Stimmungsbild 7-8/2021

Auch dieses Jahr wollten wir wissen, wie sich die Corona-Pandemie auf den privaten und beruflichen bzw. Studienalltag der Mitglieder unseres Fachbereichs (FB) ausgewirkt hat. Uns interessierte die aktuelle Situation der Mitglieder, wie auch letztes Jahr in unserem Stimmungsbild erhoben, vor allem aber auch die Wahrnehmung des Oster-Lockdowns (April/Mai 2021) und Veränderungen im Vergleich zum letzten Jahr. Dazu luden wir vom 14. Juli bis zum 15. August 2021 wieder alle Angehörigen des FB zur Teilnahme an einem zweiten Stimmungsbild ein. Hier also die Ergebnisse der diesjährigen Befragung.

Wer hat an der Befragung teilgenommen?

Abbildung 1:
Teilnahme an der Umfrage nach Rolle am Fachbereich und Geschlecht

Die Teilnahme am Stimmungsbild fiel dieses Jahr deutlich niedriger aus als im letzten, was höchstwahrscheinlich daran lag, dass der Befragungszeitraum in die Semesterferien fiel. Daher danken wir an dieser Stelle den über 200 Personen ganz besonders, dass sie sich dafür Zeit genommen haben! 151 Studierende (davon 19 HiWis), 11 Professor*innen, 23 Sonstige Mitarbeitende (davon sind zwei Personen auch Studierende), 37 Wissenschaftliche Mitarbeitende (davon drei Studis) nahmen an der Befragung teil. Damit liegt die Beteiligung zwischen 5% (Studierende) und 27 % (SoMis). Letztes Jahr haben sich fast zwei Fünftel der Befragten dazu entschieden, zu ihrem Geschlecht keine Angaben zu machen. Dieses Jahr waren es etwas mehr: 43,5% der Befragten wählten keine Angabe (siehe Abb.1), v.a. Professor*innen verzichteten auf eine Angabe (was angesichts der geringen Grundrate besonders nachvollziehbar ist).

Was wollten wir wissen?

Dieses Jahr wollten wir in der Befragung wissen, (a) in welchem Ausmaß die Befragten seit Juli 2020 Veränderungen im privaten wie im beruflichen Bereich erleben und wie sie diese bewerten, (b) wie zufrieden und wie belastet sie waren, sowohl zum Zeitpunkt der Befragung als auch während des Lockdowns im April und Mai 2021, (c) was sie als die größten Herausforderungen und die größten Belastungen erleben, (d) was ihnen momentan fehlt und (e) was sie derzeit positiv bewerten. Als letztes wollten wir herausfinden, (f) was sie ggf. aus dem Lockdown in den ganz beruflichen bzw. privaten Alltag hinüberretten möchten.

(A) ERLEBTE VERÄNDERUNGEN AUFGRUND VON CORONA

Abbildung 2a zeigt, dass die erlebten Veränderungen auch dieses Jahr eher stark ausfielen, wobei es diesmal keine großen Unterschiede zwischen dem Ausmaß erlebter Veränderungen im privaten und beruflichen Alltag gab. Eine Ausnahme ist die Gruppe der Studierenden, bei denen die Veränderungen im beruflichen (in ihrem Fall Studien-) Alltag etwas schwächer ausfielen. Sowohl im privaten als auch im beruflichen Alltag wurden die Veränderungen als teils/teils bis negativ bewertet, wobei es keinen bedeutsamen Unterschied zwischen den Gruppen gab. In Abbildung 2b ist allerdings deutlich zu erkennen, dass Studierende die Veränderungen im beruflichen Alltag als negativer erleben als Veränderungen im privaten Alltag.

(B) ZUFRIEDENHEITS- UND BELASTUNGSERLEBEN

Dieses Jahr gingen die Angaben zur allgemeinen und spezifischen Zufriedenheit sowie der Belastung durch Zeitdruck in den betrachteten Gruppen nicht bedeutsam auseinander, was aber auch an der kleineren Stichprobengröße liegen könnte. Verglichen mit den Angaben aus 2020 (Abb. 2a, links) weisen die WiMis niedrigere Zufriedenheitsratings als letztes Jahr auf.

