Das Dispositivkonzept als analytisches Werkzeug in der sozialwissenschaftlichen Krisen- und Katastrophenforschung: Perspektiven und Potenziale

Von Leonie Reuter

10. September, 2024

http://dx.doi.org/10.17169/refubium-45160

Theoretische Konzepte sind für die Sozialwissenschaften wichtige Werkzeuge, um komplexe Phänomene zu verstehen. Als Denkheuristik können sie helfen, Beobachtungen zu filtern und zu systematisieren, den Fokus zu schärfen und für bestimmte Phänomene zu sensibilisieren, Fragestellungen und Thesen zu formulieren und in tendenziell chaotischen Realitäten Zusammenhänge sichtbar zu machen. Sie bieten einen allgemeinen Erklärungsrahmen, der nicht unbedingt an einen bestimmten Forschungsgegenstand gebunden ist, sondern mit verschiedenen empirischen Inhalten gefüllt werden kann. So ermöglichen Konzepte nicht zuletzt auch eine Basis für den Vergleich verschiedener Forschungskontexte.

Dieser Beitrag greift mit Blick auf die sozialwissenschaftliche Krisen- und Katastrophenforschung die Frage auf, inwiefern speziell das Konzept des Dispositivs im Anschluss an Michel Foucault diese Funktionen zu erfüllen vermag. Welchen Beitrag kann das Dispositivkonzept als analytisches Werkzeug leisten? Es wird argumentiert, dass die Dispositivanalyse in der Krisen- und Katastrophenforschung auf vielversprechende Weise anwendbar ist und dass dieses Potenzial bisher nicht umfänglich ausgeschöpft wurde. Im Folgenden wird zunächst das Konzept des Dispositivs erläutert. Anschließend gilt es zu zeigen, welche einschlägigen Anschlussmöglichkeiten und Frageperspektiven sich für die Krisen- und Katastrophenforschung ergeben, wobei zur Veranschaulichung beispielhaft auf den Umgang mit Hochwasser rekurriert wird.

Was ist ein Dispositiv?

Dispositiv ist ein Begriff, der sich aus dem Französischen („le dispositif“) herleitet und ins Deutsche mit Vorrichtung oder Apparat übersetzt werden kann. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde der Begriff in den 1970er Jahren von Michel Foucault geprägt und später von anderen Theoretiker*innen (u.a. Deleuze 1991; Peltonen 2004; Agamben 2008; Bussolini 2010) aufgegriffen und weitergedacht. Dabei kommt das Dispositiv in der Regel als Erweiterung des breit rezipierten diskurstheoretischen Ansatzes von Foucault zum Einsatz. Der sehr viel bekanntere Diskursbegriff wird hier nicht abgelöst, sondern durch das Dispositiv ergänzt und nach wie vor als zentraler Theoriebaustein vorausgesetzt. Diskurse können im Anschluss an Foucault (u.a. 1981) weiterhin als abgrenzbare Menge von systematisch zusammenhängenden Aussagen definiert werden, die uns im praktischen Sprach- und Zeichengebrauch gegenübertreten, dabei spezifischen Regel-mäßigkeiten folgen, Wissen (re-)produzieren und damit machtvoll auf Menschen und ihre Selbst- und Weltverständnisse einwirken. Eng verknüpft mit diesem Diskursverständnis ist eine bestimmte Vorstellung davon, was eigentlich Wissen ist. Wissen wird hier nicht etwa mit einer universellen Wahrheit gleichgesetzt, die sich objektiv aus einer vorgängigen Realität ableiten und dann in Form faktischer Kenntnisse artikulieren lässt. Stattdessen gilt Wissen als ein historisches Produkt, das in sozialen – maßgeblich diskursiven – Prozessen hergestellt, vermittelt und verändert wird und in seiner jeweils gültigen Form das sinnhafte Verstehen und Handeln der Menschen anleitet (Foucault 1981: 259–260; siehe auch Kammler 2020). Auf diesem Verständnis von Wissen und Diskursen fußt auch das von Foucault vorgeschlagene und hier anvisierte Dispositivkonzept.

