Nederlands Israëlitisch Seminarium te Amsterdam

Der Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin war es bereits im Frühjahr 2023 gelungen, zwei Exemplare aus dem Besitz des Nederlands Israëlietisch Seminarium te Amsterdam an die heutige Rechtnachfolgerin gleichen Names zu restituieren. Nun konnte ein dritter Band am 25. Juli 2023 zurückgegeben werden.

Hebräischer Band zum Traktat Toharot der Mischna. © Freie Universität Berlin

Das Nederlands Israëlietisch Seminarium (NIS) wurde durch einen Königlichen Erlass vom 26. Februar 1814 gegründet. Das NIS befand sich in der Rapenburgerstraat im Jüdischen Viertel von Amsterdam, neben dem niederländischen Israelitischen Mädchenwaisenhaus.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Joseph Hirsch Dünner (1833-1911) als Rektor des NIS installiert. Er reorganisierte die Schule und modernisierte die Ausbildung in rabbinischer Literatur. An das Seminar war eine Turnhalle angeschlossen, über die die Studenten zur Universität wechseln konnten. Zu Dünners Schülern gehörten u. a. Abraham Samson Onderwijzer (1862-1934) und Tobias Tal (1847-1898), beide spätere Oberrabbiner in den Niederlanden.

Während der nationalsozialistischen Besatzung der Niederlande wurde das Seminar geschlossen und die Bibliotheksbestände konfisziert. 1943 überführten die Nationalsozialisten den Bestand nach Frankfurt am Main. Die meisten der 60 Lehrer und Schüler wurden während des Zweiten Weltkriegs deportiert und ermordet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gründete sich das Seminar neu. Teile der nach Frankfurt überführten Bücher wurden zurückgegeben und galten dann bis 1999 als verschollen. Ein Student fand jedoch im März 1999 mehr als 9.000 Bücher auf dem Dachboden einer Amsterdamer Synagoge, die zur historischen Seminarbibliothek gehörten.

Stempel des Nederlands Israëlietisch Seminarium. © Freie Universität Berlin

Nach Rücksprache mit dem NIS konnte die Arbeitsstelle Provenienzforschung erfahren, dass die im Bibliotheksbestand für Judaistik identifizierten Bücher, den ersten Fund seit 1999 darstellen. Es ist davon auszugehen, dass noch weitere Werke aus dem historischen Bestand des NIS auf ihre Entdeckung warten.

Der Weg in den Bestand der Campusbibliothek der FU Berlin erfolgte durch drei zeitlich unabhängige Einkäufe im Amsterdamer Antiquariat „Spinoza“. Somit gelangten Teile des Bibliothekskorpus des NIS wohl nach 1945 auf dem antiquarischen Markt. Ein Nachweis, dass die in der FU Berlin identifizierten Bände ebenfalls von den Nationalsozialisten nach Frankfurt überführt wurden, konnte bis dato nicht recherchiert werden. Ein mögliche Transportliste existiert nach jetzigen Erkenntnissen nicht.

Umso mehr freut sich das Team der Arbeitsstelle Provenienzforschung darüber, dass im Rahmen ihrer Arbeit drei Bücher aus dem NIS im Jahr 2023 wieder nach Amsterdam zurückgekehr sind.

Die Bücher in LCA:

  1. https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/277819
  2. https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/271139
  3. https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/269041

Rückgabe an die Jüdische Gemeinde zu Berlin

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin freut sich über eine weitere Rückgabe eines Buches an die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Seit dem 31. Juli 2023 befindet sich das Buch in den Bibliotheksräumen in der Fasanenstraße.

Titelblatt des 1908 vom Bureau für die Statistik der Juden publizierten Büchleins. © Freie Universität Berlin

Das Buch gelangte über Israel in den Besitz des Instituts für Judaistik an der Freien Universität Berlin. Die Einarbeitung in den Bibliotheksbestand erfolgte am 25. Juni 1977. Anhand der Provenienzhinweise, die in dem Band zur Geschichte der Juden in Österreich identifiziert werden konnten, kann der Weg des Buches fast vollständig rekonstruiert werden. Da das Vorsatzblatt aus unbekannten Gründen entfernt wurde, könnten weitere Spuren zum Vorbesitz getilgt worden sein.

