Code of Conduct (CoC) für die digitale Lehre – nettes Add-on oder doch unverzichtbar?

Der Umstand, dass Studierende aktuell fast ausschließlich online am Unigeschehen teilnehmen, lässt den Blick nicht nur auf gelingende Lehre richten, sondern auch auf Begleitumstände und Folgen. So berichten 86% der befragten Studierenden einer umfassenden Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dass in Zeiten der digitalen Semester der Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte zu Mitstudierenden schwieriger geworden sind (Marzuk et al., 2021). Ähnlich wurden fehlende Kontakte im Stimmungsbild 6/2020 unseres Fachbereichs nach dem ersten digitalen Semester in allen Statusgruppen beklagt. Vieles spricht dennoch dafür, dass die Möglichkeiten zum digitalen Austausch nicht nur zum Lernen und Diskutieren genutzt werden, sondern – infolge mangelnder Alternativen – auch zum Kennenlernen unter den Studierenden, v.a. bei den „Erstis“. Und das ist auch gut so. Aber müssen wir nochmal aufschreiben, wie wir uns „benehmen“?

Wie das Einmaleins des respektvollen Umgangs miteinander (auch) zum Werkzeug gegen Diskriminierung und Belästigung wird

Seit Juli 2020 haben wir es schriftlich: Der Code of Conduct der FU benennt nicht nur, dass alle Beteiligten in der digitalen Lehre respektvoll miteinander umgehen. Er konkretisiert das auch mit scheinbaren Banalitäten wie „Wir hören einander aufmerksam zu“ oder „Wir stellen das Mikrofon auf stumm, wenn wir einer Veranstaltung beitreten“ oder mit dem Hinweis, dass keinerlei Äußerungen/Verhaltensweisen geduldet werden, die unangemessene Inhalte verbreiten oder andere diskriminieren. Ja, klar, aber warum Selbstverständliches aufschreiben?

Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb!

Im aktuellen Welt-Mädchenbericht 2020 von Plan International (#FreeToBeOnline) wird v.a. eins deutlich: So doll lieb dann wohl doch nicht. 14.000 Mädchen und junge Frauen wurden in 22 Ländern weltweit zu ihren Erfahrungen in den sozialen Medien befragt; ihre Antworten sind ernüchternd. Jede zweite wurde bereits online belästigt, beschimpft oder bedroht; die Angaben zum Erstalter fangen bei acht Jahren an (Pehlke, 2020).

Auch wenn diese Ergebnisse selbstverständlich nicht 1:1 auf den universitären Alltag übertragen werden können oder sollen, müssen wir damit rechnen, dass auch an der Universität diskriminiert, beleidigt und belästigt wird. Grobes Fehlverhalten ist dabei relativ einfach einzuordnen. Schwieriger ist es, wenn die Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Verhalten nicht so deutlich ist. Sicherlich würde man zu Unrecht von (Cyber-)Stalking sprechen, wenn jemand nach einem unbeantworteten Kontaktversuch nochmal nachfragt (z.B. per Mail oder mittels eines Instant-Messaging-Dienstes). Wenn hingegen eine Beziehung wiederholt eingefordert wird, obwohl die Zielperson deutlich gemacht hat, dass sie den Kontakt nicht wünscht, könnte die Grenze erreicht sein. Zentral ist, dass die Lebensführung der Zielperson schwerwiegend beeinträchtigt wird, wenn sie sich also bedroht und belästigt fühlt. Und um genau so etwas nicht hinzunehmen, um Belästigte verteidigen und schützen zu können, brauchen wir den Code of Conduct!

CoC ist kein Knigge 3.0 – Verstöße können rechtliche Folgen haben!

Der Code of Conduct ist nämlich kein Knigge 3.0, dessen Benimmregeln man nach Lust und Laune befolgen kann (oder auch nicht …). Er ist verbindlich an der FU und wird von der FU-Richtlinie zum Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt ergänzt. Geklärt ist dabei, was passiert, wenn Personen sich nicht an diese Festlegungen halten. Bei gemeldeten Regelverstößen erfolgt zunächst eine Anhörung aller Betroffenen und es wird versucht, die Situation zu klären. Im nächsten Schritt können dann (in Abhängigkeit von Art und Ausmaß des Vorfalls/der Vorfälle) Konsequenzen gezogen werden, von schriftlicher Aufklärung/Absichtserklärung über Ausschluss von Lehrveranstaltungen und/oder Abmahnung bis hin zur Kündigung/Exmatrikulation und/oder Strafverfolgung.

Was ist zu tun?

Wenn Sie selbst betroffen sind:

  • Überlegen Sie, mit wem Sie darüber sprechen möchten, und kontaktieren Sie diese Person oder Institution. Dieser Kontakt kann auch dann (sehr) sinnvoll sein, wenn Sie sich nicht so ganz sicher sind, was Sie von der Situation halten sollen.
  • In jedem Fall können Sie z.B. die Dozierenden, das Dekanat oder die dezentrale Frauenbeauftragte kontaktieren. Weitere Anlaufstellen an der FU finden Sie hier. Externe Beratungsoptionen finden Sie zudem ganz am Schluss des Beitrags.
  • Die Art der Kontaktaufnahme ist ebenfalls Ihnen überlassen: online, telefonisch oder ggf. per Videokonferenz; dabei kann online- und telefonische Beratung auf Wunsch auch anonym geschehen.
  • Vertraulichkeit und Schweigepflicht sind für Berater:innen selbstverständlich!

