Bologna ist eine wahnsinnig junge Stadt, ganz besonders für italienische Verhältnisse. Das merkt man sofort nach der Ankunft. Ich hatte das Glück ein günstiges Zimmer in der Altstadt zu finden und ganz egal zu welcher Uhr- oder Jahreszeit man das Haus verlässt, in den Straßen ist echt immer etwas los und der Studierendenanteil ist enorm. Auch deswegen gilt Bologna als politisch sehr links, erneut besonders für italienische Standards. Man ist in Mode und Lebensstil sehr frei und lässt sich von Konventionen nichts vorschreiben, auch das hat mich sofort angesprochen.
Ich musste eine Woche vor Praktikumsbeginn in Bologna sein und im Nachhinein bin ich sehr froh darüber. Vieles versteht sich denke ich von selbst: wunderschöne Stadt mit einer vergleichsweise sehr großen Altstadt (weil wohl mal die drittgrößte Stadt der Welt) mit unzähligen Sehenswürdigkeiten, toller Architektur und fantastischem Essen. Vor allem wenn es auch mal Fleisch sein darf, das ist auf jeden Fall ein großer Unterschied zu Berlin. Aber mittlerweile findet man auch als Vegetarier großartige und einfallsreiche Gerichte, besonders wenn man abseits von touristischen osterie ein wenig die Seitenstraßen erkundet. Beim Essen gehen sind die Preise vergleichbar mit Berlin, vielleicht etwas günstiger. Supermärkte hingegen kosten ausnahmslos mehr als in der Heimat, das Wohnen ist leider in beiden Städten mittlerweile sehr teuer, viele Studierende rücken deswegen in Doppelzimmern zusammen, ein Gedanke, mit dem ich mich wohl nie anfreunden werde können. Das Praktikum war gut organisiert, sowohl von der dortigen Universität als auch des deutlich wichtigeren Krankenhauses. Ich war sofort Teil der einheimischen Gruppe von Praktikantinnen und Praktikanten, davon gab es vor allem in den ersten Monaten (März, April) jede Menge. Italienische Praktika sind aber grundsätzlich deutlich anders aufgebaut und ausnahmslos viel kürzer. Die längsten Praktika im letzten Studienjahr gehen da gerade einmal vier Wochen. Auch deshalb und bestimmt auch durch die insgesamt große Anzahl an Praktikantinnen und Praktikanten wird sich nicht wirklich bemüht, diese richtig einzuarbeiten, man hat keine selbstständigen Aufgaben und wird die meiste Zeit angehalten, einfach beim normalen Krankenhausablauf zuzuschauen. Dabei wurde ich stets sehr freundlich behandelt, Fragen wurden stets geduldig beantwortet, aber teilweise fühlt man sich dann doch etwas eingeschränkt in seinem Lernzuwachs durch die fehlende Praxis. Ein Praktikum in der Allgemeinchirurgie kommt mit dem Vorteil, dass man täglich wählen kann, auf welchen Bereich man gehen will. Zur Auswahl standen Bettenstation (mit Verbandswechsel als praktischem Highlight, bei dem man auch mal Hand anlegen und nach einiger Zeit auch Drainagen und Nähte entfernen durfte), Ambulanz, medizinische Aufnahme mit detailliertem Anamnesegespräch, Endoskopie mit einem sehr herzlichen leitenden Professor und die OP-Säle. Auch in den oft berüchtigten OPs war der Umgang mit mir stets ausgesprochen freundlich und hilfsbereit, angepöbelt wurde ich in den 16 Wochen kein einziges Mal. Im OP gilt erneut: kein Mensch benötigt dich dort, aber du bist immer eingeladen, dir das anzukucken, dass dich am meisten interessiert. Das chirurgische OP-Team bestand meist aus Operateurin oder Operateur und 3 Assistenzärztinnen oder -ärzten in verschiedenen Jahren der Facharztausbildung. Dabei hat meist der oder die Jüngste schon kaum etwas zu tun, weshalb man sich als Studierende oder Studierender eigentlich nur steril macht und an den Tisch geht, wenn man die Leute etwas kennengelernt hat und selbst nachfragt. In den Formalien war das Praktikum recht frei, Start war grundsätzlich um 8:30 Uhr und oft war man um 13 Uhr auch schon wieder fertig, Mittagessen musste man bei Bedarf selbst bezahlen oder man wurde von den Ärztinnen und Ärzten eingeladen. Je nach Präferenz und OP konnte man aber auch am Nachmittag