„Von Weitem sehe ich Frau Müller kommen, unter dem Arm einen Eimer voller Schlagzeugsticks.“

Ein Beitrag von Charlotte M.

Dass die Klasse 2c eine sehr unruhige Klasse sein soll, habe ich bereits von mehreren Lehrkräften im Lehrerzimmer gehört. Umso gespannter bin ich, als die Musiklehrerin der Klasse mich einlädt, bei ihrem Unterricht dabei zu sein. Der Unterricht findet nach der Mittagspause statt. In den letzten Tagen habe ich beobachtet, wie schwer es sein kann, eine Klasse nach der langen Hofpause wieder zur Ruhe und Konzentration zu bringen. Dies ist ein weiterer Punkt, bei dem ich gespannt bin, wie Frau Müller (Name geändert) damit umgehen wird. Das Vorklingeln ertönt. Ich stehe vor dem noch verschlossenen Klassenzimmer, um mich herum toben 20 Kinder auf dem Gang umher. Von Weitem sehe ich Frau Müller kommen, unter dem Arm einen Eimer voller Schlagzeugsticks.

Sie öffnet das Klassenzimmer, die Kinder stürmen auf ihre Plätze. Das Stundenklingeln wird von der Klasse gekonnt überhört. Kaum ein Kind sitzt ruhig auf seinem Platz, einige verlassen noch einmal das Klassenzimmer, andere stehen bei ihren Freunden an den Tischen, wieder andere suchen ihre Unterrichtsmaterialien. Frau Müller jedoch steht ganz gelassen und ruhig vor der Klasse.

Sie nimmt ihren Eimer mit den Schlagzeugsticks und fordert zwei Schülerinnen auf, jedem Kind zwei Sticks auf den Platz zu legen. Die beiden Mädchen verteilen die Sticks und die Klasse beruhigt sich nach und nach. Die interessanten Gegenstände, die Frau Müller da mitgebracht hat, machen sie neugierig auf den Beginn des Unterrichts. Immer mehr Augenpaare richten sich nach vorne zur Lehrerin und warten auf eine Erklärung und eine Aufgabenstellung. Frau Müller erklärt, dass sie einen Song mitgebracht hat und die Klasse dazu einen Rhythmus erarbeiten soll. Dazu müssen alle Kinder aufstehen und sich hinter ihren Stuhl stellen. Unruhe entsteht, die Kinder stehen auf. Stühle fallen um, die Kinder können nicht stillstehen. Frau Müller sieht darüber jedoch einfach hinweg und startet die Musik. Jailhouse Rock ertönt durch das Klassenzimmer. Sofort hat sie wieder die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse. Frau Müller steht da, die Schlagzeugsticks spielbereit in den Händen und zählt mit den Fingern die Takte bis zur Strophe ab. Die Kinder machen es ihr gleich, stehen spielbereit hinter ihren Stühlen, wippen im Takt. Es ist soweit, der Refrain beginnt. Frau Müller macht den Kindern die Percussion-Abfolge vor und Stück für Stück steigt die Klasse ein. Mit jeder Wiederholung werden die Bewegungen kontrollierter und stimmiger. Um während der zweiten Strophe die Konzentration der Klasse zu halten, macht Frau Müller eine Bewegungschoreografie vor, die rhythmisch den Song aufgreift und die Klasse beschäftigt.

Durch den Wechsel zwischen Percussion spielen und Bewegung ohne Klang, müssen alle Schüler*innen aufmerksam bleiben. Wer aus dem Takt kommt, steigt selbstständig wieder ein. Ich sehe den Kindern an, wie viel Spaß sie an dieser Aufgabe haben. Das Zusammenspiel aus dem Ehrgeiz, den Rhythmus mitspielen zu können und der anregenden Musik führt dazu, dass die Schüler*innen sich konzentrieren wollen und von sich aus bei der Sache sind, ohne ständig ermahnt werden zu müssen. Dadurch, dass Frau Müller sich nicht aus der Ruhe bringen lässt durch kleine Störungen und abfallende Konzentration in der Klasse, kommt der Unterrichtsfluss nicht ins Stocken und der Fokus liegt durchgehend auf dem Unterrichtsinhalt und nicht auf dem Verhalten der Klasse. Sie schafft es, ihren Unterricht so interessant zu gestalten, dass die Klasse sich von selbst wieder sammelt und mitmacht. Die Schüler*innen dürfen sich im Unterricht bewegen und aktiv werden.

Meine Einsichten

Frau Müller ist der Klasse in ihrer Unterrichtsgestaltung also entgegengekommen und hat die Form des Unterrichts an die Bedürfnisse der Schüler*innen angepasst. Es gelingt ihr somit, guten Unterricht zu machen, bei dem die Schüler*innen viel lernen und sie erspart sich selbst den Stress, eine unruhige Klasse beruhigen zu müssen.

Durch die Beobachtung von Frau Müllers Musikstunde habe ich gelernt, dass man Vertrauen in eine Klasse haben muss. Einer als unruhig und laut bekannten Klasse würde ich erstmal keine Schlagzeugsticks in die Hand drücken, aber Frau Müller hat der Klasse damit einen Vertrauensvorschuss gegeben und es hat sich gelohnt. Sie ist auf den Bewegungsdrang der Klasse eingegangen und hat in ihrem Unterricht einen Kompromiss aus Unterrichtsstoff vermitteln und Spiel und Spaß gefunden.

Durch das Akzeptieren der kleinen Unruhen, die durch die Unterrichtsform entstehen, lenkt sie nicht vom wesentlichen Inhalt der Stunde ab und fokussiert sich ganz auf ihren Unterricht. Sie hat den Anspruch, ihren Stoff zu vermitteln und den Kindern eine schöne Musikstunde zu bieten, nicht 45 Minuten Aufmerksamkeit von einer ruhigen Klasse zu haben. Da sie ihren Anspruch und ihren Unterricht an die Klasse angepasst hat, kann sie diesem gerecht werden.

Meine Folgerungen

Aus der Beobachtung dieser Stunde kann ich folgern, dass es wichtig ist, den eigenen Unterricht an die Klasse anzupassen. Natürlich kann man sich nicht immer nur nach den Schüler*innen richten, aber man kann ihnen in manchen Punkten doch entgegenkommen, um besseren Unterricht für beide Seiten zu machen. So ist die Stunde nicht nur für die Klasse erfolgreicher, sondern auch die Lehrkraft kann zufrieden mit dem Unterricht sein. Außerdem konnte ich aus der Situation mitnehmen, dass man an manchen Stellen über Unruhen hinwegsehen muss und den Unterrichtsfluss nicht immer für irgendwelche Kleinigkeiten unterbrechen sollte. Wenn man die Klasse mit den Unterrichtsinhalten für sich gewinnt, ist das viel konzentrationsfördernder, als wenn man sie ermahnt. Dann kommt die Motivation nämlich aus den Schüler*innen selbst und wird nicht von außen erzwungen.

Meine Anschlussfragen

  • Was wäre passiert, wenn die Klasse nicht so gut mitgemacht hätte?
  • Schlagzeugsticks können einen ziemlichen Lärm machen, wie hätte Frau Müller die Klasse wieder eingefangen, wenn sie ausgebrochen wären?
  • Und wie schafft man es komplexere Inhalte, die Ruhe und Konzentration benötigen, an so eine aktive Klasse zu vermitteln?

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