Wenn Sie Zeug:in solcher Regelverstöße geworden sind:

  • Schauen Sie hin und werden Sie aktiv!
  • Machen Sie deutlich, dass Sie das inadäquate Verhalten nicht tolerieren.
  • Bieten Sie der betroffenen Person Ihre Unterstützung an.
  • Überlegen Sie (falls sinnvoll), wie Sie sich mit ihr solidarisieren können (unter Berücksichtigung der Wünsche der betroffenen Person).
  • In manchen Fällen – wenn die betroffene Person z.B. gar nicht weiß, dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt werden – kann es auch notwendig sein, den Vorfall zu melden.

Bevor Sie eine private Chat-Gruppe zu Studienzwecken bilden (mit welchem Dienst auch immer):
Prüfen Sie, ob es nicht genauso ein User-Wiki oder ein User-Blog der FU tut, also eine der sog. „inoffiziellen“ Plattformen der FU, die auch von Studierenden genutzt werden können. Dann nämlich kann die FU als Institution bei Bedarf (Regelverletzungen) auch juristisch aktiv werden!


Hilfe und Beratung gibt es hier (eine Auswahl):

  • Bundesweites Hilfetelefon für Frauen, die Gewalt erlebt haben: 0 8000 116 016
  • Externe Chatberatung: https://www.hilfetelefon.de/  (u.a. Beratung in 17 Sprachen und Gebärdensprache)
    (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben)
  • Die Beratungsstelle Stop-Stalking berät (a) Betroffene von Stalking, (b) Menschen, die stalken, sowie (c) Dritte, die beruflich oder als Angehörige mit Stalking zu tun haben: https://www.stop-stalking-berlin.de/de/home/

Quellen

Marczuk, Anna, Multrus, Frank, & Lörz, Markus (2021). Die Studiensituation in der Corona-Pandemie. Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lern- und Kontaktsituation von Studierenden. (DZHW Brief 01|2021). Hannover: DZHW. https://doi.org/10.34878/2021.01.dzhw_brief

Pehlke, Viktoria (2020). Jedes zweite Mädchen wird im Internet belästigt. Katapult. [https://katapult-magazin.de/de/artikel/jedes-zweite-maedchen-wird-im-internet-belaestigt]

Plan international (2020). Free to be online? [https://www.plan.de/freedom-online.html]

Equal Pay Day 2021 gestern: Ab heute verdient frau wieder …

Im vergangenen Jahr haben Frauen insgesamt in Deutschland bis zum 17. März gleichsam unentgeltlich gearbeitet, dieses Jahr ist es immerhin schon der 10. März, d.h. Frauen verdienen in Deutschland aktuell 18% weniger als Männer. Ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen gibt es auch an den deutschen Universitäten, und zwar auf der Ebene der Professor:innen (hierzu auch ein Blogbeitrag im März 2020).

Weitere konkrete aktuelle Daten und Fakten, zusammengestellt von Business and Professional Women – Germany e.V., finden Sie auch hier.

Gender Planning an der FU?

Was verbindet Schneeräumdienst und Gender Planning? Und was hat das nun mit Gleichstellung an der FU zu tun?

Fangen wir beim Schneeräumdienst an. Er ist eines der ersten Beispiele im Buch von Caroline Criado Perez über den Gender Data Gap, anhand dessen sie verdeutlicht, dass viele Regelungen des öffentlichen Lebens de facto für die Hälfte der Menschen diskriminierend sind. Das lässt sich auch sehr leicht an Berliner Verhältnissen illustrieren: Viele waren im Februar 2021 eher froh, angesichts des gefallenen Schnees im Home-Office zu sein und sich nicht an die Uni begeben zu müssen. Wer es dennoch tat, stellte fest, dass (a) die Straßen für die Autos säuberlich geräumt waren, und zwar als erstes, dass (b) die Gehwege in sehr unterschiedlichem Zustand waren und dass (c) Radwege teilweise gar nicht geräumt wurden, mit der Folge, dass Radfahrende in doppelter Hinsicht gefährdet waren, da sie einerseits „ihre Wege“ nicht sicher benutzen konnten und andererseits von Autofahrenden z.T. gefährlich überholt wurden. Die gesamte Situation war sicherlich keine Absicht, aber auch kein Zufall, denn die BSR verfolgt hier eine Priorisierungsstrategie, die in Deutschland sicherlich nicht einzigartig ist.1

Da nun Männer aber mehr Wege mit dem Auto zurücklegen als Frauen, während Frauen ihre Wege in höherem Maße zu Fuß oder per Rad zurücklegen, z.B. weil sie häufiger die Kinder im Kiez zur Schule oder in die Kita bringen bzw. mit zu Pflegenden spazieren gehen, werden Frauen durch eben diese Prioritätensetzung diskriminiert. Zufußgehende haben darüber hinaus bei Eis und Schnee faktisch ein erhöhtes Unfallrisiko.
Das unterschiedliche Wegenutzungsverhalten von Männern und Frauen wurde bislang möglicherweise auch deswegen nicht berücksichtigt, weil dazu kaum Zahlen vorliegen, trotz regelmäßiger Erhebungen zu diesem Thema (Studie Mobilität in Deutschland); ob das Bundesverkehrsministerium wohl bald „aufwacht“, um hier Abhilfe zu schaffen? Vermutlich sollten wir es als Wähler:innen in diesem Jahr vorsichtshalber mal wecken 🙂.

