Hanna lehrt

Was es bedeutet, wenn feste Stellen mit Hochdeputat verbunden werden

35 % der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen (WiMis) auf Haushaltsstellen im Mittelbau sind an der FU unbefristet beschäftigt. Das geht aus der Antwort der Senatswissenschaftsverwaltung auf eine kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus vom Juni 2021 hervor. Damit hat die FU das im aktuellen Hochschulvertrag festgelegte Ziel erreicht, wonach exakt 35 % der Stellen bis Ende 2020 entfristet sein sollen. Doch Grund zum Feiern ist das noch lange nicht!

Warum WiMi-Stellen überhaupt befristet werden

Unbefristete Stellen für akademische Mitarbeiter*innen sind an deutschen Universitäten rar. Dem kürzlich vom BMBF veröffentlichen Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN 2021)  zufolge sind bundesweit 92 % der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen unter 45 Jahren befristet beschäftigt. Über alle Altersgruppen hinweg waren 2018 laut einem Sonderbericht des Amtes für Statistik im bundesweiten Durchschnitt 82% aller akademischen Beschäftigten des Mittelbaus an Universitäten befristet angestellt. Möglich sind die Befristungen durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), durch das die Höchstdauer des Verbleibs auf Prä- bzw. Postdoc Qualifikationsstellen auf je sechs Jahre geregelt ist. Damit sollen aus Sicht des Bundesministeriums Kettenverträge verhindert werden (s. hier). Kritiker*innen halten dem jedoch dagegen, dass das Gesetz die ausufernde Befristungspraxis an den Hochschulen befördere.

Für den begriffsstutzigen wissenschaftlichen Nachwuchs, dem die Vorzüge des WissZeitVG nicht einleuchten wollen, hat das BMBF bereits vor einigen Jahren ein Erklärvideo in einfacher Sprache erstellt.[1] Darin erfahren wir am Beispiel der Zeichentrickfigur Hanna, einer promovierenden Biologin, welche Vorzüge eine befristete Stelle hat. Die Befristung nämlich, so wird erklärt, fördere durch die Fluktuation nicht nur die Innovation, sondern bewahre auch vor „Verstopfung“ durch dauerhaft besetzte Stellen. Wer eine feste Stelle verlangt, handelt demnach unsozial. Doch wir erfahren auch: „Bei Lars ist das anders“, denn Lars hat eine feste Stelle als Laborant. Hier Hanna, da Lars – Zufall? Dazu später. Zunächst zu Hanna.

Erklärvideos in einfacher Sprache für … wissenschaftliche Mitarbeiter*innen

Erklärvideos „for dummies“ sind nicht unbedingt das Medium erster Wahl, wenn sich wissenschaftliche Mitarbeiter*innen zu einem rechtlichen Sachverhalt informieren wollen. Und so hat es ein paar Jahre gedauert, bis das Video von der Zielgruppe zur Kenntnis genommen wurde. Doch dank der Initiative von Kristin Eichhorn, Amrei Bahr und Sebastian Kubon, die bereits unter dem #95 Thesen gegen das WissZeitVG und #ACertainDegreeOfFlexibility für Aufmerksamkeit für das Thema Befristung gesorgt hatten, hat das – zwischenzeitlich gelöschte – Video nun doch unerwartet hohe Resonanz erhalten. Unter #ichbinHanna hat sich ein Sturm der Entrüstung breit gemacht, der, mitten im landes- und bundesweiten Wahlkampf, auch für mediale Schlagzeilen gesorgt hat. Wenn nun aber doch Hoffnung aufkommt, dass sich etwas ändert, stellt sich zugleich die Frage, wie zukünftige Personalmodelle aussehen sollten.

Situation an der FU: Entfristung gegen doppelte Lehre?

