„Dann stellt sie sich, ohne etwas zu sagen und mit ruhigem Gesichtsausdruck, vor die Klasse …“

Ein Beitrag von Antonia K.

Bei der im Folgenden beschriebenen Situation handelt es sich um den Mathematikunterricht einer siebten Klasse in der fünften Stunde. Wie bei jeder Unterrichtsstunde treffe ich einige Minuten vor Stundenbeginn im Klassenraum ein. Die Klasse ist sehr unruhig. Alle Schülerinnen und Schüler (SuS) laufen umher, es gibt kleinere Streitigkeiten oder Diskussionen und einige jagen sich gegenseitig durch den Klassenraum. Schließlich kommt die Lehrkraft in den Raum und fängt an, ihre Sachen auszupacken und die Tafel für die Stunde vorzubereiten. Sie lässt sich dabei nicht von der starken Unruhe um sie herum stören und ermahnt nur einige Male, wenn sie sieht, dass SuS sich gegenseitig ärgern oder gegen die Klassenregeln verstoßen. Das alles passiert allerdings in einem sehr ruhigen und freundlichen Tonfall. Die Unruhe in der Klasse geht weiter, da die meisten SuS noch nicht mitbekommen haben, dass die Lehrkraft den Raum betreten hat. Vereinzelte SuS kommen nach vorne, um ihr noch schnell eine Frage stellen zu können und die Lehrkraft beantwortet diese, während sie weiter die Tafel vorbereitet. Als die Uhr schließlich auf 11:30 steht, bittet die Lehrkraft alle SuS, die noch vorne bei ihr stehen, sich auf ihren Platz zu stellen, damit der Unterricht beginnen kann. Dann stellt sie sich, ohne etwas zu sagen und mit ruhigem Gesichtsausdruck, vor die Klasse direkt vor den Mittelgang zwischen den Tischen, von wo sie alle Kinder im Blick hat.
Einige SuS haben schon vorher mitbekommen, dass sie den Raum betreten hat, haben auch die Uhrzeit gesehen und stehen deswegen nun an ihrem Platz. Viele davon haben auch ihr Unterrichtsmaterial auf dem Tisch und sehen die Lehrkraft an. Ein anderer Teil der Klasse hat noch nicht mitbekommen, dass die Lehrkraft sich vor die Klasse gestellt hat, oder fühlt sich durch die immer noch leichte Unruhe sicher genug, noch weiter mit anderen Mitschülerinnen und Mitschülern reden zu können, ohne aufzufallen. Ich bemerke, wie manche SuS ihre Sitznachbarn darauf aufmerksam machen, dass die Lehrkraft darauf wartet, dass es ruhig wird, und nach und nach reden immer weniger SuS. Vereinzelten Sitznachbarn oder Freundesgruppen scheint es noch nicht unangenehm geworden zu sein, dass der Großteil der Klasse ruhig ist und die Lehrkraft auf sie wartet, und reden noch weiter, aber die Lehrkraft nimmt dann den Blickkontakt mit betroffenen Personen auf, die schließlich nach und nach aufhören zu reden. Einige werden wieder unruhiger und zwei Mädchen in der vordersten Reihe zerren unter unterdrücktem Kichern an einem Hefter, bis sie merken, dass die Lehrkraft sie schon eine Weile ansieht. Allerdings guckt sie nicht streng oder genervt oder sauer, sondern sehr ruhig und neutral. Schließlich ist die ganze Klasse ruhig und sieht die Lehrkraft an. Von dem Moment an, an dem sie sich vor die Klasse gestellt hat, ist schätzungsweise eine halbe Minute Zeit vergangen. Jetzt, da sie die Aufmerksamkeit der SuS bekommen hat, begrüßt sie sie mit dem üblichen „Guten Morgen, liebe 7b.“, woraufhin die Klasse auch die Lehrkraft begrüßt. Dann setzen die SuS sich hin und es wird wieder ein wenig unruhiger, allerdings hören sie der Lehrkraft aufmerksam zu, sobald diese mit der Unterrichtsstunde beginnt.