Foucault (1978: 119–120) und daran anknüpfend auch andere (u.a. Bührmann und Schneider 2008, 2012; Jäger 2001; Keller 2008) beschreiben ein Dispositiv als historisch spezifische Anordnung von verschiedenartigen Elementen, die unter der Maßgabe einer geteilten strategischen Ausrichtung zusammenwirken. Die unterschiedlichen Elemente, die als Teile eines Dispositivs in Relation gebracht werden, schließen Diskurse ein, können darüber hinaus aber auch (nicht-diskursive) soziale Praktiken, materielle Gegenstände, Artefakte und Infrastrukturen sowie Institutionen, Gesetze, Maßnahmen, Berufe, usw. umfassen. Dispositive formieren und transformieren sich im Lauf der Zeit und können auch wieder verschwinden. Die Anordnung von Elementen innerhalb eines Dispositivs ist also dynamisch und immer raum-zeitlich situiert.

Zentral ist bei Foucault und anderen, dass sich Dispositive nicht zufällig herausbilden, sondern als Folge einer gesellschaftlichen Problematisierung. Foucault (1978: 119–120) spricht auch von Notstand („urgence“). Angenommen wird also, dass zunächst eine Problemlage diskursiviert wird, die dann irgendeine Art von Umgang erfordert. Eine solche Problematisierung kann beispielsweise zum Anlass für die Entstehung neuer Diskurse werden oder für die Adaption von Praktiken, für die Einführung von Regularien, Maßnahmen oder neuer Berufsfelder, für die Verschiebung von Verantwortungsbereichen, für technologische Entwicklungen, für die Produktion bestimmter Gegenstände, für den (Um-)Bau von Infrastrukturen – kurz: zum Anlass für die Herausbildung der Elemente eines Dispositivs. Obwohl all diese Elemente in ihrer Formierung keinem zentral konzertierten Masterplan folgen, stellen sie jeweils eine Antwort auf die gleiche Problematisierung dar und nehmen eine geteilte strategische Ausrichtung der Problemlösung an. Ein Dispositiv kann in diesem Sinn auch als institutionalisierte Art der Problembearbeitung verstanden werden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie ein bestimmtes (Problem- und Lösungs-)Wissen voraussetzt und zugleich reproduziert. Dieses in einem Dispositiv und seinen verschiedenartigen Elementen eingeschriebene Wissen wird zu einem konstitutiven Merkmal – es stellt eine Art ‚DNA‘ des Dispositivs dar. So geht es mit dem Dispositivbegriff nicht länger nur darum, welches Wissen in Diskursen, also im Sprachgebrauch und anderen zeichenhaften Ausdrücken (re-)produziert wird. Vielmehr rückt in den Fokus, wie sich Wissen in ganzen Ensembles von Institutionen, Praktiken und Materialitäten einschreibt und welche Machtwirkungen davon ausgehen.

Wie genau Dispositive wirken, ist niemals plan- oder absehbar, sondern kann nur retrospektiv (z.B. in Forschungsprojekten) aufwendig und partiell rekonstruiert werden. Dabei müssen die Wirkungen, die von einem Dispositiv ausgehen, nicht zwangsläufig zu einer Problemlösung beitragen. Sie können die ursprünglich identifizierte Problemlage auch verschärfen oder zu ganz anderen nicht-intendierten Nebenfolgen führen. Ob intendiert oder nicht: Dispositive strukturieren das Deuten und Handeln von Menschen in bestimmten Praxisfeldern. Sie wirken machtvoll in dem produktiven Sinn, dass sie Seins- und Handlungsweisen nicht nur beschränken, sondern auch hervorbringen.

