Praktisches Jahr in Norwegen

Im Rahmen meines praktischen Jahres verbrachte ich rund vier Monate von Anfang September bis Ende Dezember im Universitätskrankenhaus in Tromsø, einer kleinen norwegischen Universitätsstadt knapp 340 Kilometer nördlich des Polarkreises. Es war mein zweiter längerer Aufenthalt im Paris des Nordens, wie Tromsø auch liebevoll genannt wird, da ich bereits 2019 ein Erasmus-Semester dort verbracht hatte.

Zum damaligen Zeitpunkt (glücklicherweise noch vor Corona) konnte ich erste Eindrücke von der norwegischen Kultur, sowie dem Leben und klinischen Arbeiten in Nordnorwegen sammeln. Tromsø beherbergt die nördlichste Universität und ist die größte Stadt im Norden Norwegens. Der abgedroschene Spruch „dort leben, wo andere Urlaub machen“ trifft inzwischen noch besser zu, da Tromsø als Nordlicht-Hotspot immer bekannter und touristischer wird. Vor allem für Outdoor-Enthusiasten ist die Gegend in der Gemeinde Troms ein Eldorado. Bergsteigen, Klettern, Kayak fahren, Zelttouren im Sommer; Langlaufen, Skifahren, Wale beobachten, Nordlichter bestaunen und Hüttentouren im Winter. Man merkt, dass ich neben meiner Zeit im Krankenhaus noch andere Motivationen hatte, an diesen wunderbaren Ort zurückzukehren und mir mein obligatorisches Chirurgie-Tertial zu verschönern.

Zwar konnte ich nicht mehr ganz so viel Zeit in der Natur verbringen wie zu Zeiten meines Erasmus-Semesters, da ich abgesehen von wenigen Urlaubstagen jeden Tag im Krankenhaus zu erscheinen hatte, auch wenn das Aufgabenspektrum überschaubar war, trotzdem haben mich die Erlebnisse darin bestärkt, dass es den organisatorischen Aufwand wieder einmal wert gewesen war. Dank der Kooperation der Charité mit der Universität in Tromsø klappte die Vermittlung gut.

Meine Zeit im Krankenhaus in der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie würde ich alles in allem als „greit“, auf Deutsch also in Ordnung beschreiben. Das medizinische Ausbildungssystem in Norwegen ist anders als in Deutschland. Nach sechs Jahren Universität mit vielen praktischen Anteilen in den letzten beiden Jahren folgen eineinhalb Jahre als sogenannter „Lege i spesialisering 1“ (LIS1), was mit unserem Praktischen Jahr gleichgesetzt werden kann. Den größten Unterschied stellt die existierende Bezahlung dar, die die Norweger für ihre Arbeit bekommen. Dementsprechend habe ich mich guten Gewissens als „Medizinstudent“ ausgegeben, auch wenn ich im Prinzip auf derselben Ebene mit den, herkömmlich als Turnusärzten, bezeichneten norwegischen LIS1 war. Jeder Medizinstudent erhält einen veileder, einen Verantwortlichen, der als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Ich hatte sehr viel Glück mit meinem veileder, einem deutschen Assistenzarzt, der sich wirklich ins Zeug gelegt und mich sehr viel eingebunden hat. Generell ist man sowohl in der Herz-, Thorax-, Gefäß- als auch in der Allgemein- und Viszeralchirurgie, in der eine Freundin zur gleichen Zeit ihr Tertial verbracht hat, sehr auf sich allein gestellt. Alle sind zwar sehr freundlich im Gespräch und die Stimmung ist gut, es wird viel gescherzt und gelacht, jedoch wird man nie initiativ gefragt, ob man bei einem Eingriff assistieren, oder einem spannenden Patientenfall beiwohnen möchte. Dies lässt sich sehr gut mit dem kulturell bedingt eher reservierten Verhalten der Norweger erklären. So begann fast jeder Tag mit dem Durchforsten des OP-Programms, sowie der Abwägung, ob ein Tag in der Rettungsstelle, der Poliklinik oder auf Station am spannendsten wäre.