Abbildung 4 zeigt Ergebnisse zu den Belastungsquellen. Dieses Jahr fragten wir zusätzlich nach der Belastung bezüglich technischer Probleme sowie der Belastung durch Mangel an sozialen Kontakten. Vergleicht man die Verläufe der Linien mit denen des letzten Jahres, ergibt sich außer in der Signifikanz der Unterschiede zwischen Gruppen kein großer Unterschied (letztes Jahr waren außer bei der Pflege von Familienangehörigen bei allen anderen Belastungsquellen mindestens zwei Mittelwerte bedeutsam voneinander verschieden). Zum Zeitpunkt der Befragung war die Gruppe der Professor*innen stärker belastet als die Gruppe der Studierenden und SoMis; ein Unterschied, der während des Oster-Lockdowns noch größer ausfiel. Während des Lockdowns fiel außerdem noch die Belastung der WiMis durch die Betreuung von Kindern höher aus als bei Studis und SoMis. Bezüglich finanzieller Probleme zeigen die Ergebnisse eine deutlich höhere Belastung der Studis zum Befragungszeitpunkt als bei allen anderen Gruppen; auch während des Lockdowns waren sie finanziell stärker belastet als Profs und WiMis. Die Belastung fiel auch dieses Jahr bei allen Gruppen gering aus, wenn es um die Pflege von Familienangehörigen ging, und alle waren stärker belastet in Bezug auf ihre psychische Gesundheit und den Mangel an sozialen Kontakten.

(C) ERLEBTE HERAUSFORDERUNGEN

Dieses Jahr fiel keine der Antworten der Befragten bezüglich ihrer größten momentanen Herausforderung in die Kategorien „arbeitsbezogene Verzögerungen“ und „Lärm“, dafür kamen die zwei neuen Kategorien „psychische Probleme“ sowie „Meinungsverschiedenheiten zu Corona“ hinzu.

TOP five: Mangel an Motivation, zeitlicher Organisation und Sicherheit bezüglich der Zukunft. Mehr als ein Fünftel der Befragten gab als größte Herausforderung an, sich selbst zu steuern bzw. zu motivieren. Letztes Jahr (siehe Abb. 5a) stand diese Herausforderung noch an achter Stelle! Über 10 % der Befragten berichteten jeweils von Problemen mit der Alltagsstruktur und Life-Balance sowie von Zeitmangel oder schwierigem Zeitmanagement, etwa 9% nannten Zukunftsängste bzw. Planungsunsicherheit, und ca. 7% die digitale Lehre bzw. das digitale Studium.

NEXT five: Mangel an Austausch in Studium/Beruf und Privatleben, Arbeitsmenge, Stress und psychische Probleme. Jeweils 6% der Befragten fehlte der soziale Austausch, erlebte Mehrfachbelastung und leidete unter erhöhter Arbeitsmenge sowie psychischen Problemen. Fast 5% nannten Prüfungsstress als größte Herausforderung.

Fast ein Viertel (23%) der Teilnehmenden machten zu dieser Frage keine Angabe.

(C) ERLEBTE BELASTUNGEN

Da viele der Antworten der Befragten den Antworten aus der Frage nach ihren aktuellen Herausforderungen ähnelten, wurden bei dieser Auswertung dieselben Kategorien verwendet. Da jedoch diesmal nach Belastungen gefragt wurde, haben die Angaben der Befragten hier eine eher negative Konnotation als bei den Herausforderungen.

Hinzugefügt wurden die Kategorien „Corona-bezogenes“ (damit sind zum Beispiel bestimmte Maßnahmen oder Meinungsverschiedenheiten zu diesen gemeint) sowie „zwischenmenschliche Probleme“. Die Kategorie „räumliche Multifunktionalität“ wurde herausgenommen. Auch in der Rangfolge der Kategorien bestehen wesentliche Unterschiede.

TOP five: fehlender Kontakt, Zukunftsängste, Motivation, zu viel Arbeit in zu wenig Zeit. Nahezu ein Fünftel der Befragten gab an, dass sie fehlende Kontakte als besonders belastend erleben würden. Ca. 16% berichteten von Zukunftsängsten, 12% machte die digitale Lehre bzw. das digitale Studium zu schaffen. 9% kämpften mit Zeitmangel bzw. -mangement und ca. 8% der Befragten hatten Schwierigkeiten, das eigene Verhalten zu steuern oder sich zu motivieren.

