Ein Beitrag von Laura J.
Da meine Mentorin an einem Tag krank war, hospitierte ich ausnahmsweise in einer 3. Klasse, die ich bisher kaum kannte. Ebenso kannte ich auch die Lehrerin in der Klasse kaum bzw. wusste nichts über ihre Beziehung zu den Schüler-/innen. Zum Verständnis der Situation ist es wichtig zu wissen, dass die Klasse aus nur 7 Mädchen und 15 Jungen bestand. Es waren gerade drei Wochen nach den Sommerferien vergangen und die Klassenlehrerin meinte zu den Kindern, dass sie nun drei Wochen so sitzen konnten wie sie wollten, sie nun aber jeden besser kennt und einschätzen kann, neben wem jeder gut arbeiten kann. Danach öffnete sie am Smartboard eine Datei wo eine Draufsicht des Klassenraums zu sehen war und jedes Kind erkennen konnte, wo es zu nun zu sitzen hat.
Als bereits die ersten Kinder aufspringen wollten um an ihren neuen Platz zu laufen und einige Kinder ihre Meinung zu ihrem neuen Sitzplatz verbal äußern wollten, meinte die Lehrerin mit kräftiger Stimme: „Moment! Konnte denn jeder seinen neuen Platz finden?“. Nach Zustimmung aus der Klasse gab sie den Auftrag, alles einzupacken und leise an den neuen Platz zu laufen. Es entstand etwas Gewusel im Klassenraum. Nach ungefähr vier Minuten hatte jeder seine ganzen Sachen am Sitzplatz organisiert und wer schon fertig war, diskutierte mit seinem Sitznachbarn darüber, wie zufrieden er mit dem neuen Platz war.
Als langsam wieder Stille einkehrte, bemerkte die Lehrerin, dass alle richtig saßen, bis auf ein Junge, welcher hinten in der Klassenraumecke mit verschränkten Armen stand. Sie meinte: „Sehr gut, wie ich sehe hat jeder seinen Platz gefunden. Felix (Name geändert), was ist mit dir? Warum sitzt du nicht auf deinem Platz?“. Felix hingegen sagte nichts und drehte sich mit wütendem Gesicht weg. Die Lehrerin ging zu ihm hin und fragte ihn erneut, wieder keine Antwort. Doch ein Mädchen aus der Klasse sagte zur Lehrerin: „Er möchte nicht neben zwei Mädchen sitzen!“. Die Lehrerin schaute sich im Raum um und meinte zu einem anderen Jungen: „Tom (Name geändert)! Du sitzt neben zwei Mädchen, findest du das schlimm?“ Der Junge verneinte. Die Lehrerin versuchte Felix seinen neuen Platz etwas zu verkaufen, scheiterte jedoch. Letztendlich meinte sie: „Okay Felix, meinetwegen bleib da stehen, dann hast du deinen neuen Platz ja. Jedoch würde ich nicht gern ein ganzes Schuljahr stehen müssen.“
Die Lehrerin ging wieder nach vorne und führte ganz normal ihre Mathestunde fort und beachtete Felix auch nicht weiter. Felix stand tatsächlich ganze 45 Minuten hinten, störte aber auch den Unterricht nicht. Die Unterrichtsstunde war für die Klasse auch die letzte an diesem Tag. Die Lehrerin meinte: „So, wir schauen mal, wer ordentlich sitzt und schon gehen kann.“. Sie zählte nach und nach Namen auf, welche Kinder dann den Raum verlassen konnten. Felix schaute sich um und nahm seine Tasche und setzte sich auf seinen eigentlichen neuen Platz, da er vermutlich dachte, dass wenn er nicht ordentlich auf seinem Platz sitzt, er auch nicht gehen darf. Die Lehrerin rief ihn kommentarlos auf und er verließ den Raum, blieb aber im Flur stehen und lief etwas nervös umher. Nach kurzer Zeit kam er wieder in den Klassenraum und streckte seine Hand zur Lehrerin und meinte: „Entschuldigung, dass ich so ausgerastet bin, ich werde mich ab morgen auf meinen Platz setzen.“ Die Lehrerin antwortete: „Mit der Einsicht habe ich nicht gerechnet, freue mich aber umso mehr. Bis Morgen!“
Meine Einsichten
Ich wusste erst nicht, was ich davon halten soll, dass sie den Jungen in der Ecke stehen ließ. Ich hätte aber auch nicht gewusst, was ich an ihrer Stelle gemacht hätte, da der Junge sich komplett verschloss. Da sie ihn aber in keinster Weise bloßstellte, fand ich ihre Reaktion auch nicht unangebracht. Letztendlich hat der Junge aber über sein Verhalten nachgedacht, Einsicht gezeigt und sich sogar entschuldigt. Die Frage welche offen bleibt ist, ob sie andere Konsequenzen am Folgetag gezogen hätte, wenn er sich nicht entschuldigt hätte oder ob ein Gespräch zustande gekommen wäre, wenn er sich nicht freiwillig am Ende der Stunde auf seinen Platz gesetzt hätte.
Meine Folgerungen
Aus der oben beschriebenen Situation nehme ich mit, dass man Kindern in manchen Situationen vielleicht lieber Zeit einräumen sollte anstatt zu appellieren. Wie ich nach der Stunde von ihr erfuhr, endet es bei dem Jungen schnell in großen Wutausbrüchen, bei welchen er herumschreit und Sachen durch die Gegend wirft. Deshalb meinte sie, dass man aufpassen muss, was man sagt, er aber nach gewisser Zeit oft Einsicht zeigt. Das hat mir gezeigt, dass man durch eine gute Kenntnis über jeden Schüler durchaus Streitsituationen vermeiden kann. Sie wusste genau, was sie dem Schüler sagen konnte ohne ihn zu sehr zu reizen. Womöglich hätte sie anders reagiert, wenn ein anderer Schüler in der Ecke gestanden hätte. Jedoch ist es wichtig, egal was in einem gerade vorgeht, nie die Fassung zu verlieren und auf keinen Fall einen Schüler oder eine Schülerin bloßzustellen.
Meine Anschlussfragen
- Wie hätte ich in der Situation reagiert?
- Ist es okay bei anderen Schülern oder Schülerinnen anders zu reagieren?
- Wie schaffe ich es, Kinder zur Einsicht zu bewegen?
- Ist es möglich, immer angemessen zu reagieren?