Mein Erasmuspraktikum habe ich in der Forschungsgruppe Marseille Medical Genetics an der Fakultät für Medizin der Aix-Marseille Université verbracht. Die Forschungsgruppe befasst sich mit der Erforschung der frühzeitigen Alterung von Zellen aufgrund genetischer Erkrankungen und den daraus folgenden zellulären Veränderungen. Von Anfang Juni bis Mitte September 2022 hatte ich hier die Chance viel Neues zu lernen, mein Französisch enorm zu verbessern und natürlich auch die Umgebung zu erkunden.
Das Projekt, in dem ich in der Forschungsgruppe mitgearbeitet habe, hat sich mit einer möglichen Verbindung zwischen einer vorzeitigen zellulären Seneszenz aufgrund von einer Mutation im Gen ZMPSTE24 und schwerem metabolischen Syndrom beschäftigt. Das Gen ZMPSTE24 kodiert eine Zink-Metalloprotease, die nötig ist, um Prelamin A in reifes Lamin A umzusetzen. Reifes Lamin A ist neben anderen Laminen für die Form und Steifigkeit des Zellkernes verantwortlich und hat eine wichtige Rolle in der Genexpression. Bei Störung der Protease ZMPSTE24 ist somit weniger funktionsfähiges Lamin A vorhanden und außerdem kann sich nicht umgesetztes Prelamin A akkumulieren und den Stoffwechsel der Zelle weiter stören.
Um diesem Sachverhalt nachzugehen habe ich das Arbeiten mit Zellkulturen im Reinraum gelernt. Wir haben Fibroblasten von gesunden Probanden und Patienten mit Missense-Mutationen, die das Gen ZMPSTE24 betreffen, kultiviert. Anschließend haben wir in der Testgruppe an den kultivierten Fibroblasten eine Transfektion mit siRNA durchgeführt, die die Expression von Prelamin A vermindert, sodass sich weniger nicht-umgesetztes Prelamin A akkumulieren kann. Die Fibroblasten in der Vergleichsgruppe hingegen wurden nicht behandelt.
Wir haben dann die Proteine Prelamin A und Lamin A aus den Fibroblasten der Test- und Vergleichsgruppe isoliert, um deren Expression, in Abhängigkeit von der Transfektion mit siRNA, mittels Western Blot zu analysieren. Weiterhin haben wir die Fibroblasten der Test- und Vergleichsgruppe auf Objektträgern fixiert und die Proteine Prelamin A und Lamin A mittels Immunofluoreszenz markiert. Bei der anschließenden Mikroskopie konnten wir so weitere Daten zu deren Expression sammeln. Außerdem bietet die Mikroskopie die Möglichkeit Anomalien an den Zellkernen in Abhängigkeit von der Transfektion mit siRNA zu untersuchen. Dazu haben wir beim Mikroskopieren Bilder aufgenommen und diese dann mittels Software zur Bildauswertung, ImageJ und Zen Studio, analysiert. Die gesammelten Ergebnisse haben wir mit den in gleicher Weise behandelten gesunden Probandenzellen verglichen.
Ein weiterer Part meiner Arbeit in der Forschungsgruppe bestand in einer Literatur- und Datenbankrecherche zu einer wichtigen Region im Gen PLIN1. Ich habe wissenschaftliche Artikel zum Thema gelesen und verschiedene bioinformatische Tools benutzt, um neue Daten zu erfassen. Mittels PolyPhen habe ich die Spezies-übergreifende Konservierung dieser spezifischen Region kontrolliert. Seltene Missense-Mutation habe ich mittels GnomAD gesucht und deren Splicing- und Pathogenitätsvorhersagen in MobiDetails, sowie auch MutationTaster, UMD-Predictor, SIFT überprüft. Zuletzt konnte ich über das Human Genetics Cardiovascular Disease Knowledge Portal in Erfahrung bringen, ob für die Mutationen in dieser wichtigen Position des Gens bereits signifikante Phänotypen berichtet wurden. Meine Ergebnisse habe ich in Form eines Berichtes festgehalten.