Zurück zu den Zahlen und Fakten der FU. Auf den ersten Blick sprechen die Zahlen von Erfolg, nicht nur im bundesweiten Vergleich. Auch unter Aspekten der Gleichstellung scheint die Verteilung annähernd ausgewogen. Hinsichtlich der Stellenkategorien zeigen sich jedoch bedeutende Unterschiede in Bezug auf die Chancengleichheit. Von den Mitarbeiter*innen auf Haushaltsstellen sind an der FU insgesamt 25 % als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen angestellt. Weitere 10 % des Mittelbaus haben eine Festanstellung als Lehrkräfte für besondere Aufgaben. Lehrkräfte für besondere Aufgaben (§ 112 BerlHG) sind mit einer Lehrverpflichtung von 16 Lehrveranstaltungsstunden (LVS) ausschließlich in der Lehre tätig. Eine Mitarbeit in der Forschung ist nicht vorgesehen und eine wissenschaftliche Weiterqualifizierung unter solchen Bedingungen nahezu ausgeschlossen. In der Lehrkräftebildung werden diese Stellen häufig von temporär aus dem Schuldienst abgeordneten Lehrkräften besetzt. Inwieweit diese bei den Entfristungen mit einberechnet wurden, ist unklar.

Bei den festangestellten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen gilt es zwischen wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mit Daueraufgaben und 8 LVS Lehrverpflichtung nach § 110 BerlHG und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mit Schwerpunkt in der Lehre zu unterscheiden. Letztere Stellenkategorie wurde 2011 unter dem § 110a ins Berliner Hochschulgesetz aufgenommen. Forschung ist auf dieser Stelle zwar vorgesehen, bei einem Lehrdeputat von 18 LVS de facto jedoch kaum möglich. Die Stellenkategorie erweist sich somit als wissenschaftliches Abstellgleis. Wegen der Unvereinbarkeit mit dem universitären Grundprinzip der Einheit von Forschung und Lehre wurde die Stellenkategorie nach ihrer Einführung 2011 zunächst von den Hochschulen abgelehnt. Unter dem Druck ausreichend Lehrkräfte auszubilden wurden jedoch an der FU insbesondere in der Lehrkräftebildung in den letzten Jahren vermehrt Stellen dieser Kategorie ausgeschrieben. Entsprechend viele solcher Stellen sind dann auch in relevanten Arbeitsbereichen am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie besetzt worden.

Zur Situation am Fachbereich (FB) Erziehungswissenschaft und Psychologie

An der Stellenverteilung in unserem FB lässt sich dann auch prägnant verdeutlichen, was die o.g. Statistiken verbergen. 31% der männlichen Beschäftigten im akademischen Mittelbau am FB hatten 2020 eine feste Stelle , bei den Frauen waren es 41%. Auf den ersten Blick scheinen Männer somit deutlich im Nachteil. Eine Analyse nach Stellenkategorien ergibt jedoch ein anderes Bild (siehe auch Abb. 1).

Abb. 1.Prozentuale Verteilung der Stellentypen im wissenschaftlichen Mittelbau; Männer und Frauen im FB
  1. Obwohl 80% der Absolvent*innen bei uns Frauen sind, sind nur 69% des gesamten Mittelbaus weiblich.
  2. Zudem hat der weit überwiegende Anteil der Männer im Mittelbau mit einem unbefristeten Vertrag eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Daueraufgaben, also maximal 8 LVS. Bei den Lehrkräften für besondere Aufgaben (16 LVS) sind Frauen mit 80% vertreten. Und als wissenschaftliche Mitarbeiter*in mit Schwerpunkt in der Lehre (18 LVS) sind ausschließlich Frauen tätig.              

Im Klartext:      
Die Frauenquote im wissenschaftlichen Mittelbau (69%) unterschreitet deutlich die der Absolventinnenquote des Vorjahrs (81%). Bei Postdoc-Stellen sinkt der Anteil an Frauen nochmals drastisch auf unter 40 %.

Und: Frauen sind zwar – verglichen mit Männern – überproportional auf festen Stellen vertreten, aber zugleich auch überproportional auf Stellen eingestellt, die eine weitere wissenschaftliche Laufbahn kaum ermöglichen.