bleiben oder auch nur für den Nachmittag ins Krankenhaus kommen, sich einen Tag freizunehmen war nie ein Problem, das Praktikum wird viel mehr als Angebot als Pflicht gesehen. Trotz der beschränkten Hilfe, die man dem ärztlichen Team sein kann, sind die eigentlich für die kleinsten Gesten schon sehr dankbar gewesen und man wird als Teil des Teams wertgeschätzt. Auch bei der Sprache geben sich die Italienerinnen und Italiener mit wenig zufrieden und man wird oft für die einfachsten Floskeln schon überschwänglich gelobt, andererseits ist der Klinikalltag ausschließlich in der primären Landessprache und vor allem wenn nicht direkt zu einem gesprochen wird, ist ein hohes Sprachniveau meiner Meinung nach essenziell, um den Überblick nicht zu verlieren. Das verstärkt sich durch den Fakt, dass das Uniklinikum in Bologna im Frühjahr 2023 Masken noch sehr viel ernster genommen hat als alle deutschen Häuser, die ich zu ähnlicher Zeit gesehen habe. Mein Italienisch war zu Beginn des Praktikums auf B2 würde ich schätzen, das hat auf jeden Fall ausgereicht, aber auf jeden Fall versteht man damit noch nicht jedes Gemurmel unter Masken oder jede ironische Bemerkung am OP-Tisch. Ich hatte tolle Monate in Bologna (“la dotta, la rossa e la grassa” – was soviel bedeutet wie: „die Gebildete (viele Fächer mit unzähligen Studierenden an der ältesten Universität der Welt), die Rote (wegen der roten Dächer und Häuser) und die Fette (was auf die Reichhaltigkeit der regionalen Küche anspielt)“. Ich habe massenhaft neue Leute kennengelernt, sowohl Internationals als auch Einheimische bzw. Italienerinnen und Italiener aus allen Regionen des Landes. Nicht nur in Bologna, sondern auch in den Städten ringsherum die dank toller und vor allem sehr preiswerter Zuganbindungen einfach zu erreichen sind, gibt es jede Menge zu entdecken und zu sehen. Die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt waren für mich wahrscheinlich wirklich das Highlight, was in Anbetracht der zahlreichen weiteren Vorzüge dieser Stadt echt eines heißen will. Es tut mir leid wegen des Klischees, aber für mich war Bologna tatsächlich la dolce vita.
Tipps für andere Praktikant:innen
Vorbereitung
Gutes Italienisch ist essenziell, um im schnellen Krankenhausalltag auch mitzukommen, mindestens B2 meiner Meinung nach
Praktikumssuche
Email direkt an den zuständigen Primario und anschließend Abstimmung mit dem Erasmus-Büro der Università di Bologna
Wohnungssuche
In Bologna schwierig und oft sehr kurzfristig, meistens noch über Facebook
Sonstiges
Anreise sehr gut mittels Zug möglich, vielen Dank für das Erasmus-Programm für den zusätzlichen Ansporn durch die Unterstützung von green travelling – gute Idee!
Alltag/Freizeit
Ausgehmöglichkeiten
Klassisches italienisches Studentenleben, abends ist man einfach draußen in den Straßen und zahlreichen Bars der Altstadt, wunderschöne Stimmung, billiger Aperol Spritz und bei Bedarf auch noch schnell eine Pizza. Die meisten richtigen Clubs befinden sich außerhalb der Stadt und sind ohne Auto leider nur schwer zu erreichen, wenn man eine Mitfahrgelegenheit findet, würde ich es auf jeden Fall empfehlen, ansonsten verpasst man nichts Essenzielles. Ausnahme ist das Casserò, ein queer-freundlicher Club an der Grenze der Altstadt, sehr beliebt, schöne location, meist Popmusik, sollte man meiner Meinung nach schon mal gesehen haben. Nachteil bei allen Clubs in Bologna: Man braucht meistens eine sogenannte tessera, also eine Mitgliedskarte, die kostenpflichtig und dann meist ein Jahr gültig ist. Hat man die einmal, ist der Eintritt meist sehr günstig, nur für kurze Zeiträume lohnt sich das dann oft nur bedingt.
Sonstiges
Tolles Essen, tolle Parks und Gärten (besonders zu empfehlen i giardini e le serre, aber auch Ziele etwas außerhalb der Stadt in den ersten Ausläufern der Dolomiten sind immer einen Ausflug wert, beispielsweise villa spada, i trecento scalini oder San Luca