Die Idee, die Bedürfnisse der Nutzer:innen bei Planungen zu berücksichtigen, führt mich nun zum Gender Planning in der Umgebungsgestaltung an der FU.
Nicht immer hat es Eltern-Kind-Zimmer an der FU gegeben. Diese „Nachbesserung“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass Nutzer:innen sich einen Raum in gewisser Hinsicht aneignen und die Gestaltung zumindest nach ihren Bedürfnissen erfolgt. Dies war allerdings keineswegs selbstverständlich, sondern wurde vielfach von den Frauenbeauftragten initiiert und teilweise sogar mit Frauenfördergeldern finanziert, obschon dem entgegengehalten werden könnte, dass das ja nicht nur Frauen betrifft und eigentlich Frauenklischees bestätigt und bedient. – Stimmt. Und gleichzeitig ist es auch ein Fakt, dass Frauen wesentlich (!) mehr Care-Arbeit übernehmen. Deswegen wissen sie auch (mehrheitlich) besser, was diesbezüglich gebraucht wird, und sollten gefragt werden, wenn es an der FU um Um- und Neugestaltung von Gebäuden und Umgebung geht. Es sollte bei der Nutzungsanalyse und bei der letztendlichen Gestaltung explizit darauf geachtet werden, was Frauen brauchen (die Bedürfnisse der Männer – das zeigt sich immer wieder – werden sowieso berücksichtigt und sind eh Bestandteil der 0815-Lösungen).

Gender Planning in COVID-Zeiten, in denen wir überwiegend im Home-Office sind? Wer sich in letzter Zeit mal ins Büro an der FU begeben hat, fand vermutlich überwiegend leere Gänge vor; Serviceleistungen und Laborabläufe finden unter Berücksichtigung von Hygienekonzepten statt, die v.a. die Abstandsregeln sicherstellen sollen, oft, indem Mitarbeitende alleine arbeiten – durchaus nachvollziehbar. Nicht allen ist allerdings wohl dabei (und raten Sie mal, ob es eher Frauen oder Männer sind …). Und damit sind wir auch hier wieder bei der Gleichstellung angelangt. Denn auch dieser Realität sollten wir uns bei der Beurteilung von Hygienekonzepten stellen und berücksichtigen, dass das Bedürfnis, sich sicher zu fühlen, nicht nur heißen darf, eine Covid-Erkrankung zu verhindern.

Literatur

Criado Perez, Caroline (2020). Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. München: btb.


1 https://www.bsr.de/winter-21924.php: „Oberste Priorität beim BSR-Winterdienst haben Stadtautobahnen, Hauptverkehrsstraßen und Straßen mit öffentlichem Personennahverkehr. Erst wenn diese Straßen abgearbeitet sind, kommen Nebenstraßen an die Reihe. Auch Fußgängerüberwege werden vorrangig bearbeitet.“


Weiterführende Literatur

Kern, Leslie (2021). Feminist city: Wie Frauen die Stadt erleben. Münster: Unrast.

Mehr Home-Office? Auf die Bedingungen kommt es an!

Mehr Home-Office?

„Mehr Home-Office“, „flexiblere Wahl des Arbeitsorts“ und „flexiblere Einteilung der Arbeitszeit“ – das waren die in unserer Umfrage mit Abstand am meisten genannten Antworten auf die Frage, was in die Zeit nach Corona gerettet werden sollte. Oftmals wurden in diesem Zusammenhang die Zeitersparnis durch den Wegfall des Anfahrtsweges, manchmal verbunden mit Umweltaspekten, mehr Effizienz und konzentrierteres Arbeiten, vor allem aber die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt.

Besonders häufig wurde der Wunsch nach mehr Home-Office und Flexibilisierung dabei von der Statusgruppe der „Sonstigen Mitarbeiter*innen“ genannt. Aber auch Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen wünschten deutlich mehr Flexibilität. Doch es gab auch andere Stimmen. Unter Belastungen wurden häufiger mangelnde Struktur und fehlende Trennung von Privatleben und Beruf beklagt. Zur Herausforderung wurde das Home-Office im Lockdown für Familien, die von Kita- und Schulschließungen betroffen waren. Dieser Punkt wurde, wenig überraschend, besonders häufig von Frauen genannt.[1]  Zugleich merkten einige jedoch auch positiv an, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. In einigen Fällen mangelte es an geeigneten Räumlichkeiten, seltener an Ausstattung, ergonomischer Gestaltung des Arbeitsplatzes und/oder einer stabilen Internetverbindung. Ungleiche Aufgabenverteilung und Möglichkeiten des Arbeitens im Home-Office wurden ebenfalls genannt. Vermisst wurde aber vor allem und von Seiten der Mitarbeiter*innen der Austausch und Kontakt zu den Kolleg*innen. Hier wurden besonders auch die spontanen Flurgespräche und der informelle Plausch beim Essen oder am Kaffeeautomaten genannt, welche sich nicht durch Videokonferenzen ersetzen lassen. Auch der face-to-face Kontakt zu Studierenden wurde vermisst, wie auch ganz generell, auch von Studierenden, das „Uni-Feeling“.

Das verordnete Home-Office unter Pandemiebedingungen wird insgesamt als ambivalent wahrgenommen. Dennoch wünschen sich viele die Möglichkeit, für den – hoffentlich in absehbarer Zeit wieder eintretenden – Normalbetrieb mehr Flexibilität bei der Wahl von Arbeitsort und -zeit.

Mehr Flexibilität.