Zugegebenermaßen kam ich nicht optimal vorbereitet nach Norwegen. Zwar hieß es von Seiten der Universität, dass ein B2-Level in Englisch genüge, was für andere Stationen auch stimmen mag, doch macht es einen erheblichen Unterschied im Klinikalltag, ob man norwegisch ausreichend versteht und spricht, oder nicht. Laut den Aussagen anderer Austauschstudierender wurde auf anderen Abteilungen bei der Anwesenheit internationaler Studierender die Morgenbesprechung auf Englisch abgehalten, damit diese folgen konnten – die Herz-, Thorax-, Gefäß-, sowie die Allgemein- und Viszeralchirurgen taten dies jedoch nicht, und so waren wir gezwungen, an unserem Norwegisch zu arbeiten, was für uns zweifellos sinnvoll, jedoch auch durchaus stressig und anstrengend war. Selbstständig arbeiten konnte ich nach einiger Zeit bei der Aufnahme elektiver Patienten, dem Verfassen einfacher Epikrisen, der Aufnahme von Patienten in der Rettungsstelle und als erste und zweite Assistenz bei Operationen – wenn ich darum bat. Generell ist die Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie nicht unbedingt ein Feld, in dem man im OP als Student viel beitragen kann, da die Operationen meist sehr komplex sind und viel Fingerspitzengefühl erfordern. Im Nachhinein hätte ich darum beten sollen, zwischen verschiedenen Abteilungen zu rotieren, um noch mehr sehen zu können.

Trotzdem konnte ich mich ein wenig dort einbringen und im Rahmen der Dienste meines veileders auch andere Operationen miterleben. Da das medizinische Versorgungssystem in Norwegen anders strukturiert ist als in Deutschland und Patienten nicht ohne Überweisung durch einen legevakt in die Notaufnahme dürfen, einer vorangeschalteten Stelle, die alle akuten Patienten beurteilt, die nicht über den Rettungswagen die Notaufnahme erreichen, und generell die Hausärzte in Norwegen ein sehr breites Spektrum an Behandlungen abdecken, waren in der Notaufnahme keine einfachen Schnittverletzungen zu nähen und das Nähen beschränkte sich auf den OP-Saal.

Generell kann man sagen, dass das Arbeitsklima in Norwegen um einiges angenehmer ist als in Deutschland. Zwar müssen die Assistenzärzte auch hier den größten Teil der unangenehmen Stationsarbeit erledigen und viele Dienste übernehmen, trotzdem trägt der Angestelltenschlüssel dazu bei, dass alles entspannter abläuft, und sowohl die Angestellten als auch die Patienten so gut wie immer zu einem Scherz aufgelegt sind und alle auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Hierarchie wird in Norwegen klein geschrieben, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass sich alle, sowohl Patienten als auch Chefarzt duzen. Auffallend war für mich auch, dass es plötzlich eine immense Rolle spielte, wo der Patient herkam, da dies einmal sprachlich einen großen Unterschied machte, da norwegische Dialekte mit großem Stolz gesprochen werden, um die jeweilige Herkunft zu deklarieren, dies jedoch auch für die Planung des Krankenhausaufenthaltes bzw. die Heimreise unabdingbar zu beachten war, da viele Patienten stundenlang zu ihrem Heimatort unterwegs waren oder sogar oft das Flugzeug nehmen mussten, da das Universitätskrankenhaus den kompletten Teil Nordnorwegens von der russischen Grenze im Norden bis nach Nordland in Mittelnorwegen zu versorgen hat.

Das Studentenleben in Tromsø bietet dank der großen Universität und den vielen Austauschstudenten einiges und es lässt sich dort sehr gut leben. Ich bin froh, wieder dorthin zurückgekehrt zu sein, mehr Kontakt zu Norwegern gehabt zu haben und einen besseren Einblick ins norwegische Gesundheitssystem bekommen zu haben. Ich hatte viele schöne Begegnungen und habe meine Zeit, trotz des ein oder anderen Hindernisses, sehr genossen.

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