NEXT five: Arbeitsmenge, Psyche, Struktur, Kontakte erhalten. Ungefähr 7% der Befragten waren durch eine hohe Arbeitsmenge belastet. Um die 5%-Marke liegen die Belastungen durch psychische Beeinträchtigungen, dem Aufrechterhalten einer Life-Balance, bevorstehenden Prüfungen und dem allmählichen Wegfallen bereits bestehender sozialer Kontakte.

Ca. ein Viertel (26%) der Befragten verzichtete auf eine Angabe.

Abbildung 6:
Genannte aktuelle Herausforderungen. Die zwölfte Kategorie heißt vollständig: wissenschaftliches Projekt vorantreiben/beruflich vorankommen.)

(D) WAS FEHLT?

TOP five: soziale Kontakte privat und beruflich, Spontaneität, Stabilität. Ganz deutlich fehlten vielen der Befragten soziale Aspekte: nahezu ein Viertel vermissten den privaten und fast genauso viele den beruflichen bzw. akademischen Austausch. In Verbindung damit steht der Uni- oder Berufsalltag in Präsenz, der ca. 14% der Befragten fehlte. Darüber hinaus wünschen sich ungefähr 13% eine gewisse Unbeschwertheit, Spontaneität und Sorglosigkeit zurück, knapp über 10% sehnen sich nach Ruhe, Stabilität und Struktur.

NEXT four: Veranstaltungen, Freizeit, Urlaub, Abwechslung. Durch Corona empfanden viele der Befragten einen Rückgang des Spaßfaktors, der sich in den Aspekten widerspiegelte, die von knapp über 5% als fehlend beschrieben wurden: Veranstaltungen wie Konzerte oder Festivals, Zeit und Freizeit, Urlaub und Verreisen sowie Spaß und Abwechslung im Allgemeinen.

Ein Viertel der Teilnehmenden verzichteten auf eine Angabe.

Abbildung 7:
Genannte aktuell fehlende Aspekte.

(E) WAS IST POSITIV?

TOP five: kein Fahrtweg, Lockerungen, soziale Kontakte, zeitliche Flexibilität, Home Office. Ungefähr 17% der Befragten empfanden es als besonders positiv, dass sie durch die ergriffenen Maßnahmen mehr Ortsunabhängigkeit erlangten. Auch die Lockerungen der Maßnahmen nach dem Lockdown erlebten ca. 14% als positiv, 12% gefiel ein aufblühendes Sozialleben besonders. Ungefähr 10% der Befragten erlebten zeitliche Flexibilität im allgemeinen als besonders positiv, wieder 10% bezogen sich ganz spezifisch auf gute Arbeitsbedingungen insbesondere, was die Möglichkeit des Home Office anbelangt.

NEXT three: Draußen, Kooperation, Online-Lehre. Ungefähr 8% der Befragten gefiel es besonders, öfters draußen sein oder das gute Wetter genießen zu können. 6% mochten vor allem die gelungene Kooperation zwischen Studierenden oder Mitarbeitenden. Wieder 6% empfanden die gute Qualität der Online-Lehre als besonders positiv.

27% der Befragten verzichtete auf eine Angabe.

Abbildung 8:
Genannte aktuell positive Aspekte.

(F) WAS SOLL IN DEN BERUFLICHEN BZW. STUDIENALLTAG SOWIE IN DEN PRIVATEN ALLTAG GERETTET WERDEN?

Bei diesen Fragen waren sich die Teilnehmenden eher einig als bei den vorherigen, was durch die geringere Anzahl an Kategorien deutlich wird.

TOP four Berufs- bzw. Studienalltag: Online LVs, zeitliche Flexibilität, nichts, Online-Meetings. Fast 35% der Befragten empfanden zeitunabhängige Lehrveranstaltungen als etwas, das sie in ihren Berufs- bzw. Studienalltag übernehmen möchten. Home Office und allgemein eine flexible Zeiteinteilung sind mit ca. 27% an zweiter Stelle. 10% der Befragten konnten sich nicht vorstellen, irgendetwas in ihren beruflichen oder Studienalltag zu retten, weitere 10% nannte ganz spezifisch Online-Meetings als übernehmenswert.

TOP five privater Alltag: nichts, mehr Zeit, weniger sozialer Stress, Achtsamkeit. Im privaten Bereich ist die Kategorie „nichts“ ganz oben, mit einem Anteil von knapp über 15% der Befragten. 12% möchten weiterhin einen vergrößerten Anteil ihrer Zeit den eigenen Hobbys oder Hausarbeit widmen. Längerfristig wünschen sich ca. 9% den durch die Maßnahmen etablierten geringeren sozialen Druck, weitere 9% möchten mehr Zeit für ihre Familie oder Freunde in den privaten Alltag retten, und weitere 9% weiterhin bewusster und achtsamer leben.

