Praktikum bei einer Organisation für Nachhaltige Architektur

Kurz vor dem Abschluss meines Studiums in Sozial- und Kulturanthropologie entdeckte ich die Methode des audio-visuellen Arbeitens für mich. Im Rahmen meiner Bachelorarbeit erlernte ich erste Fertigkeiten in diesem Bereich (Umgang mit Kamera, Schnitt). Die Erfahrung erweckte mein Interesse und ich beschloss meine Fähigkeiten in diesem Bereich zu erweitern. Außerdem wollte ich meine vorhandenen Portugiesisch-Sprachkenntnisse ausbauen. Also suchte ich nach einem Praktikum in Portugal im Bereich Medienproduktion und fand über eine Anzeige im Internet die Organisation.

Von der Praktikumsstelle erfuhr ich durch einen Aufruf auf Facebook. Meine Freundin teilte einen Beitrag, in dem die Organisation die Stelle für eine*einen Praktikant*in im Bereich Medienproduktion ausschrieb. Anfangs war ich noch unsicher, wie gut das Praktikum in einer Architekturorganisation zu meinem Studium der Anthropologie passte, doch nachdem ich mich über die Website und den YouTube Kanal weiter über die Organisation informierte, gefielen mir besonders die Schwerpunkte der Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit, in denen ich einen interessanten Schnittpunkt zu meinem Studium sah und die Möglichkeit meine Kenntnisse in einem neuen interdisziplinären Kontext auszubauen. Um weitere Informationen zu den Bewerbungsbedingungen zu erhalten, schrieb ich eine E-Mail, in der ich mich kurz vorstellte und mein Interesse bekundete.  Das anschließende Gespräch verlief sehr locker und schnell, da er nicht viel Zeit hatte, er machte aber dennoch einen freundlichen Eindruck. Er erklärte mir die Anforderungen des Praktikums und betonte vor allem, wie wichtig es sei flexibel zu sein, wenn nötig sich auch in mehreren Bereichen zu engagieren und auch bereit zu sein sich mal „die Hände schmutzig zu machen“, womit er sich auf die praktische Arbeit in der Werkstatt und den Workshops mit den Studierenden bezog. Nachdem ich meine Motivation, Erfahrungen und Interessen schilderte, versicherte Samuel mir spätestens am nächsten Tag eine Rückmeldung zu geben. Tatsächlich erhielt ich noch an demselben Abend die Zusage.

Eine typische Woche begann am Montag um 10:00 Uhr mit einem Meeting des gesamten Teams, in dem alle aktuellen und teilweise zukünftigen Projekte besprochen werden. Drauf folgen kleinere Meetings der verschiedenen Abteilungen (z.B. Studiomeeting, Videoteam-Meeting etc.), in denen konkretere Planungen vorgenommen werden. Zum Mittag kommt das gesamte Team zusammen zum Essen, welches jeden Tag von einem anderen Koch-Team, bestehend aus zwei Mitarbeitenden bzw. Praktikant*innen, zuvor zubereitet wird. Außerhalb der Meetings und an den restlichen Tagen arbeiten alle in kleinen Gruppen oder individuell an verschiedenen Projekten. Die Arbeitszeiten sind in der Regel von 10:00 bis 18:00 Uhr. Die Woche endet am Freitag mit dem gemeinschaftlichen Aufräumen und Putzen der gemeinsam genutzten Räume des Hauses. Das gemeinsame Essen und Putzen gilt als wesentlicher Teil des kollegialen Arbeitens und zur Stärkung des Communitygedankens über die Arbeit hinaus.

Abgesehen von diesem typischen Wochenalltag war das Jahr, in dem ich mein Praktikum absolvierte, jedoch von vielen Veränderungen geprägt, vor allem ausgelöst durch die verschiedenen Situationen und Bedingungen, die sich durch die Coronapandemie ergaben und die Orga dazu zwangen, die Arbeitsstrukturen an die jeweiligen Maßnahmen anzupassen. Aber auch der Wechsel von Mitarbeitenden und Praktikant*innen verursachte eine insgesamt eher unbeständige Teamkonstellation.