Mehr Flexibilität ist vermutlich auch in der neuen Dienstvereinbarung „DV Flex“ vorgesehen, die ab dem 1. Januar 2021 die bisherige „DV Alternierende Telearbeit und mobiles Arbeiten“ ersetzen sollte.[2]

Was ist Telearbeit?
Nach der zum 31. Dezember 2020 vom Präsidium gekündigten Vereinbarung[3] konnten Mitarbeiter*innen auf Antrag bis zu 40 % der Arbeitszeit als Telearbeit zu verrichten, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben waren. Hierüber entschieden die jeweiligen Vorgesetzten. Die Telearbeit muss an einem genau festgelegten und dafür ausgestatteten Arbeitsplatz in der eigenen Wohnung erfolgen. Während die FU als Arbeitgeberin für die Ausstattung verantwortlich ist, obliegt es der/m Mitarbeiter*in, technische Voraussetzungen, die Einhaltung des Arbeitsschutzes und Datenschutzes am häuslichen Arbeitsplatz sicher zu stellen und zur Überprüfung ggf. Zutritt zur Wohnung zu gewähren. Strom- und Telefonkosten werden von der FU mit einer Kostenpauschale bezuschusst, Kosten für dienstliche Telefonate können erstattet werden. Die Verteilung der Arbeitszeit zwischen Büro und Home-Office muss genau festgelegt werden und Präsenzzeiten innerhalb der Kernarbeitszeit vereinbart werden.

Was ist Mobiles Arbeiten?
2015 wurde die ursprüngliche DV Alternierende Telearbeit um die Möglichkeit des mobilen Arbeitens ergänzt, um, auch mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auf kurzfristige und vorübergehende Bedürfnisse eingehen zu können. Mobiles Arbeiten konnte nach der alten Regelung für bis zu 21 Tagen im Jahr und an maximal drei, in Ausnahmefällen fünf Arbeitstagen im Monat beantragt werden, allerdings nur, wenn nicht gleichzeitig Telearbeit in Anspruch genommen wurde. Dabei war die Arbeitszeit im Rahmen der allgemeinen Bestimmungen frei wählbar und es gab keine Festlegung des Arbeitsortes. Allerdings bestand dabei weder Anspruch auf Bereitstellung der technischen Ausstattung durch den Arbeitgeber noch auf Übernahme von entstehenden Kosten. Die neue DV Flex, die derzeit mit dem Personalrat Dahlem verhandelt wird, soll die Regelungen für Telearbeit, mobiles Arbeiten und Gleitzeit nun in einer Vereinbarung bündeln.

Zur Geschichte.
Der heute altmodisch anmutende Begriff Telearbeit geht auf den 1973, lang vor dem Zeitalter der Digitalisierung, von James Nilles geprägten Begriff „telecommuting“ zurück (Nilles 1988). Nilles ging es zunächst vor allem darum, durch eine Auslagerung der Arbeit das wachsende Verkehrsaufkommen zu verringern. Damit würde, so Nilles, zugleich auch die Unfallrate sinken, die Luftqualität verbessert werden und – angesichts der damaligen Ölkrise besonders aktuell – der Energieverbrauch zurückgehen. Nilles Zukunftsvision sah dabei nicht nur Arbeiten im Home-Office, sondern vor allem in dezentralen, wohnortsnahen Außenstationen von Betrieben oder auch betriebsunabhängigen Satelitenstationen vor – im heutigen Sprachgebrauch „Co-working spaces“.

Die Möglichkeiten des Home-Office bzw. von Telearbeit und Mobilen Arbeitens werden auch im digitalen Zeitalter bei Weitem noch nicht ausgeschöpft, wobei Deutschland – zumindest vor Corona – im europäischen Vergleich noch unter dem Durchschnitt lag (Brenke 2016). Laut Mikrozensus von 2018 arbeiteten 11,8 % der Bevölkerung zumindest gelegentlich von zuhause aus (Bonin et al. 2020). Dabei sind auch deutliche Hierarchien erkennbar. So wird Home-Office weitaus häufiger von Personen mit akademischem Abschluss in Anspruch genommen (Brenke 2016). Das Potential für Home-Office wird deutlich höher eingeschätzt (Brenke 2016) und jede fünfte Person wünscht sich demzufolge im Home-Office arbeiten zu können.

Folgen von Home-Office – v.a. für Frauen

Derzeit häufen sich allerdings die Hinweise, dass sich durch das pandemie-bedingte Mobile Arbeiten soziale Ungleichheiten verstärken.[4] Davon sind insbesondere auch Frauen betroffen, die oftmals den größeren Teil der Sorgearbeit übernehmen.[5] Auch Studien vor Corona zeigen auf, dass sich durch Telearbeit durchaus traditionelle Rollenverteilungsmuster (re-)etablieren und Frauen tendenziell mehr Zeit im Home-Office mit Haus- und Care-Aufgaben verbringen (Carstensen 2020). So kommt Carstensen in ihrer Studie zwar zu dem Schluss, dass sich Telearbeit nicht nur positiv auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auswirkt, sondern auch zur Verringerung des gender-pay-gaps beiträgt. Allerdings zu einem Preis. Denn Frauen arbeiten im Home-Office zwar mehr, erledigen aber auch mehr der Haus- und Sorgearbeit. „Zugespitzt“, schreibt Carstensen, „befördern digitale flexible Angebote damit die individualisierte Alltagsoptimierung und führen zu einer Verunsichtbarung der dadurch entstehenden Anforderungen und Belastungen.“ (Carstensen 2020, 203). Und weiter: „Deutlich wird auch, wie wirkmächtig die Rahmenbedingungen für die praktizierte Arbeitsorganisation und -teilung sind.“ (ebd.).

Und nun?