Die Arbeit war insgesamt sehr abwechslungsreich. Zum Beispiel habe ich mit Hilfe der Seite Servier Medical Art Grafiken zu einer Revue erstellt oder konnte der Verteidigung einer Doktorarbeit beiwohnen, bei der meine Mentorin im Gremium saß.
Außerdem habe ich in der Fakultät für Pharmazie einen Einblick in Projekte in der analytischen Chemie erhalten. Eines dieser Projekte stammt aus dem Bereich der Umweltanalytik in Hinblick auf Kontaminationen des Meeres mit Pestiziden und anderen chemischen Produkten. Hier habe ich viel zur Aufbereitung von Meeresbodenproben und Proben tierischen Ursprungs, deren Analyse mittels Gaschromatographie und Auswertung der erhalten Daten erfahren. Bei einem studentischen Projekt zur Stabilitätsstudie eines Arzneimittels habe ich bei der Vorbereitung der Proben, deren Analyse mittels HPLC und Interpretation mitgeholfen. Natürlich gehörten zu meinem Praktikum auch die Teilnahme an wöchentlichen Meetings der Arbeitsgruppe zur Diskussion der gefundenen Ergebnisse sowie Meetings zu den einzelnen Projekten.
Am Ende meines Praktikums hatte ich weiterhin die Chance die Arbeit im Genetik-Labor des Kinder-Krankenhauses kennenzulernen. Hier habe ich alles zur DNA-Extraktion von Patientenproben, deren Amplifikation mittels PCR und anschließender Sanger- oder Next Generation Sequenzierung gelernt. Außerdem war ich an der abschließenden Bewertung von bei Patienten gefundenen Mutationen mittels der bioinformatischen Tools Globin Gene Server, ClinVar, GnomAD, MobiDetails und UMD-Predictor beteiligt.
In meiner Zeit bei Marseille Medical Genetics habe ich mich fachlich und persönlich enorm weiterentwickelt und viele lehrreiche Erfahrungen gesammelt. Besonders zu schätzen gelernt habe ich auch das freundliche Arbeitsklima. Ich wurde sehr gut ins Team aufgenommen und konnte immer Fragen stellen. Durch die Chance in so vielen unterschiedlichen Bereichen Einblick zu erhalten und mitzuarbeiten hatte ich einen starken Wissenszuwachs im Bereich der Genetik. Ich habe sowohl Arbeitstechniken der Zellkultur sowie auch die Analyse und Erfassung von Daten über Mutationen und Gene mittels bioinformatischer Tools gelernt.
Zudem konnte ich meine Sprachkenntnisse enorm verbessern, da die Arbeitssprache im Labor und in allen Meetings generell Französisch war. Meine Freizeit habe ich genutzt, um Marseille und die Umgebung zu erkunden und an zahlreichen kulturellen Events teilzunehmen.
Insgesamt hat mich der Auslandsaufenthalt hier in Marseille in meinem Vorhaben bestärkt, nach meinem Abschluss in die Forschung zu gehen. Im Herbst werde ich in einer Krankenhausapotheke beginnen eine Diplomarbeit zu schreiben, wobei mir die in Marseille gewonnen Erfahrungen und Fertigkeiten eine große Hilfe sein werden. Ich hatte einen sehr interessanten und erlebnisreichen Sommer und kann abschließend nur jedem ein ERASMUS Praktikum empfehlen.
Tipps für andere Praktikant:innen
Praktikumssuche
Ich habe in allen Städten, die mich interessiert haben, auf Universitäts- und Institutswebsites nach interessanten Forschungsgruppen gesucht. Diese habe ich dann mit einem kurzen Text, Lebenslauf und einem Empfehlungsschreiben angeschrieben. Mein Tipp ist hier, nicht zögerlich zu sein und erst einmal allen Stellen eine Nachricht zu schreiben, die interessant aussehen. Gebt nicht auf und sucht euch immer neue Stellen, wenn ihr keine Antwort erhalten! – Bei mir hat es auch sehr lang gedauert bis ich eine positive Rückmeldung erhalten habe.