Obwohl es sich bei der Formierung von Dispositiven um keinen zentral gesteuerten, sondern einen kollektiven, mehr oder weniger koordinierten Prozess handelt, ist er nicht unabhängig von bestehenden Kräfteverhältnissen. Unterschiedliche Interessen und ungleiche Einflussmöglichkeiten können sich in Dispositiven und ihren Elementen niederschlagen und damit vorherrschende Asymmetrien verstetigen. Grundsätzlich ist auch denkbar, dass sich parallel mehrere Dispositive herausbilden und fortan koexistieren. Analytisch kann dann differenziert werden zwischen hegemonialen und gegen-hegemonialen Dispositiven (Hartz 2017), die zwar auf die gleiche Problematisierung antworten, sich aber in ihren Problembearbeitungsstrategien unterscheiden und letztlich auch unterschiedliche Wirkungen zeitigen.

Zusammengefasst lassen sich Dispositive verstehen als historisch gewachsene, relativ stabile Konfigurationen aus verschiedenen materiellen und immateriellen Elementen, die gekennzeichnet sind durch ihren Problembezug und ihre strategische Ausrichtung, das in ihnen eingeschriebene und reproduzierte Wissen und ihre Machtwirkungen. In diesem oder ähnlichem Sinn wurde das Dispositivkonzept bisher in verschiedenen Forschungskontexten herangezogen, u.a. als Allianz- und Sexualitätsdispositiv (Foucault 1983), Geschlechterdispositiv (Bührmann 1998), Mobilitätsdispositiv (Manderscheid 2017), Stadtplanungsdispositiv (Braun 2014), Energiewendedispositiv (Moss et al. 2016). Auch Phänomene, die sich grundsätzlich einer breit ausgelegten Krisen- und Katastrophenforschung zurechnen ließen, wurden mithilfe des Dispositivs beleuchtet, so etwa ein Dispositiv der Entwicklungszusammenarbeit (Schritt 2010), ein Dispositiv der ‚Food Charity‘ (Möller 2019) sowie ein Dispositiv der Geflüchtetenhilfe (Fleischmann und Steinhilper 2017). Außerdem liegen einige Untersuchungen vor, die Risikomanagementsysteme als Dispositiv analysieren (Huber und Scheytt 2013) bzw. spezifischer ein Dispositiv des Betrugsrisikos (Power 2013) oder ein „dispositif of precautionary risk“ als Antwort auf Terrorgefahren (Aradau und van Munster 2007; Dean 2010). Darüber hinaus ist der Rückgriff auf das Dispositivkonzept in der Krisen- und Katastrophenforschung allerdings wenig verbreitet und eine systematische Auseinandersetzung mit seinem Nutzen für diesen Forschungsbereich steht noch aus. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend erörtert, inwiefern sich das Dispositivkonzept in der Krisen- und Katastrophenforschung anwenden lässt. Welche Frageperspektiven ergeben sich aus der theoretischen Linse des Dispositivs? Es gilt zu zeigen, dass eine sozialwissenschaftliche Krisen- und Katastrophenforschung, die sich sowohl für die Deutung und Wahrnehmung von Risiken, Krisen und Katastrophen als auch für gesellschaftliche Präventions-, Bewältigungs- und Anpassungsweisen interessiert, in besonderem Maß von einem analytischen Zugang durch das Dispositivkonzept bzw. die Dispositivanalyse profitieren kann.

Das Dispositivkonzept in der Krisen- und Katastrophenforschung

Wie oben erläutert, stehen in der Dispositivanalyse diskursive Prozesse der Problematisierung einer Gefahr, Krise oder Notlage als Auslöser für die Entstehung eines Dispositivs und/oder als Treiber für innerdispositive Modifikationen im Mittelpunkt. Damit sind bereits zentrale Kategorien der Krisen- und Katastrophenforschung angesprochen. Im Einklang mit einer konstruktivistischen Krisen- und Katastrophenforschung gilt die Annahme, dass einem Ereignis oder einer Situation der Status einer Krise oder Katastrophe nicht per se inhärent ist, sondern dieser in sozialen Prozessen erst zugewiesen wird. Erst diese Deutungs- und Problematisierungsprozesse machen ein Phänomen zur Krise oder Katastrophe und lassen entsprechende Handlungen folgen (z.B. Hilgartner 1992; Hardy und Maguire 2016). Die Konstruktion von etwas als Gefahr, Risiko, Krise oder Katastrophe bzw. die Konstruktion von etwas als gefährdet oder vulnerabel können als extreme Formen der Problematisierung betrachtet werden, die für die Krisen- und Katastrophenforschung von zentraler Bedeutung sind und sich als Ausgangspunkt für eine Dispositivanalyse perfekt eignen.