Mehr Home-Office und generell die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort werden derzeit von unterschiedlichen Seiten gefordert. Dabei gilt es die jeweiligen Interessen im Blick zu halten. Aus Sicht von Arbeitgeber*innen sind die Zufriedenheit, Gesundheit und damit erwartete erhöhte Produktivität der Arbeitnehmer*innen durchaus von Interesse, zugleich mögen auch Einsparungsmöglichkeiten zur Attraktivität beitragen. Im Raum steht jedoch noch immer die Frage der Kontrolle. Nicht alle Vorgesetzten vertrauen ihren Mitarbeitenden. Auf der anderen Seite steht die Sorge um ständige Erreichbarkeit und digitale Überwachung seitens der Arbeitnehmer*innen, auf die die Gewerkschaften verweisen.[6]

  • Für Arbeitnehmer*innen sind Autonomie, Zeitgewinn und verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf tragende Argumente. Letzteres gilt besonders auch für Frauen.
  • Zugleich sind jedoch Frauen noch immer besonders von negativen Folgen der Entgrenzung und doppelten Belastung betroffen.

Hier gilt es – jenseits des gesamtgesellschaftlichen Ziels einer gerechten Verteilung der Care-Arbeit! – Regelungen zu finden, die sowohl arbeitnehmer*innenfreundlich als auch gendersensibel sind, um Autonomieempfinden und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gegen Eigenverantwortung für die Arbeitsbedingungen und erhöhten Druck zur Selbstausbeutung einzutauschen.

Im Fazit:
Mehr Home-Office? Eindeutig ja, aber auf die Bedingungen kommt es an!

Literatur

Bonin, H. et al. (2020). Verbreitung und Auswirkungen von mobiler Arbeit und Homeoffice. Kurzexpertise. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) Forschungsbericht 549.

Brenke K (2016) Home Office:Möglichkeiten werden bei weitem nicht ausgeschöpft. DIW Wochenbricht 5/2016, 95–105

Carstensen, T. (2020). Orts- und zeitflexibles Arbeiten: Alte Geschlechterungleichheiten und neue Muster der Arbeitsteilung durch Digitalisierung [Flexibility in working time and place of work: Old gender inequalities and new patterns of division of labor through digital transformations]. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft. (2), 195-203. https://doi.org/10.1007/s41449-020-00213-y

Gajendran, R. S., & Harrison, D. A. (2007). The good, the bad, and the unknown about telecommuting: Meta-analysis of psychological mediators and individual consequences. The Journal of Applied Psychology, 92(6), 1524–1541. https://doi.org/10.1037/0021-9010.92.6.1524

Nilles, J. M. (1988). Traffic reduction by telecommuting: A status review and selected bibliography. Transportation Research Part a: General, 22(4), 301–317. https://doi.org/10.1016/0191-2607(88)90008-8


[1] Einschränkend muss hier allerdings erwähnt werden, dass (erstaunlich) viele – annähernd zwei Fünftel der Befragten in allen Statusgruppen – keine Angaben zum Geschlecht gemacht haben.

[2] https://www.fu-berlin.de/sites/gpr/news/20210126_dienstvereinbarungen.html

[3] https://www.fu-berlin.de/service/zuvdocs/personal/2015/pb-05-2015-alternierende-telearbeit-anlage.pdf

[4] https://bukof.de/service/corona-gleichstellung-und-hochschule-in-der-pandemie/

[5] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-frauen-in-der-coronakrise-starker-belastet-29949.htm

[6] https://fidi.verdi.de/banken/private-oeffentliche-banken/++co++25d8b910-944e-11ea-aff1-525400b665de
https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/gewerkschaften-fordern-mehr-arbeitsschutz-im-homeoffice/


Marie-Schlei-Preis 2020

Marie-Schlei-Preis und Preis für beste Lehre wurde in gemeinsamer Veranstaltung verliehen

Der 26. November 2020 war ein besonderer Tag: Um 15 Uhr wählten sich fast 70 Mitglieder des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und Psychologie in eine WebEx-Konferenz ein. Die Beteiligten kamen aus allen Statusgruppen und aus allen Wissensbereichen des Fachbereichs, z.T. festlich gekleidet, das Lieblingsgetränk zur Hand und einige demonstrierten ganz dezent Schokoladen und Blumensträuße.

Anlass für diese etwas ungewöhnliche Veranstaltung waren gleich zwei Preisverleihungen: So verliehen Studierende des Fachbereichs den Preis für beste Lehre 2020 in mehreren Kategorien und der Fachbereich zeichnete vier junge Wissenschaftlerinnen für ihre exzellenten Abschlussarbeiten mit dem Marie-Schlei-Preis 2020 aus.

Preis für beste Lehre 2020

Da der Fachbereichstag dieses Jahr ausfallen musste und leider auch zur Absolvent:innenfeier pandemiebedingt nicht eingeladen werden konnte, entstand die Idee, die beiden Preise gemeinsam zu feiern. Beim Preis für beste Lehre waren die Überraschungen für die Betroffenen perfekt. Hier wiederholte sich die Schilderung der z.T. sichtlich berührten Preisträger:innen, dass kurz vor der Veranstaltung ein „Mann mit Maske und Blumenstrauß“ vor der Tür gestanden hatte und den verblüfften Empfänger:innen eben diesen Blumenstrauß überreicht hatte.

Der Zufall wollte zudem, dass der Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie zum 21. Mal den Marie-Schlei-Preis an eben dem Tag verlieh, an seine Namensgeberin Marie Schlei ihren 101. Geburtstag gefeiert hätte.