Hochdeputatsstellen: Quantität statt Qualität in der Lehre

Dass Hochdeputatsstellen von der Vereinbarkeit von Forschung und Lehre abgesehen auch dem Qualitätsanspruch an gute Lehre entgegenstehen, ist auch auf politischer Ebene erkannt worden. In der Vereinbarung „Beste (Lehrkräfte-)Bildung für Berlin“ wurde bereits vor über einem Jahr eine Reduktion des Lehrdeputats für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mit Schwerpunkt in der Lehre auf 12 LVS beschlossen. Die Umsetzung steht jedoch noch immer aus.[2] Eine entsprechende Reduktion für Lehrkräfte mit besonderen Aufgaben ist darin allerdings nicht vorgesehen. Die Lehrdeputate von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mit Schwerpunkt in der Lehre außerhalb der Lehrkräftebildung bleiben von der Vereinbarung ebenfalls unberührt. Auch hier sind vermutlich Frauen überproportional häufig vertreten.

Hannas Zukunft?

Die Erhöhung entfristeter Stellen auf 35% ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings zeigt das Beispiel der Verteilung am Fachbereich auch, dass Chancen je nach Stellenkategorie sehr ungleich verteilt sind. Hochdeputatsstellen sind für ohnehin benachteiligte Gruppen besonders nachteilig. Das gilt nicht nur für Benachteiligungen entlang binärer Geschlechterkategorien, sondern auch entlang weiterer Kategorien der Diversität. Wir brauchen unbedingt mehr feste Stellen für den akademischen Mittelbau. Weitere Hochdeputatsstellen zu den gegenwärtigen Konditionen sollten aber auf keinen Fall vergeben werden – nicht für Hanna, erst recht nicht für Hanin und auch nicht für Hannes!


[1] Das Erklärvideo wurde inzwischen von der Seite des BMBF gelöscht, findet sich aber weiterhin auf youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=PIq5GlY4h4E

[2] S. offener Brief an die Abgeordneten:
https://www.fu-berlin.de/sites/prdahlem/aktuelle_infos/20210604_wimi_offener-brief.html

Code of Conduct (CoC) für die digitale Lehre – nettes Add-on oder doch unverzichtbar?

Der Umstand, dass Studierende aktuell fast ausschließlich online am Unigeschehen teilnehmen, lässt den Blick nicht nur auf gelingende Lehre richten, sondern auch auf Begleitumstände und Folgen. So berichten 86% der befragten Studierenden einer umfassenden Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dass in Zeiten der digitalen Semester der Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte zu Mitstudierenden schwieriger geworden sind (Marzuk et al., 2021). Ähnlich wurden fehlende Kontakte im Stimmungsbild 6/2020 unseres Fachbereichs nach dem ersten digitalen Semester in allen Statusgruppen beklagt. Vieles spricht dennoch dafür, dass die Möglichkeiten zum digitalen Austausch nicht nur zum Lernen und Diskutieren genutzt werden, sondern – infolge mangelnder Alternativen – auch zum Kennenlernen unter den Studierenden, v.a. bei den „Erstis“. Und das ist auch gut so. Aber müssen wir nochmal aufschreiben, wie wir uns „benehmen“?

Wie das Einmaleins des respektvollen Umgangs miteinander (auch) zum Werkzeug gegen Diskriminierung und Belästigung wird

Seit Juli 2020 haben wir es schriftlich: Der Code of Conduct der FU benennt nicht nur, dass alle Beteiligten in der digitalen Lehre respektvoll miteinander umgehen. Er konkretisiert das auch mit scheinbaren Banalitäten wie „Wir hören einander aufmerksam zu“ oder „Wir stellen das Mikrofon auf stumm, wenn wir einer Veranstaltung beitreten“ oder mit dem Hinweis, dass keinerlei Äußerungen/Verhaltensweisen geduldet werden, die unangemessene Inhalte verbreiten oder andere diskriminieren. Ja, klar, aber warum Selbstverständliches aufschreiben?

Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb!

Im aktuellen Welt-Mädchenbericht 2020 von Plan International (#FreeToBeOnline) wird v.a. eins deutlich: So doll lieb dann wohl doch nicht. 14.000 Mädchen und junge Frauen wurden in 22 Ländern weltweit zu ihren Erfahrungen in den sozialen Medien befragt; ihre Antworten sind ernüchternd. Jede zweite wurde bereits online belästigt, beschimpft oder bedroht; die Angaben zum Erstalter fangen bei acht Jahren an (Pehlke, 2020).