Meine Einsichten

Mit dieser Unterrichtsstunde hat die Lehrkraft gezeigt, dass es möglich ist, eine Gruppe von 30 SuS ruhig und aufmerksam zu bekommen, ohne dabei selbst laut werden zu müssen. Die Klasse hat selbst gemerkt, dass es für sie unangenehm gewesen wäre, wenn sie weiterhin laut geblieben wären. Die Motivation, ruhig zu werden, kam also nicht daher, dass mit Konsequenzen gedroht wurde, sondern aus einem guten Lehrer-Schüler-Verhältnis. Die Lehrkraft musste nicht sauer werden und mit Sanktionen drohen, damit die SuS das gewünschte Verhalten umsetzen, sondern die Lehrkraft wurde von den SuS als Person geschätzt und respektiert, weswegen es ihnen nicht egal war, was sie von ihnen mitbekommt und denkt. Deswegen haben sie aufgehört, Unruhe zu verbreiten, sobald sie gesehen haben, dass die Lehrkraft wartet, bzw. als sie sie direkt angesehen hat. Es wirkte auch so, als wäre der ganze Prozess nichts Ungewöhnliches für die Klasse und als kannten sie dieses Vorgehen von dieser Lehrkraft schon. Die Lehrkraft hat also nicht nur durch ein starkes Arbeitsbündnis gepunktet, sondern auch durch die Ausübung eines Rituals. Wenn jede/r Schüler/in durch ein Zeichen bestimmter Art weiß, wie er/sie sich zu verhalten hat, kann das gewünschte Verhalten sehr viel leichter umgesetzt werden, da es nicht erst noch kommuniziert werden muss.

Meine Folgerungen

Es ist wichtig, dass man sich als Lehrkraft bewusst ist, wie man auf seine Umwelt – also auf die Klasse vor sich – wirkt und vor allem was für einen Einfluss man auf sie hat. Ich habe nicht nur in dieser einen Unterrichtssituation mitbekommen können, dass die SuS sehr häufig das nachahmen, was sie von der Lehrkraft sehen. Das bedeutet, dass es nicht immer förderlich für die Lautstärke ist, gegen dieselbe anzubrüllen, weil damit die Klasse insgesamt schnell nur noch unruhiger werden kann. Insgesamt hätte sich die Lehrkraft in dieser Situation nicht besser verhalten können, da sie durch ihre Ruhe, die sie ausgestrahlt hat, dafür gesorgt hat, dass auch ihr Umfeld ruhiger wird.

Meine Anschlussfragen

  • Ist eine derartige Methode in allen Klassenstufen möglich?
  • Ist eine derartige Methode auch möglich, wenn sie den Schülerinnen und Schülern noch nicht bekannt ist?
  • Wie sollte man sich verhalten, wenn die Klasse nach längerem Warten nicht ruhig wird?

2 Gedanken zu „„Dann stellt sie sich, ohne etwas zu sagen und mit ruhigem Gesichtsausdruck, vor die Klasse …““

  1. Liebe Antonia,
    ich finde deinen Blogeintrag sehr interessant und habe selbst in der Zeit meines freiwilligen sozialen Jahres solche Reaktionen von Lehrkräften vereinzelt beobachten können. Ich bin der Meinung das es bei solchen Herangehensweisen von Lehrkräften besonders wichtig ist, dass die Schüler_innen und die Lehrkraft vertraut sind und Respekt voreinander haben. Um die Klasse ohne Worte beruhigen zu können muss man ebenfalls Autorität ausstrahlen und die Schülerinnen und Schüler gut kennen. Ich denke wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind kann diese Methode zur Beruhigung der Klasse auch in jeder Klassenstufe einwandfrei funktionieren. Des Weiteren bin ich der Meinung das es eine Herausforderung darstellen könnte als externe und unbekannte Lehrkraft diese Methode anzuwenden, versuchen kann man es jedoch immer und bei fehlender Reaktion seitens der Schüler_innen seine Aktionen anpassen.

  2. Dieser Blogeintrag zeigt wie wichtig es ist, bestimmte Rituale und Vorgehensweisen in einer Klasse bzw. Klassenklima einzuführen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine positive Lehrer-Schüler-Beziehung und ein bestimmtes Ritual dazu beitragen können, ein ruhiges und aufmerksames Klassenklima zu schaffen. Die Tatsache, dass die Klasse selbst erkannt hat, dass es für sie unangenehm wäre, weiterhin laut zu sein, zeigt, dass das gewünschte Verhalten nicht nur durch Konsequenzen erzielt werden muss. Stattdessen wurde das Verhalten der Klasse durch die Präsenz der Lehrkraft und den Blickkontakt gelenkt. Es scheint, als hätten die Schülerinnen und Schüler ein Ritual erkannt und verstanden, welches ihnen signalisiert, wie sie sich verhalten sollten.

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