Sicher ist, dass der Band durch die Jewisch Cultural Reconstruction, Inc. nach Israel transferiert wurde. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass das Buch als herrenloses Kulturgut im Offenbach Archival Depot (OAD) lagerte. An welche Bibliothek es in Israel weiterverteilt wurde, ist nicht bekannt. Durch den Stempel des Handelshaus der Bibliothek „Zohar“ wissen wir, dass das Buch im Antiquariatshandel landete. Dort wurde es 1977 von der FU Berlin erworben.

Anhand der nachgewiesenen Provenienzen bewertet die Arbeitsstelle Provenienzforschung das Buch als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut: Die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wurde 1939 von den Nationalsozialisten liquidiert und die Bestände beschlagnahmt. Nach mehr als 80 Jahren befindet sich der Band damit wieder im Besitz der JGzB.

Das Buch in LCA: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/257857

Restitution an die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main K. d. ö. R.

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin freut sich über die Rückgabe eines Buches an die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main (JG FFM). In dem Buch, was am 3. Mai 2023 restituiert werden konnte, befindet sich der Bibliotheksstempel des „Israelitischen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main„.

Bibliotheksstempel des Israelitischen Krankenhauses FFM. © Freie Universität Berlin

Das erste Gemeindekrankenhaus der JG FFM eröffnete 1875. Da das Gebäude schon bald nicht mehr genügend Platz für die Patientinnen und Patienten bot, entschied sich die jüdische Gemeinde 1904 für einen zeitgemäßen Neubau. Der Bau des neuen Gebäudes an der Gagernstraße begann 1909. Die feierliche Eröffnung erfolgte im Jahr 1914.

Von den Folgen der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 war der Krankenhausbetrieb zunächst nicht direkt betroffen. Im Rahmen der „Arisierung“ musste die IG FFM am 1. April 1939 das Gelände, die Gebäude und die Einrichtung zum Preis von 900.000,- RM an die Stadt Frankfurt am Main zwangsverkaufen. Dazu gehörte auch die Bibliothek. Der Gemeinde wurde gestattet, gegen Miete weitere drei Jahre im Gebäude zu bleiben. Immer mehr Altersheime, Kinderheime und Krankenhäuser wurden nun geschlossen und deren Bewohnerinnen und Bewohner in das Krankenhaus verlegt. Die koschere Küche musste 1940 schließen. Bis Oktober 1942 wurde das Krankenhaus zwangsgeräumt. Die Patientinnen und Patienten und viele der Schwestern wurden nach Theresienstadt und in die Vernichtungslager im Osten deportiert. Durch einen Luftangriff am 4. Oktober 1943 wurde der Gebäudekomplex schwer beschädigt. Nach Kriegsende kamen die Liegenschaften wieder in den Besitz der Jüdischen Gemeinde FFM. Heute existiert auf dem Gelände das jüdische Altenheim. Die Gemeinde entschied sich Mitte der 70er-Jahre dazu, das Krankenhausgebäude abzureissen.

Der Weg des Buches in den Bestand der UB der Freien Universität lässt sich nicht lückenlos klären. Erschwert wird die Recherche dadurch, dass das Buch 1962 neu gebunden wurde. Mögliche Anhaltspunkte zum Vorbesitz können damit verloren gegangen sein. Außerdem existieren für diesen Bestand keine Zugangsbücher. So kann nur mithilfe der Zugangsnummer nachgewiesen werden, dass der Band 1954 durch die FU Berlin akquiriert wurde. Überdies hat eine uns nicht bekannte Person sich darum bemüht, alle Stempel bis auf einen des Israelitischen Krankenhauses FFM zu übermalen. Dass noch ein vollständiger Stempel im Buch zu finden war, muss als glücklicher Zufall gewertet werden.

Vermutlich wurde hier der rote Bibliotheksstempel des Krankenhauses der IG FFM durchgestrichen. © Freie Universität Berlin

Aufgrund der begrenzten Informationen zum Erwerb kann das Buch nur anhand der enthaltenen Merkmale bewertet werden. Der Titel weist das Buch als eindeutigen Besitz der historischen IG FFM aus, die 1939 liquidiert wurde. Es handelt sich demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Deshalb entschied sich die Arbeitsstelle Provenienzforschung dazu, das Buch an die Rechtsnachfolgerin, die JG FFM, zu restituieren.

Das Buch in LCA:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/282672

Spuren in Tausenden Büchern – Podcast Provenienzforschung

Unser dritter Podcast ist da!

In der dritten Folge Geraubte Kultur geht es darum, woher die Bücher für die Bibliothek des Instituts für Judaistik kamen.