Auch wenn diese Ergebnisse selbstverständlich nicht 1:1 auf den universitären Alltag übertragen werden können oder sollen, müssen wir damit rechnen, dass auch an der Universität diskriminiert, beleidigt und belästigt wird. Grobes Fehlverhalten ist dabei relativ einfach einzuordnen. Schwieriger ist es, wenn die Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Verhalten nicht so deutlich ist. Sicherlich würde man zu Unrecht von (Cyber-)Stalking sprechen, wenn jemand nach einem unbeantworteten Kontaktversuch nochmal nachfragt (z.B. per Mail oder mittels eines Instant-Messaging-Dienstes). Wenn hingegen eine Beziehung wiederholt eingefordert wird, obwohl die Zielperson deutlich gemacht hat, dass sie den Kontakt nicht wünscht, könnte die Grenze erreicht sein. Zentral ist, dass die Lebensführung der Zielperson schwerwiegend beeinträchtigt wird, wenn sie sich also bedroht und belästigt fühlt. Und um genau so etwas nicht hinzunehmen, um Belästigte verteidigen und schützen zu können, brauchen wir den Code of Conduct!

CoC ist kein Knigge 3.0 – Verstöße können rechtliche Folgen haben!

Der Code of Conduct ist nämlich kein Knigge 3.0, dessen Benimmregeln man nach Lust und Laune befolgen kann (oder auch nicht …). Er ist verbindlich an der FU und wird von der FU-Richtlinie zum Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt ergänzt. Geklärt ist dabei, was passiert, wenn Personen sich nicht an diese Festlegungen halten. Bei gemeldeten Regelverstößen erfolgt zunächst eine Anhörung aller Betroffenen und es wird versucht, die Situation zu klären. Im nächsten Schritt können dann (in Abhängigkeit von Art und Ausmaß des Vorfalls/der Vorfälle) Konsequenzen gezogen werden, von schriftlicher Aufklärung/Absichtserklärung über Ausschluss von Lehrveranstaltungen und/oder Abmahnung bis hin zur Kündigung/Exmatrikulation und/oder Strafverfolgung.

Was ist zu tun?

Wenn Sie selbst betroffen sind:

  • Überlegen Sie, mit wem Sie darüber sprechen möchten, und kontaktieren Sie diese Person oder Institution. Dieser Kontakt kann auch dann (sehr) sinnvoll sein, wenn Sie sich nicht so ganz sicher sind, was Sie von der Situation halten sollen.
  • In jedem Fall können Sie z.B. die Dozierenden, das Dekanat oder die dezentrale Frauenbeauftragte kontaktieren. Weitere Anlaufstellen an der FU finden Sie hier. Externe Beratungsoptionen finden Sie zudem ganz am Schluss des Beitrags.
  • Die Art der Kontaktaufnahme ist ebenfalls Ihnen überlassen: online, telefonisch oder ggf. per Videokonferenz; dabei kann online- und telefonische Beratung auf Wunsch auch anonym geschehen.
  • Vertraulichkeit und Schweigepflicht sind für Berater:innen selbstverständlich!

Wenn Sie Zeug:in solcher Regelverstöße geworden sind:

  • Schauen Sie hin und werden Sie aktiv!
  • Machen Sie deutlich, dass Sie das inadäquate Verhalten nicht tolerieren.
  • Bieten Sie der betroffenen Person Ihre Unterstützung an.
  • Überlegen Sie (falls sinnvoll), wie Sie sich mit ihr solidarisieren können (unter Berücksichtigung der Wünsche der betroffenen Person).
  • In manchen Fällen – wenn die betroffene Person z.B. gar nicht weiß, dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt werden – kann es auch notwendig sein, den Vorfall zu melden.