Das gilt auch für die Problematisierung von Hochwasser und den daraus resultierenden Konsequenzen. Dass eine bestimmte Menge an Niederschlag in kurzer Zeit als Naturgefahr problematisiert und mit einem kalkulierbaren hochwasserbedingten Risiko für die Bevölkerung in Verbindung gebracht wird, ist nicht selbstverständlich. Historische Forschung zeigt, inwiefern die Deutung von Hochwasser variierte – nicht nur die Problematisierung als Gefahr betreffend, sondern auch bezüglich der Zuweisung von Ursachen und der Definition von Schutzzielen. Je nach Kontext konnte Hochwasser als Normalität, als Strafe Gottes oder als Naturgefahr gedeutet werden und mit höchst unterschiedlicher Handhabung einhergehen (Meier und Conijn 2020). Die Frage, ob und wie Hochwasser problematisiert wurde, ist von grundlegender Bedeutung für eine Dispositivanalyse, die auf ein vertieftes Verständnis des Umgangs mit Hochwasser abzielt.

An dieses Interesse an Problematisierungen bzw. an der sozialen Konstruktion von Krisen und Katastrophen schließt sich eine Reihe weiterführender Fragestellungen an. Zum einen ergeben sich Fragen nach den Kräfteverhältnissen, aus denen die Problematisierung von etwas als krisenhaft oder katastrophal hervorgehen – oder auch den Verhältnissen, unten denen diese Problematisierung ausbleibt: Unter welchen Umständen und gegen welche Widerstände wird ein bestimmter Wasserpegel als Notfall gedeutet oder ein Risiko diagnostiziert und wer verfügt Deutungsmacht? Zum anderen ergeben sich Fragen nach den Machtwirkungen von Diskursen bzw. diskursiv produziertem Wissen: Welche Folgen hat die diskursive Problematisierung eines Ereignisses oder die Identifizierung potenziell drohender Schäden und Verluste beispielsweise für die Einleitung von Kontroll-, Präventions- oder Notfallmaßnahmen, die Bereitstellung von finanziellen Mitteln oder die Verabschiedung von neuen Regularien? Welche Normen werden durch die Diagnose eines Ausnahmezustands außer Kraft gesetzt und welche möglicherweise autoritären Politiken legitimiert? Hier bieten sich Anschlüsse an bestehende Stränge der Katastrophenforschung an, die Extremereignisse als Gelegenheitsfenster für politische Eingriffe und sozialen Wandel untersuchen (Agamben 2010; Birkmann et al. 2010; Huber und Scheytt 2013).  

Während für die Analyse von Problematisierungen und ihren Hervorbringungsmodalitäten der Diskursbegriff im Anschluss an Foucault hinreichend erscheint, kommt das Dispositivkonzept spätestens dann ins Spiel, wenn es um die Umgangsweisen mit den diskursivierten Risiken, Krisen oder Katastrophen geht. Mit welchen materiellen und immateriellen Einrichtungen, Maßnahmen und Praktiken wird auf eine Problematisierung – beispielsweise von Starkregenereignissen und Hochwasserrisiken – reagiert? Der Umgang mit einer Krise oder Katastrophe wird dann nicht allein auf der Ebene des Diskurses untersucht. Stattdessen ist das Ziel, aus holistischer Perspektive nachzuvollziehen, welches Hochwasser-Dispositiv – also welches strategische Netz aus ganz unterschiedlichen diskursiven und nicht-diskursiven Elementen – als Antwort auf die Problematisierung von Hochwasser hervorgebracht wird und wie es sich im Laufe der Zeit transformiert. So wird für die zahlreichen heterogenen Elemente sensibilisiert, die in der Gesamtheit ihrer Relationen und Wechselwirkungen den Status Quo der jeweiligen Vorsorge-, Bewältigungs- und Anpassungsweisen im Hochwasserschutz ausmachen. Zu rekonstruieren wäre im Falle des Hochwasser-Dispositivs also ein ganzes Netz, beispielsweise aus Wasserwirtschaftsämtern, Messstationen, Deichen und Dämmen, Warnsystemen, Evakuierungsplänen, Vulnerabilitätsanalysen, Bauordnungen, Wartungspraktiken usw. Dieser Blick durch das Dispositivkonzept sensibilisiert für die Vielfalt an sichtbaren und unsichtbaren Elementen, die auf die Praxis des Hochwasserschutzes einwirken bzw. den Gegenstand ‚Hochwasserschutz‘ überhaupt erst als solchen konstituieren.