Marie-Schlei-Preis 2020

Die Preisträgerinnen des Marie-Schlei-Preises hatten sich auch schon über ihre Blumen gefreut, waren aber etwas vorbereiteter, weil sie z.T. ihre nun ausgezeichneten Arbeiten vorstellten und daher vorher informiert worden waren. So lernten die Anwesenden nebenbei noch etwas darüber, was Schüler:innen hilft, wenn sie vom Gymnasium an eine Sekundarschule wechseln, und wann Messfehler in Berechnungen berücksichtigt werden sollten, um ggf. valide kausale Schlüsse zu ziehen, und wann dies verzichtbar ist. Neugierig geworden? Dann schauen Sie sich gern die ausgezeichneten Arbeiten an!

Gender-Vielfalt

Emily Ratajkowski erwartet ein Baby; sie teilte mit, dass sie und ihr Partner auf die Frage nach dem Geschlecht ihres Kindes antworten „that we won’t know the gender until our child is 18 and that they’ll let us know then“ [1]. Diese Nachricht hat es diese Woche in viele Zeitungen geschafft und meinen Morgen jedenfalls erheitert; macht sie doch deutlich, dass es einerseits vielleicht Wichtigeres an einem Menschen gibt und dass es andererseits – nehmen wir die Frage ernst – gar nicht so einfach ist, sie über eine Person sinnvoll zu beantworten, selbst wenn wir die Person gut kennen.

Diese Nachricht hat mich aber auch an ein Projekt von mir erinnert, das ich mit Corona irgendwie erstmal zur Seite gelegt habe. Zu Unrecht, wie ich inzwischen finde. Ich will es nur anders angehen. Angefangen hat es mit der Suche nach einem passenden Bild für dieses Blog zur Gleichstellung.

Aufruf zur Beteiligung an einer „Diversitäts-Galerie“ des Fachbereichs!

Gefunden hatte ich dieses Bild links, das mir persönlich einfach gefällt, das gleichzeitig allerdings eine recht geschlechtsstereotype Darstellung ist und das ich deswegen gerne ergänzen möchte, und zwar mit ähnlich konstruierten Bildern anderer „Paare“ von Angehörigen unseres Fachbereichs. Also z.B. Kollagen aus Bildern von zwei Personen, deren Oberkörper in einer ähnlichen Pose abgebildet wird, und die jeweils hälftig zu einem Bild zusammengesetzt werden. Das ist jedenfalls meine Ausgangsidee.

Es geht mir dabei eben nicht darum, dass ein Geschlecht erkennbar wäre, sondern darum, die Vielfalt an Menschen in unserem Fachbereich zu dokumentieren. Da ich aktuell aus evidenten Gründen nicht herumlaufen kann, um Leute zu fotografieren (so hatte ich das eigentlich vor), möchte ich jetzt vorschlagen, dass Sie sich selbst und/oder weitere Fachbereichsmitglieder ablichten und selber solche „Paare“ zusammenstellen; ich denke, das ist auch in Coronazeiten möglich und könnte sogar Spaß machen. Die Bilder können gern eine Art Remake des Ausgangsbildes sein, natürlich abgesehen von der Kleidung, aber vielleicht finden Sie eine andere Pose viel sinnvoller oder passender (oder genauso gut). Zentral ist, dass Sie (und natürlich die andere Person) sich in dem zugeschickten Bild persönlich wiederfinden.

Bitte schicken Sie Ihre Bilder an uns als dezentrale Frauenbeauftragte.
Geben Sie dabei bitte auch an, ob wir Ihr Bild hier im Blog und/oder auf unserer Webseite als „Diversitäts-Galerie“ veröffentlichen dürfen. Danke 🙂 .

[1]: https://www.vogue.com/article/emily-ratajkowski-pregnant-announcement-digital-cover

Veranstaltungsreihe 2020

Es gibt viel zu wenige Frauen in der Wissenschaft. Das ist schade und die Gründe dafür sind vielfältig. Wir wollen interessierte und talentierte Frauen ermutigen, sich gezielt und vertrauensvoll in diese Richtung zu bewegen. Deswegen gibt es an unserem Fachbereich die Veranstaltungsreihe „Eine wissenschaftliche Laufbahn planen“. Dieses Jahr können Studentinnen und Promovendinnen von gestandenen Professorinnen erfahren, welche Erfahrungen sie in diesem Beruf machen und was sie jungen Wissenschaftlerinnen auf den Weg geben wollen. Aber es gibt auch Austausch zu alternativen beruflichen Wegen als Wissenschaftlerin. Und last but not least bieten wir einen Workshop zur beruflichen Zielentwicklung an.

Wann? Am 29. Oktober 2020 ab 11 h …

Wo? Im Seminarzentrum, Raum L116. Ja, genau, wir wollen eine Präsenzveranstaltung wagen …

Update: Aufgrund der aktuellen Entwicklungen dürfen Präsenzveranstaltungen in der geplanten Form nicht stattfinden; wir weichen also aufs digitale Format per Videokonferenz aus.

Kosten? Die Veranstaltung ist für Promovendinnen und Studentinnen unseres Fachbereichs kostenfrei.

Mehr Infos gefällig? Gerne: Hier 🙂

Anmeldung für den Vormittag bei der Frauenbeauftragten!
(Der Nachmittag ist leider ausgebucht.)

Wann ist das Thema Rassismus endlich beendet?

Gibt es Rassismus in Deutschland denn überhaupt noch so wirklich?

Eine Stellungnahme von Leonie Adu-Gyamfi

In den letzten Wochen und Monaten ist die Debatte um Rassismus durch verschiedene Ereignisse, insbesondere auch durch den Tod von George Floyd verstärkt in den Blick der deutschen und internationalen Gesellschaft gerückt, so der Eindruck zumindest, wenn man sich die mediale Berichterstattung der letzten Zeit ansieht.