Diese Folge widmet sich den Büchern des Instituts für Judaistik, welches 1963 an der Freien Universität Berlin gegründet wurde. Obwohl es sich hierbei um eine Nachkriegsgründung handelt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auf verschiedenen Wegen NS-Raubgut in den Bibliothekskorpus gelangte. Provenienzforscher Stephan Kummer erzählt von den Anfängen des Fachbereichs, dem Aufbau der Institutsbibliothek und den Besonderheiten bei der Bestandsuntersuchung. Da es sich bei dem Provenienzforschungsprojekt um eine durch Drittmittel finanzierte und befristete Forschungsarbeit handelt, wird das Interview mit Dr. Uwe Hartmann ergänzt. Als Leiter des Fachbereichs Kulturgutverluste im 20. Jahrhundert in Europa beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste berichtet Dr. Hartmann von den Anfängen der zentralen Koordinierung von Provenienzforschung, den wesentlichen Aufgabenbereichen der Stiftung und den umfangreichen Fördermöglichkeiten. Am Ende dieser Folge erfahren wir von einer Restitution nach Polen und lernen, wie Provenienzforschung durch internationales Netzwerken Brücken bauen kann.

Neugierig geworden? Hier geht es zur Folge 3: Geraubte Kultur

https://www.fu-berlin.de/sites/ub/ueber-uns/provenienzforschung/10-jahre/podcast/podcast-folge3/index.html

Zwei Bücher befinden sich wieder im Besitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Die Arbeitsstelle für Provenienzforschung war es gelungen, am 17. März 2023 zwei Bücher als Schenkung an die Jüdische Gemeinde zu Berlin (JGzB) zu übergeben. Nach den Novemberpogromen 1938 wurden die Gemeindebibliothek und ihre Außenstellen geschlossen. Die Bibliotheksbestände beschlagnahmten die Nationalsozialisten im Frühjahr 1939. Ein wesentlicher Teil des Bibliothekskorpus ging im Zuge des Krieges verloren. Somit kehren zwei Bücher 84 Jahre nach ihrer Beschlagnahmung zurück in den Besitz der JGzB.

Historischer Bibliotheksstempel der „Bibliothek der jüdischen Gemeinde Berlin“. © Freie Universität Berlin

Die beiden Bücher wurden antiquarisch von der Freien Universität Berlin (FU) erworben. Auf dem inneren Buchdeckel eines der beiden Bücher befindet sich das Exlibris der Jewish Cultural Reconstruction, Inc. (JCR). Die zentrale Aufgabe der JCR bestand zwischen 1947 und 1952 darin, in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands sog. herrenloses Kulturgut aus jüdischem Besitz zu sammeln und weiterzuverteilen. Aus uns unbekannten Gründen gelangte dieser Band auf dem antiquarischen Markt, wurde 1982 von der FU Berlin erworben und in den Geschützten Bestand des Instituts für Judaistik aufgenommen.

Buch: Kayserling, Meyer: Moses Mendelssohn – sein Leben und seine Werke. Verlag: Hermann Mendelssohn, Leipzig. (1862)

Exlibris der Jewish Reconstruction, Inc. © Freie Universität Berlin

Auch der zweite Band hat verschiedene Wege genommen, ehe dieser 1980 ebenfalls antiquarisch erworben und in den Bestand aufgenommen wurde. Auf dem Titelblatt befindet sich der Stempel der JGzB, der wiederum ein oder zweimal überstempelt wurde. Es war zunächst nicht klar, ob dieser Provenienzhinweis mit dem Besitzmerkmal der Bibliothek des Berliner Deutsch-Israelitischen-Gemeindebundes (DIGB) überstempelt wurde. Die Vermutung liegt nahe, dass sich das Buch bis zur Auflösung des DIGB im Jahr 1933 dort befand und im Anschluss in die Gemeindebibliothek eingearbeitet wurde. Ein dritter Stempel wurde genutzt, um diese beiden Stempel erneut zu überstempeln. Anhand dieses dritten Provenienzmerkmal wird deutlich, dass der Band im Antiquariat „ZOHAR“ in Tel Aviv gelandet ist. Dort hat es auch die FU Berlin erworben. Der vierte Stempel, der zu identifizieren war, zeigt, dass sich das Buch bis zu seinem Verkauf an und durch das Antiquariat „ZOHAR“ im Besitz des Kibbutz Oranim befand und Teil des Lehrbetriebs war.

