„Frau P. fragte die Schülerinnen und Schüler […], was eine Entscheidung ist …“

Ein Beitrag von Mira K.

Im Rahmen meines Beobachtungspraktikums besuchte ich die dritte Klasse einer Berliner Grundschule. Die Erziehungsberechtigen der Schülerinnen und Schüler sollten zu Beginn des Schuljahres an einem Elternabend entscheiden, ob bereits in diesem oder erst im nächsten Jahr Noten eingeführt werden sollen. Folgende Situation spielte sich im Rahmen des Sachunterrichts eine Woche vor dem Elternabend ab.

Die Klassenlehrerin Frau P. begann die Stunde, indem sie den Schülerinnen und Schülern eröffnete, dass sie heute im Sachunterricht eine Entscheidung treffen wollen. Um besser darüber sprechen zu können, sollte sich die Klasse vorne in einem Sitzkreis versammeln. Alle Schülerinnen und Schüler, sowie ich selbst, waren sehr gespannt und aufmerksam. Frau P. fragte die Schülerinnen und Schüler zunächst was eine Entscheidung ist, daraufhin wie man eine Entscheidung trifft und anschließend ob sie eine Situation schildern können, in der sie selbst bereits eine Entscheidung treffen mussten.

Die Atmosphäre während des Gesprächs war sehr ruhig und intim. Die Lehrerin hat sich viel Zeit genommen und jeden, der etwas dazu beitragen wollte, zu Wort kommen lassen. Anschließend erklärte Frau P., dass sie nun entscheiden werden, ob die Klasse für oder gegen die Einführung der Noten in diesem Schuljahr ist. Zwar läge die Entscheidung schlussendlich bei ihren Erziehungsberichtigten, aber ihr sei es wichtig, dass auch die Schülerinnen und Schüler selbst eine Meinung haben und diese mit der Klasse und ihren Eltern diskutieren sollen. Nun wurden Argumente für und gegen Noten gesammelt. Die Klasse wurde ermutigt auch Ängste und Bedenken zu äußern was auch einige taten. Danach diskutierten die Schülerinnen und Schüler über ihre Meinung zu den Noten in Kleingruppen und schrieben ihre Meinung abschließend auf einen Zettel auf. Die Zettel sammelte die Klassenlehrerin ein um sie am Elternabend den Erziehungsberechtigten zu präsentieren.

Meine Einsichten

Frau P. hätte die Einführung der Noten nicht mit der Klasse diskutieren müssen und erst recht nicht eine ganze Unterrichtsstunde dafür opfern müssen. Die Diskussion, die dadurch entstand, war aber in meinen Augen sehr wertvoll. Diese Stunde gab den Schülerinnen und Schülern der Schulklasse das Gefühl, dass sie ein Teil der Entscheidung sind und dass nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Die Schülerinnen und Schüler setzten sich ganz allgemein mit dem Thema Entscheidungen und Argumenten auseinander, reflektierten über die Einführung der Noten, lernten eine eigene Meinung zu entwickeln und auch Ängste zu äußern, was vielen noch sehr schwer fiel. Die Schülerinnen und Schüler überraschten und begeisterten mich mit ihrer Offenheit, Ernsthaftigkeit und vielseitigen Wortbeiträgen. Besonders förderlich empfand ich die intime Atmosphäre, die währenddessen herrschte. Sie zeigte wie gut das Arbeitsbündnis und das Klassenklima ist.

Meine Folgerungen

Aus dieser Situation habe ich gelernt, dass es auch sehr wertvoll sein kann, etwas im Unterricht zu behandeln, das nicht im Lehrplan steht, vor allem wenn es sich dabei um ein so wichtiges Thema wie Noten handelt. Ein gutes Klima in der Klasse ist nicht nur die Grundlage für den Unterricht sondern es ermöglicht auch, dass Schülerinnen und Schüler sich mit schwierigen, komplexen Themen offen auseinandersetzen können.

Meine Anschlussfragen

  • Ist es den Schülerinnen und Schülern sogar zuzutrauen, selbst zu entscheiden, ob die Noten in der dritten Klasse eingeführt werden sollen?
  • Wie gut hätte diese Diskussion in einer Klasse funktioniert, in der ein weniger gutes Klima herrscht?
  • Wie kann man Schülerinnen und Schüler verstärkt dazu ermutigen, ihre Ängste zu äußern und zu ihrer Meinung zu stehen?

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