Der Ist-Zustand der Gesellschaft, in der wir hierzulande tagtäglich unserer Leben gestalten, der Ist-Zustand unserer institutionellen Systeme, der diese Gestaltung maßgeblich beeinflusst, wird von vielen scheinbar „erst jetzt“ oder auch „jetzt mal wieder“, nicht selten auch explizit abwertend „jetzt schon wieder“ als diskriminierend und insbesondere rassistischentlarvt“.

Es ist absolut richtig und wichtig, dass das Thema Rassismus angesprochen wird. Dabei ist es meiner Meinung nach jedoch besonders wichtig, konkret darüber zu sprechen, dass Rassismus hier bei uns im System steckt! Nicht woanders. Nicht nur in den USA, nicht nur bei der Polizei. Rassistische Sozialisierung ist tief verwurzelt in unserer Gesellschaft und lenkt bewusst und unbewusst unser Denken, unsere Sprache und unser Handeln.

Diese Sozialisierung führt dazu, dass Konstrukte über Herkunft und Nationalität, über Zugehörigkeit und Anderssein existieren und immer und immer wieder reproduziert werden. Die daraus resultierenden rassistischen und diskriminierenden Zuschreibungen erschweren und gefährden tagtäglich das Leben vieler Menschen bis auf den Tod.

Sie betreffen konkret das Leben von Menschen, die dem Bild der Dominanzgesellschaft nicht entsprechen. Dieses Bild ist jedoch so stark, dass sich kleine, deutsche Schwarze Mädchen (ja, es gibt sie haufenweise!) wünschen, wie Claudia Schiffer aus der Fernsehwerbung auszusehen, damit ihr Leben leichter wird. Dieses Bild ist so stark, dass Schwarze deutsche Väter ihren Kindern beibringen, wie sie sich bei einer Polizeikontrolle zu verhalten haben, ihnen eintrichtern, dass sie immer mehr geben und immer besser sein müssen als ihre weißen Freund*innen, um die gleiche Anerkennung und die gleichen Bildungschancen zu erlangen. Dieses Bild ist so stark, dass Menschen auf Grund ihrer äußeren Erscheinung bespuckt, beschimpft, geschlagen und getötet werden. Das sind keine Einzelfälle, das sind keine persönlichen Probleme, das ist bittere, alltägliche Realität in Deutschland, das ist ein Zeugnis von tief verwurzeltem Rassismus.

Deshalb ist die Frage, ob Rassismus in Deutschland überhaupt (noch) eine Rolle spielt, in meinen Augen ein Zeugnis der Unwissenheit oder Ignoranz, in jedem Falle jedoch ein Zeugnis der Privilegien der Fragenden. Denn warum und von wem wird diese Frage so laut und oft gestellt, wenn die Antwort darauf doch von so vielen schon so oft mit einem eindeutigen und schmerzhaften JA, verdammte Scheiße beantwortet wurde? Warum dreht sich die Debatte immer noch vorrangig darum, ob und wie genau Rassismus vorliegt, wenn seit Jahren strukturelle Daten und empirische Erkenntnisse über die Situation in Deutschland und zahlreiche Berichte von Betroffenen vorliegen? Warum liegt der Fokus darauf, wie wir diese Debatte führen, und nicht darauf, wie wir diese Debatte lösen? Die viel wichtigere Frage sollte inzwischen doch sein:

Wie können wir Rassismus bekämpfen?

Ich denke, dazu brauchen wir strukturelle, tiefgreifende Veränderungen auf verschiedensten Ebenen, und zwar am besten jetzt. Denn es kann nicht sein, dass Kinder im Zoo Berlin durch die Scheibe ins Affengehege gedrückt werden, weile weiße Erwachsene der Meinung sind, sie gehören dahin. Es kann nicht sein, dass ich mich jedes Mal für meine Herkunft rechtfertigen muss, wenn ich gefragt werde, woher ich komme. Es kann nicht sein, dass man von mir verlangt, mich mit anderem Namen vorzustellen, nur weil mein eigener zu schwierig ist. Das Problem ist nicht der Name, die Herkunft, das Aussehen. Das Problem ist ein anderes und das muss klar erkannt, benannt und bekämpft werden, und zwar vor allem von denen, die eben nicht direkt Betroffen sind, denn wer mit offensichtlichem „Migrationshintergrund“ in Deutschland aufwächst und lebt, weiß schon lange, dass Rassismus in Deutschland existiert und wie er sich anfühlt und wird daran auch regelmäßig erinnert. Die Ob-Frage ist demnach überflüssig und mehr noch: Sie behindert eine progressive Auseinandersetzung mit möglichen Lösungen.

Doch was bedeutet das jetzt? Wie finden wir Lösungen?

Für mich persönlich bedeutet das, dass ich trotz all der Wut, all der Enttäuschung und Fassungslosigkeit, all den Stimmen sowohl in meinem eigenen Kopf als auch in meinem Umfeld, die an der zarten Hoffnung auf systemische Veränderung laut und kritisch zweifeln, mich aktiv zu positionieren, politisch aktiv zu werden und dafür meine zugeschriebenen Positionen zu nutzen.

Da die Welt eben nicht nur schwarz und weiß ist, habe ich in diesem System trotz Schwarzer Haut auch Privilegien, wie z.B. den deutschen Pass oder den Zugang zu einer bedeutenden Hochschule und einem akademischen Umfeld, welche ich im Kampf für eine gerechtere Welt einsetzen kann.

