Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Het Wilhelmus? De Wilhelmus?

Die niederländische Nationalhymne hat nicht nur eine bewegte Geschichte, sondern ist überdies auch eine Quelle von allerlei Verwechslungen. Zunächst stolpert man beim Zuhören oder Lesen über die ersten beiden Verse:

Wilhelmus van Nassouwe

In der Sint-Janskerk in Gouda kommt Wilhelm von Oranien etwas farbenfroher daher als seine Hymne vermuten lässt. (J. Köhler, CC-BY-SA-3.0)

ben ik, van Duitsen bloed

Nicht nur die Betonung der deutschen Herkunft des alten Monarchen mag hierzulande überraschend klingen – erst recht weil es zur Zeit dieses Wilhelm von Nassau noch kein Deutschland im heutigen Sinne gab. Auch die Aussage in der ersten Person ist bemerkenswert. Nationalhymnen neigen von Natur aus gerne zu Texten mit Selbstaussagen: Wie treu bin ich gegenüber meiner Nation, die doch von allen die beste ist. Aber sich selbst per Liedtext mit Wilhelm von Oranien zu verschmelzen ist doch ein besonders starker Akt der Identifizierung mit Land und Monarchie. Erst recht weil das Lied in der dritten Strophe auch noch diejenigen anspricht, die es eigentlich singen sollten:

Lijdt u, mijn onderzaten
die oprecht zijt van aard,
God zal u niet verlaten,
al zijt gij nu bezwaard.

In der Rolle als Wilhelm singt das Volk sich quasi selbst an. Vielleicht wegen dieser seltsamen Personenkonstellation wird die dritte Strophe selten gesungen.

Außerdem verwirrend: Wie heißt denn nun die Nationalhymne? Natürlich het Wilhelmus, denn es ist schließlich het volkslied der Niederlande. Es droht wieder einmal die Falsche-Freunde-Falle: das volkslied ist die Nationalhymne, also kein Volkslied. Der Unterschied liegt im Detail und zudem – wie sollte es anders sein – zusätzlich im Diminutiv. Auf Niederländisch kann ein traditionell gesungenes Lied durchaus een volkslied sein, aber hét volkslied ist in jedem Fall die Hymne. Wenn der Unterschied besonders deutlich werden soll, kann man das traditionelle Liedgut auch unter volksliedje fassen. Wer het Wilhelmus als volksliedje bezeichnet, steht zwar nicht unbedingt sofort wegen Majestätsbeleidigung mit einem Fuß im Knast, schlägt aber zumindest einen antinationalistischen Ton an.

Trotzdem mag es seltsam klingen, wenn man bei das Wilhelm-Lied den zweiten Teil des Kompositums weglässt und nur noch das Wilhelm übrig ist. Es hat nichts mit Gender-Gerechtigkeit zu tun, dass es neben het Wilhelmus auch noch de Wilhelmus gibt. Denn de Wilhelmus hat keinen niederländischen Artikel, sondern einen luxemburgischen. Die Nationalhymne für das Land an sich ist Ons Heemecht (‚Unsere Heimat‘), während de Wilhelmus die Hymne für den Großherzog ist. Die Melodie des luxemburgischen Wilhelmus ist anders, der Text seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch, aber insgesamt ist der getragene, komplexe Rhythmus vergleichbar. Und auch der Wilhelm ist derselbe: der von „deutschem“ Blut – trotz lateinischer Endung –, auf den sich Luxemburger und Niederländer gemeinsam berufen. Fast das gesamte 19. Jahrhundert hindurch war der König der Niederlande in Personalunion zugleich Großherzog von Luxemburg, also stets ein Nassauer, dessen Urvater man mit einem Wilhelmus ehrte. So kommt es, dass beim Staatsbesuch von Beatrix in Luxemburg das Orchester zuerst de Wilhelmus spielte (für das eigene Staatsoberhaupt) und danach het Wilhelmus (für den Staatsgast).

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Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 20. Juli 2016 um 08:25 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Niederlande, Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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