Als mein Praktikum am 01.02.2021 begann, befand sich Portugal im Notzustand und es war ein strenger Lockdown verhängt, daher fanden Meetings und alle Tätigkeiten, die am Computer erledigt werden konnten, in diesen Wochen im Homeoffice statt. Für eine erste kleine Orientierung gab mir eine der Praktikantinnen, am Freitag vor meinem ersten offiziellen Arbeitstag, eine kurze Einführung in die Strukturen und Projekte, ich bekam meine eigene Email Adresse und den Zugang zu Slack, dem Hauptkommunikations-Channel und zum Trello-Board, über das alle Projekte, Aufgaben und Ideen festgehalten und organisiert werden und welches zudem als Protokoll des Montagsmeetings dient.

Mein erstes virtuelles Meeting an dem darauffolgenden Montag, dem alle Team Mitglieder per Skype beiwohnten, nahm ich, aufgrund der vielen verschiedenen Projekte und einer Menge an Informationen, als etwas überfordernd war. Auf meine Bedenken hin wurde mir jedoch von den anderen Praktikant*innen versichert das dies immer so sei und ich mir keine Gedanken machen solle, mit der Zeit würde ich rein finden und alles etwas besser verstehen. Dennoch fühlte ich mich leider lange Zeit nicht wirklich vorbereitet oder eingearbeitet, sondern eher etwas in die Arbeit „hineingestolpert“. Tatsächlich brauchte ich fast einen Monat, bis ich den Meetings vollständig folgen konnte, verstand, worum es ging und mir eigenständig Aufgaben suchen konnte. Sicherlich erschwerten aber auch die Umstände des Homeoffice die erste Phase des Ankommens. Nachdem der Lockdown und Beschränkungen in Portugal gelockert wurden, konnte ich endlich meine Teamkolleg*innen auch persönlich kennenlernen. Dies erleichterte den Arbeitsalltag etwas.

Zu Beginn meines Praktikums gab es zwei weitere Praktikant*innen, die für das Produzieren von Medien zuständig waren: ein Architekturstudent, der das Filmen und Bearbeiten von audio-visuellen Medien erst innerhalb des Praktikums entdeckte und lernte und eine Studentin der audio-visuellen Produktion, die dementsprechend das Praktikum bereits mit Vorkenntnissen antrat. Die beiden waren also meine ersten Ansprechpartner*innen und Kolleg*innen, mit denen ich am meisten zusammenarbeitete. Sie gaben mir eine kurze und allgemeine Einführung in die Aufgaben des Medienteams, wie z.B. das Einrichten bzw. Aufbauen des Filmstudios und die Produktion der Onlinekurse. Leider gab es wenig Zeit, um mich in detailliertere Arbeitsprozesse einzuarbeiten, denn ich arbeitete mit ihnen nur die ersten ein bis zwei Monate zusammen, danach war ihr Praktikum vorbei und ich war die einzige Praktikantin mit dem Fokus auf Medienproduktion. Es gab immer mal wieder andere Praktikant*innen und Mitarbeiter*innen, die an einzelnen Videoprojekten beteiligt waren und halfen, aber ein tatsächliches Video- bzw. Medienteam kam nicht zustande, da zu viele andere Projekte anstanden und keiner die Kenntnisse, Zeit oder den Fokus auf der Medienproduktion hatte. Also arbeitete ich oftmals allein und musste mir auch den Großteil des Wissens selbst aneignen.

Zu den Hauptaufgaben gehörte das Produzieren, Filmen und Schneiden der criti.co Kurse und das generelle Begleiten des Alltags und Geschehens mit der Kamera und das spätere Bearbeiten der Fotos und des Videomaterials mit Hilfe von Photoshop, DxO PhotoLab und Premiere Pro für die verschiedenen sozialen Netzwerke.

In der ersten Hälfte meines Praktikums fanden zwei praktische Postgraduierten-Workshops statt, diese Zeiten waren die intensivsten. Da wir sowohl an den Workshop Projekten teilnahmen, also auf der Baustelle arbeiteten, als auch zeitgleich die Prozesse medial festhalten und für die sozialen Netzwerke aufbereiten mussten. Einer dieser Kurse war über „Rammed-Earth“ (eine Methode zum Bauen von Fundamenten, Böden und Wänden, durch das Stampfen und Pressen des Lehmgemischs). Im Rahmen dieses Kurses kam ein Dozent aus Österreich nach Porto, um den Workshop anzuleiten. Dieser Workshop sollte viele Projekte unter einen Hut bringen: Den praktischen Teil des Postgraduierten Programmes und damit die Renovierung der Critical-Concrete Co-Lateral Küche mit einem Rammed-Earth Boden und einer Rammed-Earth Wand, außerdem wollten wir die Gelegenheit nutzen den praktischen Workshop direkt filmisch zu begleiten, um daraus wiederum einen criti.co Onlinekurs kreieren zu können.