Wohnungssuche
Da ich meinen Aufenthalt über den Sommer absolviert habe, wo in Frankreich überwiegend vorlesungsfreie Zeit ist, waren die Studentenwohnheime nicht geöffnet. Auf Airbnb sind die Mieten viel zu teuer gewesen, weswegen ich mir dann über Studapart eine WG gesucht habe. Dies ist eine französische Website die WGs und Appartements für Studenten und Auszubildende vermittelt. So weiß man, auch wenn man seine Mitbewohner vor dem Einzug nicht unbedingt kennen lernt, dass man ungefähr auf derselben Wellenlänge ist. Hilfreich ist auch, dass diese Website gegen einen Aufpreis die Bürgschaft für einen übernimmt, da die meisten Vermieter in Frankreich nur französische Bürgen akzeptieren. Zuerst habe ich vor allem versucht ein kleines Apartment für mich allein zu finden, da ich die Idee mit Leuten zusammenzuwohnen, die ich nicht kenne, sehr abschreckend gefunden habe, was dann wegen Verfügbarkeit und Preis doch nicht geklappt hat. Letztendlich bin ich aber mit meiner WG viel zufriedener, da ich über meine Mitbewohner tolle Menschen kennengelernt und viele Erlebnisse und Ausflüge erst so zu Stande gekommen sind.
Versicherung
Ich habe die sehr praktische DAAD Kombiversicherung abgeschlossen, die mit einem Vertrag Auslandskrankenversicherung inklusive Rückführung nach Deutschland sowie Haftpflicht- und Unfallversicherung im Praktikum abdeckt. Genau diese Versicherungen wurden auch von meiner Praktikumsstelle gefordert.
Sonstiges
Um bereits ins Französisch reinzukommen, habe ich vor meinem Aufenthalt versucht manche Bücher, Serien und Filme auf Französisch zu konsumieren. Außerdem habe ich ein paar Lektionen in Duolingo und dem OLS-Onlinekurs von Erasmus absolviert.
Telefon-/Internetanschluss
Wegen des EU-Roamings konnte ich meinen deutschen Handy-Tarif problemlos weiter nutzen. In den meisten WGs in Marseille und so auch in meiner ist das WLAN glücklicherweise bereits vorhanden und mit den Mietkosten abgedeckt.
Bank/Kontoeröffnung
Für meinen kurzen Aufenthalt brauchte ich glücklicherweise keinen französischen Bank-Account anlegen. Alle Zahlungen und Überweisungen haben ohne Gebühren sehr gut mit meinem Konto bei der ING funktioniert.
Ausgehmöglichkeiten
Was ich an Marseille lieben gelernt habe, sind vielen kleinen gratis Konzerte, Veranstaltungen und Musikgruppen die überall in der Stadt spielen. Das bunte Treiben auf den Straßen von Marseille beginnt, wenn es anfängt dunkel zu werden und dauert bis tief in die Nacht an. Man hat das Gefühl, dass die Stadt erst abends richtig aufwacht, was natürlich der brennende Sonne tagsüber geschuldet ist. Wenn man also abends im Zentrum spazieren geht, wird man mit ziemlicher Sicherheit mindestens eine Band oder StraßenmusikerIn finden. Hinzu kommen unzählige Festivals und Konzerte, die von den unterschiedlichen Bezirken in der Stadt organisiert werden. Diese finden meist in schönem Ambiente in Parks statt und ermöglichen, gratis professionelle Musiker aus verschiedensten Musikstilen von Jazz über Klassik bis zu Sizilianischen Gesängen zu erleben. Ansonsten sind am Cours Julien und Rund um den Vieux Port zahlreiche Bars und Clubs zu finden. Daten an denen die ganze Stadt auf den Beinen ist, sind natürlich das Fête de la Musique am 21.06. und die Fête nationale am 14.07., die – egal an welchem Wochentag das Datum liegt – überschwänglich gefeiert werden
Sonstiges
Da die Stadt direkt am Wasser liegt, kann man auch nach der Arbeit noch zu einem der zahlreichen Stadtstrände fahren, um Baden zu gehen oder einfach nur die Aussicht zu genießen. Der direkt neben der Stadt gelegene Parc national des Calanques ist sehr gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und bietet die einmalige Möglichkeit mit Meerblick zu wandern und dabei Badepausen in den wunderschönen Buchten mit ihrem türkisblauen, unglaublich klaren Wasser zu machen.