Buch: Formstecher, Salomon: Die Religion des Geistes – Eine wissenschaftliche Darstellung des Judenthums nach seinem Charakter, Entwicklungsgange und Berufe in der Menschheit. Verlag: Hermann, Frankfurt am Main. (1841)

Der rechteckige Stempel gehörte zum DIGB, darüber befindet sich der Stempel der JGzB und des ANtiquariats „Zohar“. © Freie Universität Berlin

Aufgrund der Recherchen sind die beiden Bücher als eindeutiges NS-Raubgut zu bewerten. Deshalb entschied sich die Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Freien Universität Berlin dazu, die beiden Exemplare als Schenkung zurückzugeben.

Rechercheergebnis: NS-Raubgut

Weitere Informationen finden Sie unter:

Buch 1 in LCA: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/281330

Buch 2 in LCA: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/281516

Spuren in Tausenden Büchern – Podcast Provenienzforschung

Unser zweiter Podcast ist da!

In dieser Folge „Wiederaufbau“ geht es darum, woher die Bücher für die Bibliothek des Botanischen Gartens kamen.

Ausgangspunkt dieser Folge ist die Zerstörung der Bibliothek des Botanischen Gartens Berlin bei einem Luftangriff am 1. März 1943. Nachdem ein Großteil der Sammlungen verbrannt war, begann der Wiederaufbau der Bibliothek noch während des Zweiten Weltkriegs. Provenienzforscherin Lisa Trzaska erläutert im Interview, wie durch solche Wiederaufbauprogramme in der NS-Zeit Raub- und Beutegut in Bibliotheken gelangte. Ergänzt wird sie von Bibliotheksleiter Dr. Norbert Kilian, der auf die Besonderheiten der Bibliothek des Botanischen Gartens hinweist. Historische Briefe veranschaulichen, woher ab 1943 die Bücher für den Wiederaufbau kamen: Aus dem besetzten Paris und aus geplünderten Bibliotheken Osteuropas. Zum Schluss kommen noch Peter Prölß vom Deutschen Technikmuseum und Coralie vom Hofe von der französischen Kommission für die Entschädigung der Opfer von Enteignung (CIVS) zu Wort. Sie erzählen über eine besondere Restitution zweier Bücher nach Frankreich.

Neugierig geworden? Hier geht es zur Folge 2: Wiederaufbau

https://www.fu-berlin.de/sites/ub/ueber-uns/provenienzforschung/10-jahre/podcast/index.html

Zwei Bücher kehren nach Lublin zurück

Am 23. September 2022 fand in der Synagoge der Lubliner Chachmej Jeschiwa (deutsch: Jüdische Jeschiwa der Weisen in Lublin) eine Zeremonie statt. Geladen hatte die Jüdische Gemeinde Lublin. Der Anlass war die Übergabe von zwei Hebraica-Bänden , die im Zuge der Provenienzforschung in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin (FU) und der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum (CJ) identifiziert worden sind. Die beiden Bücher konnten aufgrund von in ihnen enthaltenen Spuren der ehemaligen Bibliothek der Lubliner Chachmej Jeschiwa zugeordnet werden.

Übergabe an die Jüdische Gemeinde Lublin. © Monika Tarajko

Die Gründung der Chachmej Jeschiwa in Lublin ging auf die Initiative des bekannten Rabbiners Yehuda Meir Shapiro (1887–1933) zurück. Im Jahr 1924 erfolgte die Grundsteinlegung. Neben den Lehrräumen für die Studierenden installierte die jüdische Gemeinde im Gebäude eine kleine Synagoge und eine Mikwe, ein rituelles Tauchbad. Die feierliche Eröffnung erfolgte unter reger Teilnahme im Juni 1930. Das Datum lässt bereits erkennen, dass der Lehrbetrieb nur neun Jahre umfasste, ehe mit dem Überfall der Nationalsozialisten auf Polen 1939 die noch junge Lehranstalt gewaltsam ihre Tore in der Lubartowska Straße schließen musste. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Lublin am 18. September 1939 wurde das Gebäude für militärische Zwecke beschlagnahmt. Über das Schicksal der Jeschiwa und ihres Inventars, vor allem das der Bibliothek, ist wenig bekannt.

