Ein Beitrag von Franziska E.
Die folgende Situation erlebte ich in einer Montessori-Grundschule in einer JüL Klasse der Jahrgangsstufen 123 während einer Mathearbeitszeit. In dem Teil des Unterrichts arbeiten die Kinder frei in ihren Arbeitsheften, an Arbeitsblättern, mit Montessorimaterialien oder bekommen in Kleingruppen direkte Instruktionen von der Lehrkraft. Ich unterstützte Mara (Name geändert), eine Schülerin der zweiten Klasse, die zu den lernschwachen Kindern der Klasse gehört, bei der Bearbeitung ihrer Arbeitsblätter auf denen Wiederholungsaufgaben der ersten Klasse im Zahlenraum bis 20 waren. Mara fielen die Aufgaben schwer, sie brauchte viel Zeit, wurde unkonzentrierter und sagte immer wieder zu mir: “Ich kann das nicht!“. Nach ungefähr zehn Minuten merkte ich, dass Mara mir nicht mehr zuhören konnte, sich im Raum umschaute und ihre Aufmerksamkeit auf den Mitschüler*innen und dem sonstigen Klassengeschehen lag. Zudem wirkte sie unmotiviert an den Aufgaben weiterzuarbeiten. Auf dem Fußboden des Klassenzimmers arbeitete gleichzeitig eine Schülerin der ersten Klasse mit Montessorimaterial, welches dafür ausgelegt ist, ein Mengenverständnis zu entwickeln. Die Erstklässlerin schaute unsicher und hilfesuchend, so dass ich Mara fragte, ob wir ihr gemeinsam Hilfestellung leisten wollen. Sie nickte und schien dankbar für die Abwechslung. Wir setzten uns gemeinsam auf den Teppich und boten unsere Hilfe an, welche von der Erstklässlerin Nina (Name geändert) gerne angenommen wurde. Ich ermunterte Mara (die Zweitklässlerin) Nina (der Erstklässlerin) zu helfen und nach anfänglichem Zögern tat sie dies mit zunehmender Freude. Sie lösten die Aufgaben gemeinsam, dabei wirkte Mara entspannt und motiviert. Nach ungefähr 10 Minuten sagte ich, dass Nina die weiteren Aufgaben sicher allein lösen könnte und fragte Mara, ob wir wieder gemeinsam an ihrem Arbeitsblatt arbeiten wollen. Sie willigte ein und es war möglich, weitere fünf Aufgaben zu bearbeiten.
Meine Einsichten
Der Arbeitsauftrag an Mara ein Arbeitsblatt zu lösen und eine komplette Mathearbeitszeit von 45 Minuten damit zu verbringen, führte bei ihr sehr schnell zu einem Gefühl der Überforderung. Als sie merkte, dass sie die Aufgaben (der ersten Klasse) nicht schnell und ohne Probleme lösen kann, begann sie eine Lustlosigkeit zu entwickeln. Die sich wiederholende Aussage „Ich kann das nicht!“ könnte zudem auf ein mangelndes mathematisches Selbstkonzept hinweisen. Als sie jedoch in die Lage versetzt wurde, selbst einer jüngeren Schülerin etwas zu zeigen, wirkte dies sehr motivierend, da sie merkte, dass sie im ersten Schuljahr etwas gelernt hat und einen Teil des Unterrichtsstoffes beherrscht. Diese Selbstwirksamkeitserfahrung, die Mara durch das veränderte Lernsetting machen konnte, führte dazu, dass sie ihre eigenen Aufgaben hinterher weiter bearbeiten konnte.
Meine Folgerungen
Es waren verschiedene Faktoren, die bei Mara dazu geführt haben, dass sie schnell unkonzentriert und unmotiviert wirkte. Zum einen denke ich, dass es die große Menge der Aufgaben (ca. 30 Rechenaufgaben) auf dem Arbeitsblatt war, die bei der Schülerin zu einem Gefühl der Überforderung geführt hat. Später stellte sich heraus, dass bei den Lehrkräften bekannt ist, dass Mara Konzentrationsschwierigkeiten hat, so dass eine kleinere Aufgabenmenge sicher sinnvoll gewesen wäre, um sie nicht zusätzlich unter Druck zu setzen. Außerdem hätte sie so ein schnelleres Erfolgserlebnis gehabt, welches zusätzlich motivierend für weitere Aufgaben wirkt. Sehr beeindruckt hat mich allerdings, welcher Motivationsschub durch das „peer tutoring“ und die damit verbundene Selbstwirksamkeitserfahrung entstanden ist. Das Gefühl etwas zu können, ist anscheinend besonders für lernschwächere Schüler besonders wichtig. Insgesamt sollte im Unterricht darauf geachtet werden, dass möglichst vielen Schülerinnen und Schülern solche selbstwirksamkeitsförderlichen Gelegenheiten ermöglich werden.
Meine Anschlussfragen
Im Unterricht der Grundschule sind Arbeitsblätter und Arbeitshefte übliche Unterrichtsmaterialien. Sicherlich ist der Einsatz dieser vorgefertigten Materialien auch an bestimmten Stellen sinnvoll, wird aber nach meinem Empfinden oft zu inflationär eingesetzt.
- Wie schaffe ich es, so weit wie möglich darauf zu verzichten die Kinder in Arbeitsheften arbeiten zu lassen, den Unterricht individueller zu gestalten und dabei den Arbeitsaufwand für mich als Lehrkraft nicht immens zu steigern?
Anscheinend haben Selbstwirksamkeitserfahrungen einen positiven Einfluss auf die Motivation von Schüler*innen.
- Warum bringen wir die Kinder trotzdem oft wissentlich in eine Erfahrung des Scheiterns, sei es durch Klassenarbeiten, diagnostische Tests oder andere Wettbewerbssituationen?
Dieser Beitrag zeigt, wie hilfreich es sein kann, Schüler*innen in bestimmten Konstellationen zusammenarbeiten zu lassen sowie passende Aufgaben zu stellen. In diesem Fall konnte die Situation fast optimal gelöst werden, da beide davon profitieren konnten.
Bezüglich der letzten Frage könnte ich mir vorstellen, dass Kinder in Situationen des Scheiterns gebracht werden, damit sie lernen, wie sich Frust anfühlt und wie sie zukünftig effektiv und gesund damit umgehen können. Für diesen Punkt gibt es denke ich aber auch viele Gegenargumente und ich weiß nicht, wie wirksam solche Momente in der Schule tatsächlich sind.