und Beratung gibt es hier (eine Auswahl):

  • Bundesweites Hilfetelefon für Frauen, die Gewalt erlebt haben: 0 8000 116 016
  • Externe Chatberatung: https://www.hilfetelefon.de/  (u.a. Beratung in 17 Sprachen und Gebärdensprache)
    (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben)
  • Die Beratungsstelle Stop-Stalking berät (a) Betroffene von Stalking, (b) Menschen, die stalken, sowie (c) Dritte, die beruflich oder als Angehörige mit Stalking zu tun haben: https://www.stop-stalking-berlin.de/de/home/

Quellen

Marczuk, Anna, Multrus, Frank, & Lörz, Markus (2021). Die Studiensituation in der Corona-Pandemie. Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lern- und Kontaktsituation von Studierenden. (DZHW Brief 01|2021). Hannover: DZHW. https://doi.org/10.34878/2021.01.dzhw_brief

Pehlke, Viktoria (2020). Jedes zweite Mädchen wird im Internet belästigt. Katapult. [https://katapult-magazin.de/de/artikel/jedes-zweite-maedchen-wird-im-internet-belaestigt]

Plan international (2020). Free to be online? [https://www.plan.de/freedom-online.html]

Wann ist das Thema Rassismus endlich beendet?

Gibt es Rassismus in Deutschland denn überhaupt noch so wirklich?

Eine Stellungnahme von Leonie Adu-Gyamfi

In den letzten Wochen und Monaten ist die Debatte um Rassismus durch verschiedene Ereignisse, insbesondere auch durch den Tod von George Floyd verstärkt in den Blick der deutschen und internationalen Gesellschaft gerückt, so der Eindruck zumindest, wenn man sich die mediale Berichterstattung der letzten Zeit ansieht.

Der Ist-Zustand der Gesellschaft, in der wir hierzulande tagtäglich unserer Leben gestalten, der Ist-Zustand unserer institutionellen Systeme, der diese Gestaltung maßgeblich beeinflusst, wird von vielen scheinbar „erst jetzt“ oder auch „jetzt mal wieder“, nicht selten auch explizit abwertend „jetzt schon wieder“ als diskriminierend und insbesondere rassistischentlarvt“.

Es ist absolut richtig und wichtig, dass das Thema Rassismus angesprochen wird. Dabei ist es meiner Meinung nach jedoch besonders wichtig, konkret darüber zu sprechen, dass Rassismus hier bei uns im System steckt! Nicht woanders. Nicht nur in den USA, nicht nur bei der Polizei. Rassistische Sozialisierung ist tief verwurzelt in unserer Gesellschaft und lenkt bewusst und unbewusst unser Denken, unsere Sprache und unser Handeln.

Diese Sozialisierung führt dazu, dass Konstrukte über Herkunft und Nationalität, über Zugehörigkeit und Anderssein existieren und immer und immer wieder reproduziert werden. Die daraus resultierenden rassistischen und diskriminierenden Zuschreibungen erschweren und gefährden tagtäglich das Leben vieler Menschen bis auf den Tod.

Sie betreffen konkret das Leben von Menschen, die dem Bild der Dominanzgesellschaft nicht entsprechen. Dieses Bild ist jedoch so stark, dass sich kleine, deutsche Schwarze Mädchen (ja, es gibt sie haufenweise!) wünschen, wie Claudia Schiffer aus der Fernsehwerbung auszusehen, damit ihr Leben leichter wird. Dieses Bild ist so stark, dass Schwarze deutsche Väter ihren Kindern beibringen, wie sie sich bei einer Polizeikontrolle zu verhalten haben, ihnen eintrichtern, dass sie immer mehr geben und immer besser sein müssen als ihre weißen Freund*innen, um die gleiche Anerkennung und die gleichen Bildungschancen zu erlangen. Dieses Bild ist so stark, dass Menschen auf Grund ihrer äußeren Erscheinung bespuckt, beschimpft, geschlagen und getötet werden. Das sind keine Einzelfälle, das sind keine persönlichen Probleme, das ist bittere, alltägliche Realität in Deutschland, das ist ein Zeugnis von tief verwurzeltem Rassismus.