Dies stellte sich als eines der herausforderndsten Aufgaben meines Praktikums heraus. In der Regel kommen die Dozierenden der Onlinekurse mit einem vorbereiten Skript, um dieses dann vor der Kamera zu lesen, in der Postproduktion fügen wir von den Lehrenden bereitgestelltes Bildmaterial hinzu. Für diesen Kurs gab es jedoch kein Skript, nur eine grobe Übersicht der wichtigen Themen, die der Kurs umfassen sollte. Zu diesem Zeitpunkt waren wir zu zweit im Videoteam (Ma. und ich, also beide auch noch recht unerfahren). Vor jedem Workshoptag hatten wir eine Stunde mit dem Dozenten, um die Themen vor der Kamera abzuarbeiten. Danach filmten wir den gesamten praktischen Prozess. Wir mussten genau aufpassen, was im praktischen Workshopteil passiert und welche Informationen die Studierenden erhalten, um diese dann für den Onlinekurs zu rekapitulieren. Wir mussten also nicht nur filmen, sondern auch die Regie führen und im Nachhinein die große Menge an Filmmaterial sortieren und schneiden.

Abgesehen davon, hatte ich die Möglichkeit viele weitere, spannende Projekte zu begleiten: Ich habe Onlinekurse über ethnographisches Arbeiten in der Architektur oder Aktivismus und urbane Anthropologie gefilmt und geschnitten, für das YouTube-Video „Women in Construction“ habe ich mehrere Frauen, die im Bereich Bau beschäftigt sind, interviewt; und habe mehrere Gestaltungsprozesse und Workshops zum Participatory Design mit der Kamera begleitet. Besonders gefiel mir die Arbeit mit der Nachbarschaft, da ich hier am meisten Kenntnisse einbringen konnte, sowohl sprachlich als auch ethnographisch. Durch die Pandemie waren diese Veranstaltungen leider nur sehr begrenzt möglich, dennoch konnten wir zwei Repair-Cafe Events veranstalten. Dort kamen verschiedene Partner*innen zusammen und halfen Gegenstände, wie Fahrräder, Kleider oder elektronische Geräte zu reparieren. Meine Portugiesisch Sprachkenntnisse halfen mir mit den Besucher*innen in Kontakt zu treten und konnte Methoden des ethnographischen Filmens anwenden, um eine kleine Dokumentation über die Nachbarschaft und dieses Event zu machen.

Insgesamt sehe ich viel Potential der Organisation spannende Praktika anzubieten. Für mich war es besonders interessant zu sehen, wie die Disziplinen Anthropologie und Architektur zusammen funktionieren und sich ergänzen können, um Fragen der Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit von verschiedenen Perspektiven aus zu beantworten. Leider war ich jedoch mit der Betreuung teils etwas unzufrieden. Ich habe mich oft mit den Aufgaben allein und teilweise auch überfordert gefühlt. Die Anforderungen und Erwartungen professionelle Ergebnisse vorzulegen, erzeugten einen hohen Druck und ich hätte mir manchmal mehr Unterstützung und Raum für Fragen gewünscht.

So habe ich zwar die Umstände als Herausforderung angenommen und sicherlich viel dazu gelernt, insbesondere Probleme eigenständig zu bewältigen und neue Lösungswege zu finden, auch habe ich mich viel ausprobiert, im Bezug auf Kamera- und Schnitttechnik und viel an Übung gewonnen, dennoch fehlte mir manchmal eine professionelle Inspiration und Anleitung und konstruktives Feedback, um meine Fähigkeiten und Kenntnisse besser zu erweitern.

Die Ursache für den Mangel an Betreuung sehe ich viel auch in den Einschränkungen durch die Pandemie, aber auch in der Knappheit der Mitarbeitenden und der enormen Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Projekten, die zur Folge haben, dass weniger Zeit bleibt für individuelle Gespräche und Mentoring. So gehe ich nun aus dem Praktikum heraus, mit vielen Erkenntnissen und einiger Übung mehr, aber leider auch immer noch mit gewissen Unsicherheiten, wie ich diese für meine berufliche Laufbahn nutzen kann.

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