Die Frage zum beruflichen Alltag wurde von 26% der Teilnehmenden nicht beantwortet, beim privaten Alltag verzichtete fast die Hälfte (47%) der Befragten auf eine Angabe.

WEITERE EINDRÜCKE …

Kinder, Corona, Karriereknick?

Am 26. April 2021 um 10 h versammelten sich zahlreiche Frauen und wenige Männer der FU vor dem Bildschirm, eingeladen vom Team Zentrale Frauenbeauftragte und Vizepräsidentin Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott, zu einer Podiumsdiskussion zum Spagat zwischen Studium, Beruf, Home-Schooling und Kitas im Notbetrieb. FU-Präsident Prof. Dr. Günther Ziegler und Vertreterinnen aller Statusgruppen (Teilnehmende) diskutierten mit Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.
Eine Zusammenfassung.

Ziel der Veranstaltung war es, über die Auswirkungen der aktuellen Lebensbedingungen auf die Chancengleichheit in der Wissenschaft zu informieren und gleichzeitig ganz konkrete Maßnahmen zu diskutieren, die die FU ergreifen kann, um die Studien- und Arbeitsbedingungen für Hochschulangehörige mit Familienaufgaben in der Pandemie zu verbessern.

Den Aufschlag machte Prof. Dr. Jutta Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung) mit einem konzisen Kurzreferat, in dem sie die heutige Situation von Wissenschaftlerinnen mit der Situation im Jahr 2019 verglich und dann eine ganze Liste an konkreten Vorschlägen lieferte, die anschließend von den übrigen Teilnehmenden noch ergänzt wurden.

Zur aktuellen Situation ist Folgendes zu konstatieren:

  1. Cooling out: War es auch 2019 noch zu beobachten, dass Frauen weit häufiger als Männer nicht nur nach der Promotion, sondern auch nach der Einstellung als Professorinnen „aufgaben“ (und die Wissenschaft verlassen haben), so ist aktuell angesichts der massiven Überbelastung und Erschöpfung vieler Wissenschaftlerinnen mit zu betreuenden Kindern eine Verstärkung dieser Tendenz zu befürchten. Dies wird verstärkt …
    (a) durch eine Re-Traditionalisierung (verstärkt überproportional hohe Übernahme an Familienaufgaben durch Frauen),
    (b) durch die vergleichsweise Mehrbelastung mit Gremienarbeit von Frauen in der Wissenschaft allgemein,
    (c) durch die Tendenz von Frauen, mehr Zeit in die Lehre zu stecken (dies gilt nun erst recht bei der Online-Lehre),
    (d) durch die verstärkte Übernahme von Transfertätigkeiten durch Frauen (Öffentlichkeitsarbeit) .
    Diese Feststellungen von wissenschaftlicher Seite wurden durch die autobiografischen Berichte der Diskussionsteilnehmerinnen plastisch bestätigt, die u.a. ihre konkrete Situation als Wissenschaftlerinnen bzw. Studierende mit Kindern schilderten. Sie machten deutlich, dass sie sich – nach Jahren des anstrengenden, aber erfolgreichen Jonglierens mit Familien- und Berufsaufgaben – zum ersten Mal fragen: „Warum das alles?“
  2. Während das Coronajahr für Wissenschaftler*innen ohne Kinder oder Care-Verpflichtungen z.T. mit einer enormen Produktivitätssteigerung einherging (gemessen in Einreichungen und erfolgreichen Publikationen), berichten Eltern in dieser Gruppe von massiven Einbrüchen, wie Prof. Dr. Allmendinger erläuterte.

Was hilft?