Es reicht nicht, nur zu sagen „ich bin nicht rassistisch“ oder „ich bin für eine gerechtere Welt“. Denn letztendlich bestimmt nicht das, was ich über mich sage, sondern mein Tun und Handeln mein Sein.

Es lässt sich nicht leugnen, wir leben (noch) in einer Gesellschaftsform, die Menschen mit unterschiedlichem Aussehen unterschiedliche Chancen gewährt. Dieses System wird sich nicht von selbst ändern, sondern nur, wenn sich die Menschen, die darin leben, ändern und Veränderungen fordern. Wir müssen subjektiv an das Thema herangehen und von innen heraus die Ketten des Rassismus sprengen. Wenn jede*r, aber insbesondere die, die dem Bild der Dominanzgesellschaft entsprechen, seine*ihre Position inklusive der zugehörigen Privilegien in diesem System nicht nur erkennt, sondern auch nutzt, um sich für rassismuskritisches Sprechen, Denken und Handeln stark zu machen, und laut Gerechtigkeit fordert, dann werden sich zwangsläufig auch die diskriminierenden Strukturen ändern. Und auch wenn nicht alle Menschen in Deutschland persönlich Opfer von Rassismus werden, so betrifft es eben doch alle, die hier leben und sich als Demokrat*innen verstehen, denn Minderheitenrechte sind grundlegend in unserer Demokratie verankert.

Es ist also an der Zeit weiterzudenken und daraus Konsequenzen für das alltägliches Handeln zu ziehen:
A better world is possible!

05.07.2020
Leonie Adu-Gyamfi

Gender Diversität vs. Frauenförderung?

Widerspricht das Ziel der Gender Diversität nicht dem Anliegen der Frauenförderung? Lange Zeit haben wir dafür gekämpft, Frauen in Sprache und Bild sichtbar zu machen. Inzwischen stellt sich vor dem Hintergrund der Vielzahl von Geschlechtsidentitäten die Frage, ob es nicht eher darum gehen sollte, das Geschlecht nicht zu erwähnen, also quasi unsichtbar zu machen, um Gleichstellung umzusetzen. Nicht allen reicht der „Umweg“ über ein drittes Geschlecht. Wie können wir dann Frauen fördern? Ist das überhaupt noch ein zeitgemäßes Ziel?

Zunächst lässt sich festhalten, dass wir als Gesellschaft trotz entsprechender Bemühungen – seit Jahrzehnten! – der Gleichstellung der Frauen schon etwas näher gekommen sind, das Ziel aber nach wie vor noch lange nicht erreicht haben; Frauen werden weiterhin in vielen Bereich benachteiligt. Frauenförderung bleibt demzufolge weiterhin ein wichtiges Ziel – bis wir die Gleichstellung von Frauen erreicht haben. Dies ist ein weiterhin wichtiges Teilziel der Gleichstellung aller Geschlechter. Beibt die Frage nach der gendergerechten und -sensiblen Sprache.

Zunächst mal lässt sich zeigen, dass sich die gewählte Art des Sichtbarmachens von Geschlechtern sehr wohl darauf auswirkt, was Lesende und Hörende sich vorstellen (hierzu etwa Heise, 2000; Stahlberg & Sczesny, 2001):

  • Die Studenten/Studierende. Generische Maskulina  und neutrale Begriffe  werden mehrheitlich mit Männern assoziiert.
  • Studentinnen und Studenten. Beim Splitten werden Frauen und Männer etwa zu je 50% assoziiert. Menschen, die sich beiden Gruppen nicht zugehörig fühlen, werden ignoriert.
  • StudentInnen. Beim großen I werden Frauen zu mehr als 50% mitgedacht.
  • Student_innen/Student*innen. Hier wird an Frauen, Diverse und Männer gedacht.

Dann ist doch alles klar, könnten wir denken. Dem ist aber wohl nicht so. Weder die als Gendergap bezeichnete Schreibweise mit Unterstrich noch das sog. Gendersternchen sind unumstritten. Und obwohl der Rat für deutsche Rechtschreibung das Anliegen einer geschlechtergerechten Sprache ausdrücklich anerkennt, mochte er sich noch keiner Schreibweise anschließen, sondern will abwarten, welche Schreibweise sich letztendlich durchsetzt (PM 2018). Dies hat konkrete Konsequenzen für Texte, die etwa die Freie Universität veröffentlicht. In Studien- und Prüfungsordnungen der FU werden neutrale Begriffe wie Studierende verwendet, aber da, wo das schwierig ist, wird auf das Splitting zurückgegriffen (z.B. Absolventinnen und Absolventen), was einen Teil der Studierendenschaft nicht berücksichtigt und damit eine Diskriminierung durch Ignorieren darstellt (auch wenn das nicht die Absicht ist).

Aktuell wird die überarbeitete Studien- und Prüfungsordnung des neuen polyvalenten Bachelorstudiengangs in der Psychologie diskutiert (wegen des neuen Gesetzes zur Ausbildung in psychologischer Psychotherapie). Ob es hier gelingt, sich insgesamt auf geschlechterneutrale Formulierungen zu einigen und damit Vorbildfunktion zu übernehmen, wissen wir am 16. Juli 2020.

Literatur

Heise, Elke (2000). Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen. Sprache und Kognition — Zeitschrift für Sprach- und Kognitionspsychologie und ihre Grenzgebiete, 19(1/2), 3 – 13.

Stahlberg, Dagmar & Sczesny, Sabine (2001). Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. Psychologische Rundschau, 52(3), 131 – 140.