Deshalb ist die Frage, ob Rassismus in Deutschland überhaupt (noch) eine Rolle spielt, in meinen Augen ein Zeugnis der Unwissenheit oder Ignoranz, in jedem Falle jedoch ein Zeugnis der Privilegien der Fragenden. Denn warum und von wem wird diese Frage so laut und oft gestellt, wenn die Antwort darauf doch von so vielen schon so oft mit einem eindeutigen und schmerzhaften JA, verdammte Scheiße beantwortet wurde? Warum dreht sich die Debatte immer noch vorrangig darum, ob und wie genau Rassismus vorliegt, wenn seit Jahren strukturelle Daten und empirische Erkenntnisse über die Situation in Deutschland und zahlreiche Berichte von Betroffenen vorliegen? Warum liegt der Fokus darauf, wie wir diese Debatte führen, und nicht darauf, wie wir diese Debatte lösen? Die viel wichtigere Frage sollte inzwischen doch sein:

Wie können wir Rassismus bekämpfen?

Ich denke, dazu brauchen wir strukturelle, tiefgreifende Veränderungen auf verschiedensten Ebenen, und zwar am besten jetzt. Denn es kann nicht sein, dass Kinder im Zoo Berlin durch die Scheibe ins Affengehege gedrückt werden, weile weiße Erwachsene der Meinung sind, sie gehören dahin. Es kann nicht sein, dass ich mich jedes Mal für meine Herkunft rechtfertigen muss, wenn ich gefragt werde, woher ich komme. Es kann nicht sein, dass man von mir verlangt, mich mit anderem Namen vorzustellen, nur weil mein eigener zu schwierig ist. Das Problem ist nicht der Name, die Herkunft, das Aussehen. Das Problem ist ein anderes und das muss klar erkannt, benannt und bekämpft werden, und zwar vor allem von denen, die eben nicht direkt Betroffen sind, denn wer mit offensichtlichem „Migrationshintergrund“ in Deutschland aufwächst und lebt, weiß schon lange, dass Rassismus in Deutschland existiert und wie er sich anfühlt und wird daran auch regelmäßig erinnert. Die Ob-Frage ist demnach überflüssig und mehr noch: Sie behindert eine progressive Auseinandersetzung mit möglichen Lösungen.

Doch was bedeutet das jetzt? Wie finden wir Lösungen?

Für mich persönlich bedeutet das, dass ich trotz all der Wut, all der Enttäuschung und Fassungslosigkeit, all den Stimmen sowohl in meinem eigenen Kopf als auch in meinem Umfeld, die an der zarten Hoffnung auf systemische Veränderung laut und kritisch zweifeln, mich aktiv zu positionieren, politisch aktiv zu werden und dafür meine zugeschriebenen Positionen zu nutzen.

Da die Welt eben nicht nur schwarz und weiß ist, habe ich in diesem System trotz Schwarzer Haut auch Privilegien, wie z.B. den deutschen Pass oder den Zugang zu einer bedeutenden Hochschule und einem akademischen Umfeld, welche ich im Kampf für eine gerechtere Welt einsetzen kann.

Es reicht nicht, nur zu sagen „ich bin nicht rassistisch“ oder „ich bin für eine gerechtere Welt“. Denn letztendlich bestimmt nicht das, was ich über mich sage, sondern mein Tun und Handeln mein Sein.

Es lässt sich nicht leugnen, wir leben (noch) in einer Gesellschaftsform, die Menschen mit unterschiedlichem Aussehen unterschiedliche Chancen gewährt. Dieses System wird sich nicht von selbst ändern, sondern nur, wenn sich die Menschen, die darin leben, ändern und Veränderungen fordern. Wir müssen subjektiv an das Thema herangehen und von innen heraus die Ketten des Rassismus sprengen. Wenn jede*r, aber insbesondere die, die dem Bild der Dominanzgesellschaft entsprechen, seine*ihre Position inklusive der zugehörigen Privilegien in diesem System nicht nur erkennt, sondern auch nutzt, um sich für rassismuskritisches Sprechen, Denken und Handeln stark zu machen, und laut Gerechtigkeit fordert, dann werden sich zwangsläufig auch die diskriminierenden Strukturen ändern. Und auch wenn nicht alle Menschen in Deutschland persönlich Opfer von Rassismus werden, so betrifft es eben doch alle, die hier leben und sich als Demokrat*innen verstehen, denn Minderheitenrechte sind grundlegend in unserer Demokratie verankert.

Es ist also an der Zeit weiterzudenken und daraus Konsequenzen für das alltägliches Handeln zu ziehen:
A better world is possible!

05.07.2020
Leonie Adu-Gyamfi