Allgemeine Maßnahmen:

  1. Dem Wissenschaftszeitgesetz zufolge können befristete Qualifizierungsstellen bis zu 12 Monate zusätzlich verlängert werden. Im 2. Berliner Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie für den Hochschulbereich wurden die Qualifizierungsstellen im wissenschaftlichen Mittelbau „vergessen“; die FU könnte das Wissenschaftszeitgesetz (da Gesetz auf Bundesebene) jedoch dennoch auch auf diese Stellen anwenden.
  2. Ein Konzept für Abschluss- und Übergangsstipendien könnte entwickelt werden, um diejenigen unterstützen zu können, die aktuell keinen Arbeitsvertrag haben, aber finanzielle Unterstützung brauchen, um ihre Abschlussarbeiten oder Promotionen zuendezubringen.
  3. Mehr- oder Entlastungsprozesse im Coronazeitfenster sollten im künftigen Berufungsgeschehen berücksichtigt werden. (Diese Maßnahme wurde kontrovers diskutiert; einerseits wurde für mehr Offenheit plädiert; andererseits wurde davor gewarnt, dass Elternzeiten nach wie vor letztlich nachteilig ausgelegt würden.)

Konkrete Sofortmaßnahmen für Betroffene

  1. Befristete Arbeitsverträge sollten verlängert werden.
    Hier wurde zudem darauf hingewiesen, dass gerade in den Situationen (Drittmittel), in denen aktuell keine solche Finanzierung gewährt wird, dringender Handlungsbedarf („jetzt!“) besteht.
  2. Deputatsreduktionen (ggf. kompensiert durch Lehraufträge), um die Belastung zu reduzieren und Zeit für Qualifikationstätigkeiten zu schaffen
  3. Voucher/Zuschüsse für „ungestörte Räume“ (etwa in Hotels)
  4. Zuschüsse für haushaltsnahe Leistungen
    (Putzen, Kochen, Nachhilfe, Kinderbetreuung)
  5. zusätzliches Personal, d.h. studierende Hilfskräfte (Unterstützung bei der Lehre und bei Forschungsaufgaben) sowie weitere Stellen für Öffentlichkeitsarbeit (Wissenschaftstransfer)
  6. ggf. präferierter Laborzugang
  7. Anpassung von Beratungsangeboten (Offline-Formate, Live-Beratungszeiten auch spät abends)
  8. flexible Lehrangebote (Kombination von synchronen und asynchronen Konzepten)

Was die FU aus diesen Vorschlägen macht, wird sich zeigen; neben den Gleichstellungsmitteln bilden sicherlich auch die aktuellen Verhandlungen zu den Zielvereinbarungen einen guten Ausgangspunkt, diese Vorschläge zu realisieren.

Umdenken – auch nach der Pandemie

Es wurde zudem deutlich, dass ein umfassendes Umdenken nach der Pandemie erforderlich ist und dass das vergangene Jahr ganz sicher nicht einfach ad acta gelegt werden kann, sondern dass einerseits mit vielfältigen Nachwirkungen zu rechnen ist. So zeigt etwa der Umstand, dass Mitarbeitende aktuell zunehmend von einer grundlegenden Erschöpfung und Überlastung berichten, auch diejenigen, die sich bisher als psychisch stabil und sehr belastbar erwiesen haben. Andererseits sollten die Lessons learned unbedingt in diese Zeit „danach“ mitgenommen werden. Wir brauchen ein Umdenken und Nachdenken darüber, wie wir diese Benachteiligungen (auch unabhängig von Corona) berücksichtigen können und ob Schnelligkeit ernsthaft ein belastbares Gütekriterium ist. Wissenschaftler*innen und Studierende mit Kindern wollen beides: Zeit für Kinder und Zeit für ihre berufliche Entwicklung – sie können aber eben nicht hexen und sind doch ein Plus für die FU.

Gender Planning an der FU?

Was verbindet Schneeräumdienst und Gender Planning? Und was hat das nun mit Gleichstellung an der FU zu tun?

Fangen wir beim Schneeräumdienst an. Er ist eines der ersten Beispiele im Buch von Caroline Criado Perez über den Gender Data Gap, anhand dessen sie verdeutlicht, dass viele Regelungen des öffentlichen Lebens de facto für die Hälfte der Menschen diskriminierend sind. Das lässt sich auch sehr leicht an Berliner Verhältnissen illustrieren: Viele waren im Februar 2021 eher froh, angesichts des gefallenen Schnees im Home-Office zu sein und sich nicht an die Uni begeben zu müssen. Wer es dennoch tat, stellte fest, dass (a) die Straßen für die Autos säuberlich geräumt waren, und zwar als erstes, dass (b) die Gehwege in sehr unterschiedlichem Zustand waren und dass (c) Radwege teilweise gar nicht geräumt wurden, mit der Folge, dass Radfahrende in doppelter Hinsicht gefährdet waren, da sie einerseits „ihre Wege“ nicht sicher benutzen konnten und andererseits von Autofahrenden z.T. gefährlich überholt wurden. Die gesamte Situation war sicherlich keine Absicht, aber auch kein Zufall, denn die BSR verfolgt hier eine Priorisierungsstrategie, die in Deutschland sicherlich nicht einzigartig ist.1