Bevor Sie eine private Chat-Gruppe zu Studienzwecken bilden (mit welchem Dienst auch immer):
Prüfen Sie, ob es nicht genauso ein User-Wiki oder ein User-Blog der FU tut, also eine der sog. „inoffiziellen“ Plattformen der FU, die auch von Studierenden genutzt werden können. Dann nämlich kann die FU als Institution bei Bedarf (Regelverletzungen) auch juristisch aktiv werden!


Hilfe und Beratung gibt es hier (eine Auswahl):

  • Bundesweites Hilfetelefon für Frauen, die Gewalt erlebt haben: 0 8000 116 016
  • Externe Chatberatung: https://www.hilfetelefon.de/  (u.a. Beratung in 17 Sprachen und Gebärdensprache)
    (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben)
  • Die Beratungsstelle Stop-Stalking berät (a) Betroffene von Stalking, (b) Menschen, die stalken, sowie (c) Dritte, die beruflich oder als Angehörige mit Stalking zu tun haben: https://www.stop-stalking-berlin.de/de/home/

Quellen

Marczuk, Anna, Multrus, Frank, & Lörz, Markus (2021). Die Studiensituation in der Corona-Pandemie. Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lern- und Kontaktsituation von Studierenden. (DZHW Brief 01|2021). Hannover: DZHW. https://doi.org/10.34878/2021.01.dzhw_brief

Pehlke, Viktoria (2020). Jedes zweite Mädchen wird im Internet belästigt. Katapult. [https://katapult-magazin.de/de/artikel/jedes-zweite-maedchen-wird-im-internet-belaestigt]

Plan international (2020). Free to be online? [https://www.plan.de/freedom-online.html]

Marie-Schlei-Preis 2020

Marie-Schlei-Preis und Preis für beste Lehre wurde in gemeinsamer Veranstaltung verliehen

Der 26. November 2020 war ein besonderer Tag: Um 15 Uhr wählten sich fast 70 Mitglieder des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und Psychologie in eine WebEx-Konferenz ein. Die Beteiligten kamen aus allen Statusgruppen und aus allen Wissensbereichen des Fachbereichs, z.T. festlich gekleidet, das Lieblingsgetränk zur Hand und einige demonstrierten ganz dezent Schokoladen und Blumensträuße.

Anlass für diese etwas ungewöhnliche Veranstaltung waren gleich zwei Preisverleihungen: So verliehen Studierende des Fachbereichs den Preis für beste Lehre 2020 in mehreren Kategorien und der Fachbereich zeichnete vier junge Wissenschaftlerinnen für ihre exzellenten Abschlussarbeiten mit dem Marie-Schlei-Preis 2020 aus.

Preis für beste Lehre 2020

Da der Fachbereichstag dieses Jahr ausfallen musste und leider auch zur Absolvent:innenfeier pandemiebedingt nicht eingeladen werden konnte, entstand die Idee, die beiden Preise gemeinsam zu feiern. Beim Preis für beste Lehre waren die Überraschungen für die Betroffenen perfekt. Hier wiederholte sich die Schilderung der z.T. sichtlich berührten Preisträger:innen, dass kurz vor der Veranstaltung ein „Mann mit Maske und Blumenstrauß“ vor der Tür gestanden hatte und den verblüfften Empfänger:innen eben diesen Blumenstrauß überreicht hatte.

Der Zufall wollte zudem, dass der Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie zum 21. Mal den Marie-Schlei-Preis an eben dem Tag verlieh, an seine Namensgeberin Marie Schlei ihren 101. Geburtstag gefeiert hätte.

Marie-Schlei-Preis 2020

Die Preisträgerinnen des Marie-Schlei-Preises hatten sich auch schon über ihre Blumen gefreut, waren aber etwas vorbereiteter, weil sie z.T. ihre nun ausgezeichneten Arbeiten vorstellten und daher vorher informiert worden waren. So lernten die Anwesenden nebenbei noch etwas darüber, was Schüler:innen hilft, wenn sie vom Gymnasium an eine Sekundarschule wechseln, und wann Messfehler in Berechnungen berücksichtigt werden sollten, um ggf. valide kausale Schlüsse zu ziehen, und wann dies verzichtbar ist. Neugierig geworden? Dann schauen Sie sich gern die ausgezeichneten Arbeiten an!