Die Bibliothek wurde noch vor dem Aufbau der Jeschiwa mithilfe einer weltweiten Spendenaktion zusammengetragen. Bis 1930 konnte ein etwa 30.000 Bände umfassender Bibliotheksbestand aufgebaut werden. Was das Schicksal der Bibliothek nach dem Einmarsch der Wehrmacht betrifft, ist sich die Forschung bis heute uneinig. Gestützt auf einen Bericht in der offiziellen Zeitschrift der Hitlerjugend (HJ) vom Februar 1940 – und damit fünf Monate nach der Besetzung Lublins – gehen einige Forscher*innen davon aus, dass die Bücher in Form einer Bücherverbrennung öffentlich wirksam vernichtet worden sind. An dieser Darstellung gibt es jedoch mehrere Kritikpunkte: 1.) Der Bericht erschien erst im Frühjahr 1940, 2.) der Zeitungsbericht sprach davon, dass die Wehrmacht bereits am 7. September 1939 das Gebäude stürmte, und 3.) jenseits der Darstellung im besagten Artikel gab es keine offiziellen Berichte unabhängiger Medien über eine initiierte Bücherverbrennung der Jeschiwa-Bibliothek.

Neueste Erkenntnisse stützen die These, dass der Großteil der Bücher in die Lubliner Staatsbibliothek gelangte. Von da an verliert sich ihre Spur. Weltweit sind bisher nur vereinzelt Exemplare in privaten Sammlungen oder bei Auktionen aufgetaucht – und nun die beiden Bände aus der Universitätsbibliothek der Freien Universität und dem Centrum Judaicum in Berlin.

Sieben Bücher sind bisher nach Lublin zurückgekerht. © Monika Tarajko

Im Bibliotheksbestand des Instituts für Judaistik an der Freien Universität Berlin konnte im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts das Buch Megale Amukot (deutsch: Offenbarer der Tiefen) identifiziert werden, das auf dem Titelblatt der hebräische Stempel ישיבת חכמי לובלין (translit.: Yeshivat Ḥakhmey Lublin) ziert. Neben dem Stempel enthält der 1858 in Lemberg (heute Lwiw) publizierte Band noch weitere Provenienzmerkmale: Dazu zählt auch eine handschriftliche Eintragung „2154“. Hierbei muss es sich um die Zugangsnummer des Buches in der Bibliothek gehandelt haben.

Mithilfe des Zugangsbuches in der Campusbibliothek konnte herausgefunden werden, dass die FU das Exemplar am 4. Oktober 1966 im Londoner Antiquariat B. Hirschler erworben hatte. Weitere Hintergründe, primär über den Weg des Buches, lassen sich mithilfe der Provenienzen nicht eindeutig aufklären. Vor dem geschilderten historischen Hintergrund war das Buch als Raubgut anzusehen, das an seine heutigen Eigentümer zurückzugeben ist. Beim zweiten Band, der im Bibliotheksbestand des Centrum Judaicum identifiziert wurde, gestaltete sich die Erforschung etwas schwieriger. Lediglich ein Brief in jiddischer Sprache, dessen Briefkopf auf die Lubliner Chachmej Jeschiwa verweist, lag dem stark beschädigten Exemplar שלחן שלומו (translit.: Shulḥan Shlomo, Warschau 1882) bei.

Blick auf den Toraschrein in der Synagoge der Chachmej Jeschiwa Lublin.
© Monika Tarajko

Dank dieser Restitution befinden sich nach mehr als 80 Jahren nun sieben Bücher der Jeschiwa im (Wieder-)Besitz der Jüdischen Gemeinde Lublin. In Lublin besteht die Hoffnung, dass sich dieser Bestand noch vergrößern wird. Die Provenienzforschung von deutscher Seite hat mit der Restitution der Bücher durch die FU Berlin und dem Centrum Judaicum einen Beitrag dazu geleistet.

Bewertung: NS-Raubgut

Die restituierten Bände in der Datenbank LCA:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/226191

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/241498

Lisa Trzaska: Ein Bibliotheksbrand und ein Raubzug durch Europa

Einblicke in die Provenienzforschung nach NS-Raubgut in der Bibliothek des Botanischen Gartens Berlin

Zusammenfassung: Während des Zweiten Weltkriegs erworbene Bestände in der Bibliothek des Botanischen Gartens Berlin werden in einem aktuellen Projekt auf NS-Raubgut untersucht. Der Artikel erläutert, wie nach dem Verlust der Biblio­thek durch einen Bombentreffer 1943 unmittelbar große Mengen botanischer Fachliteratur als Ersatz beschafft werden konnten, die teils mit Raubgut durch­setzt sind. Dabei geraten nicht nur die am Raub beteiligten staatlichen und politi­schen Institutionen in den Blick, sondern mehr und mehr auch der antiquarische Buchmarkt in der NS-Zeit.