Da nun Männer aber mehr Wege mit dem Auto zurücklegen als Frauen, während Frauen ihre Wege in höherem Maße zu Fuß oder per Rad zurücklegen, z.B. weil sie häufiger die Kinder im Kiez zur Schule oder in die Kita bringen bzw. mit zu Pflegenden spazieren gehen, werden Frauen durch eben diese Prioritätensetzung diskriminiert. Zufußgehende haben darüber hinaus bei Eis und Schnee faktisch ein erhöhtes Unfallrisiko.
Das unterschiedliche Wegenutzungsverhalten von Männern und Frauen wurde bislang möglicherweise auch deswegen nicht berücksichtigt, weil dazu kaum Zahlen vorliegen, trotz regelmäßiger Erhebungen zu diesem Thema (Studie Mobilität in Deutschland); ob das Bundesverkehrsministerium wohl bald „aufwacht“, um hier Abhilfe zu schaffen? Vermutlich sollten wir es als Wähler:innen in diesem Jahr vorsichtshalber mal wecken 🙂.

Die Idee, die Bedürfnisse der Nutzer:innen bei Planungen zu berücksichtigen, führt mich nun zum Gender Planning in der Umgebungsgestaltung an der FU.
Nicht immer hat es Eltern-Kind-Zimmer an der FU gegeben. Diese „Nachbesserung“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass Nutzer:innen sich einen Raum in gewisser Hinsicht aneignen und die Gestaltung zumindest nach ihren Bedürfnissen erfolgt. Dies war allerdings keineswegs selbstverständlich, sondern wurde vielfach von den Frauenbeauftragten initiiert und teilweise sogar mit Frauenfördergeldern finanziert, obschon dem entgegengehalten werden könnte, dass das ja nicht nur Frauen betrifft und eigentlich Frauenklischees bestätigt und bedient. – Stimmt. Und gleichzeitig ist es auch ein Fakt, dass Frauen wesentlich (!) mehr Care-Arbeit übernehmen. Deswegen wissen sie auch (mehrheitlich) besser, was diesbezüglich gebraucht wird, und sollten gefragt werden, wenn es an der FU um Um- und Neugestaltung von Gebäuden und Umgebung geht. Es sollte bei der Nutzungsanalyse und bei der letztendlichen Gestaltung explizit darauf geachtet werden, was Frauen brauchen (die Bedürfnisse der Männer – das zeigt sich immer wieder – werden sowieso berücksichtigt und sind eh Bestandteil der 0815-Lösungen).

Gender Planning in COVID-Zeiten, in denen wir überwiegend im Home-Office sind? Wer sich in letzter Zeit mal ins Büro an der FU begeben hat, fand vermutlich überwiegend leere Gänge vor; Serviceleistungen und Laborabläufe finden unter Berücksichtigung von Hygienekonzepten statt, die v.a. die Abstandsregeln sicherstellen sollen, oft, indem Mitarbeitende alleine arbeiten – durchaus nachvollziehbar. Nicht allen ist allerdings wohl dabei (und raten Sie mal, ob es eher Frauen oder Männer sind …). Und damit sind wir auch hier wieder bei der Gleichstellung angelangt. Denn auch dieser Realität sollten wir uns bei der Beurteilung von Hygienekonzepten stellen und berücksichtigen, dass das Bedürfnis, sich sicher zu fühlen, nicht nur heißen darf, eine Covid-Erkrankung zu verhindern.

Literatur

Criado Perez, Caroline (2020). Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. München: btb.


1 https://www.bsr.de/winter-21924.php: „Oberste Priorität beim BSR-Winterdienst haben Stadtautobahnen, Hauptverkehrsstraßen und Straßen mit öffentlichem Personennahverkehr. Erst wenn diese Straßen abgearbeitet sind, kommen Nebenstraßen an die Reihe. Auch Fußgängerüberwege werden vorrangig bearbeitet.“


Weiterführende Literatur

Kern, Leslie (2021). Feminist city: Wie Frauen die Stadt erleben. Münster: Unrast.