Gender Diversität vs. Frauenförderung?

Widerspricht das Ziel der Gender Diversität nicht dem Anliegen der Frauenförderung? Lange Zeit haben wir dafür gekämpft, Frauen in Sprache und Bild sichtbar zu machen. Inzwischen stellt sich vor dem Hintergrund der Vielzahl von Geschlechtsidentitäten die Frage, ob es nicht eher darum gehen sollte, das Geschlecht nicht zu erwähnen, also quasi unsichtbar zu machen, um Gleichstellung umzusetzen. Nicht allen reicht der „Umweg“ über ein drittes Geschlecht. Wie können wir dann Frauen fördern? Ist das überhaupt noch ein zeitgemäßes Ziel?

Zunächst lässt sich festhalten, dass wir als Gesellschaft trotz entsprechender Bemühungen – seit Jahrzehnten! – der Gleichstellung der Frauen schon etwas näher gekommen sind, das Ziel aber nach wie vor noch lange nicht erreicht haben; Frauen werden weiterhin in vielen Bereich benachteiligt. Frauenförderung bleibt demzufolge weiterhin ein wichtiges Ziel – bis wir die Gleichstellung von Frauen erreicht haben. Dies ist ein weiterhin wichtiges Teilziel der Gleichstellung aller Geschlechter. Beibt die Frage nach der gendergerechten und -sensiblen Sprache.

Zunächst mal lässt sich zeigen, dass sich die gewählte Art des Sichtbarmachens von Geschlechtern sehr wohl darauf auswirkt, was Lesende und Hörende sich vorstellen (hierzu etwa Heise, 2000; Stahlberg & Sczesny, 2001):

  • Die Studenten/Studierende. Generische Maskulina  und neutrale Begriffe  werden mehrheitlich mit Männern assoziiert.
  • Studentinnen und Studenten. Beim Splitten werden Frauen und Männer etwa zu je 50% assoziiert. Menschen, die sich beiden Gruppen nicht zugehörig fühlen, werden ignoriert.
  • StudentInnen. Beim großen I werden Frauen zu mehr als 50% mitgedacht.
  • Student_innen/Student*innen. Hier wird an Frauen, Diverse und Männer gedacht.

Dann ist doch alles klar, könnten wir denken. Dem ist aber wohl nicht so. Weder die als Gendergap bezeichnete Schreibweise mit Unterstrich noch das sog. Gendersternchen sind unumstritten. Und obwohl der Rat für deutsche Rechtschreibung das Anliegen einer geschlechtergerechten Sprache ausdrücklich anerkennt, mochte er sich noch keiner Schreibweise anschließen, sondern will abwarten, welche Schreibweise sich letztendlich durchsetzt (PM 2018). Dies hat konkrete Konsequenzen für Texte, die etwa die Freie Universität veröffentlicht. In Studien- und Prüfungsordnungen der FU werden neutrale Begriffe wie Studierende verwendet, aber da, wo das schwierig ist, wird auf das Splitting zurückgegriffen (z.B. Absolventinnen und Absolventen), was einen Teil der Studierendenschaft nicht berücksichtigt und damit eine Diskriminierung durch Ignorieren darstellt (auch wenn das nicht die Absicht ist).

Aktuell wird die überarbeitete Studien- und Prüfungsordnung des neuen polyvalenten Bachelorstudiengangs in der Psychologie diskutiert (wegen des neuen Gesetzes zur Ausbildung in psychologischer Psychotherapie). Ob es hier gelingt, sich insgesamt auf geschlechterneutrale Formulierungen zu einigen und damit Vorbildfunktion zu übernehmen, wissen wir am 16. Juli 2020.

Literatur

Heise, Elke (2000). Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen. Sprache und Kognition — Zeitschrift für Sprach- und Kognitionspsychologie und ihre Grenzgebiete, 19(1/2), 3 – 13.

Stahlberg, Dagmar & Sczesny, Sabine (2001). Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. Psychologische Rundschau, 52(3), 131 – 140.