Erschienen in: Bibliotheksdienst, Bd. 56, 9, 2022; S. 538–54

https://doi.org/10.1515/bd-2022-0084

Der Kreis schließt sich – NS-Raubgut kehrt nach Leipzig zurück

Am 22. Juni 2022 restituierte die Universitätsbibliothek der Frankfurter Goethe-Uni im Rahmen einer Logen-Veranstaltung sechs Bände an die Freimaurerloge Minerva zu den drei Palmen Nr. 71 OR. Leipzig, die als NS-Raubgut im aktuellen Provenienzforschungsprojekt identifiziert worden sind.

Exlibris und Stempel der Freimaurer-Loge Minerva zu den drei Palmen

Die Freimaurer-Loge Minerva zu den drei Palmen wurde im 18. Jahrhundert in Leipzig gegründet. Seit ihrer Machtübernahme verstärkten die Nationalsozialisten den politischen Druck auf die deutschen Freimaurer-Logen und verkündeten schließlich am 17. August 1935 deren Verbot und Auflösung. Die Leipziger Minerva-Loge versuchte vergeblich, sich 1933 durch die Umformung zum Christlichen Orden Deutscher Dom und der Abkehr von ihren humanitären-freimaurerischen Wurzeln diesem Druck zu entziehen. Ihre mindestens 10.000 Bände umfassende Bibliothek wurde 1936 beschlagnahmt und teilweise in ein Depot des Reichssicherheitshauptamtes nach Berlin verbracht. Einige Bände gelangten in die sogenannte Rehse-Sammlung und nach Kriegsende in das Offenbacher Archival Depot. Aus seinen Beständen erhielt die Stadt- und Universitätsbibliothek in Frankfurt die hier gezeigten Bände.

Zwei weitere Bände der Loge werden aktuell noch in der Ausstellung „Stolperseiten – NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main“ präsentiert und sollen nach deren Ende ebenfalls ihren Weg zurück nach Leipzig finden.

Folgende Bände wurden restituiert:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/283625

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/283630

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/283638

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/283648

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/283655

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/283662

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/283665

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/283666

Ausstellungshinweis 2022: „StolperSeiten – NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main“

Die Universitätsbibliothek Frankfurt am Main widmet sich erstmals in einem Provenienzforschungsprojekt systematisch der Suche nach NS-Raubgut in ihren Beständen und greift damit ein wichtiges Thema der eigenen Institutionsgeschichte auf.
Die Ausstellung »StolperSeiten – NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main« präsentiert Zwischenergebnisse dieses vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und der Stadt Frankfurt am Main geförderten Projektes der Goethe-Universität.

In acht Themeninseln nimmt die Ausstellung „StolperSeiten“ die wissenschaftlichen Bibliotheken Frankfurts in der Zeit von Beginn der NS-Herrschaft bis zur Nachkriegszeit in den Blick. Das führt von den ersten bibliotheksinternen Veränderungen über die Entwicklung Frankfurts als zentralem Ort des NS-Bücherraubs und zu den großangelegten Raubzügen und Plünderungen in weiten Teilen Europas bis zu den Restitutionsbemühungen nach 1945.

Beim Gang durch die Ausstellung „stolpert“ man über eine Vielzahl ermittelter Einzelschicksale. Zusätzlich werden Arbeitsweisen und Werkzeuge, aber auch Hindernisse der Provenienzforschung thematisiert.

Ziel von Projekt und Ausstellung ist es, ein öffentliches Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen den geraubten Kulturgütern und den damaligen und heutigen Institutionen zu vermitteln.

Die Bibliothek geht den Fragen nach, wem hat ein bestimmtes Buch gehört? Wer ist diese Person und welches Schicksal hat sie erlitten? Auf welchem Weg sind diese Bücher in die Bibliothek gelangt und wer war daran beteiligt? Was ist Raubgut und was nicht?

Ausstellung

Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
– Schopenhauer-Studio –
Bockenheimer Landstraße 134-138
60325 Frankfurt am Main

20. Mai – 28. August 2022
Dienstag – Sonntag 13:00 – 18:00 Uhr

Webauftritt des Teams Provenienzforschung an der UB JCS: https://www.ub.uni-frankfurt.de/projekte/provenienz.html