So erschließen sich mit dem Dispositivkonzept vielfältige Anschlüsse an eine Katastrophenforschung, die darum bemüht ist, den Umgang (Governance) mit Risiken, Krisen und Katastrophen zu verstehen. In Foucaultscher Tradition sind dabei Fragen von Wissen und Macht zentral, wobei diese sich eben nicht länger auf den Diskurs begrenzen, sondern das gesamte Dispositiv einbeziehen. Um zu verstehen, was Hochwasserschutz in einem spezifischen historisch-kulturellen Setting bedeutet, können mit dem Dispositivkonzept ganz unterschiedliche Elemente als ‚Träger‘ von hochwasserbezogenem Wissen erschlossen werden. Mit dem hiesigen Verständnis von einem Wissen, das nicht nur im Gesagten (re-)produziert wird, sondern auch in Praktiken, Institutionen und Materialitäten, können all diese Elemente für eine Wissensanalyse herangezogen werden: Welches (Problem- und Lösungs-)Wissen materialisiert sich beispielsweise in den Messgeräten, Wasserleitungen oder dem Fachbereich ‚Wassersensible Stadtentwicklung‘? Welche Wahrheitsordnung ist im Hochwasser-Dispositiv inskribiert und bestimmt die Regeln und Kriterien, anhand derer über richtig und falsch geurteilt wird?

Hinzu kommen Perspektiven einer erweiterten Machtanalyse. Die Mechanismen produktiver Macht (inkl. Subjektivierungsprozesse) lassen sich nicht nur im Hochwasser-Diskurs verorten und analysieren, sondern eben auch in den anderen Elementen des Hochwasser-Dispositivs. So wird ersichtlich, wie das Verstehen und Handeln der Menschen neben den vorherrschenden Diskursen auch von anderen materiellen und immateriellen Vorrichtungen nicht determiniert, aber vorstrukturiert ist: Wie wird das Denken und Handeln beispielsweise von Einsatzkräften oder anderen Bevölkerungsgruppen durch das Hochwasser-Dispositiv einerseits ermöglicht und andererseits beschränkt? Welche Subjektpositionen wie ‚Opfer‘, ‚Retter‘, ‚Experte‘ oder ‚Unbeteiligte‘ werden im Dispositiv hervorgebracht und durch wen werden sie eingenommen? Zu fragen wäre mit einem ganzheitlichen Blick außerdem nach den Auswirkungen eines Dispositivs auf Resilienz- und Vulnerabilitätsfaktoren: Welche gewollten und ungewollten Effekte auf die gesellschaftliche Verteilung Schutzressourcen und -kapazitäten zeichnen sich ab? Hier liegt auch die analytische Berücksichtigung ungleicher Kräfteverhältnisse nahe, die sich in der Formierung von Dispositiven niederschlagen und stabilisieren: Wie schreiben sich Herrschaftsverhältnisse in wasserbauliche Infrastrukturen, Gesetze oder andere Institutionen ein und wirken teils über Jahrhunderte fort? Nicht zuletzt lässt sich auch danach fragen, inwiefern durch bestimmte Dispositive neue Krisen produziert werden: Inwiefern zeichnet sich in vorherrschenden Hochwasser-Dispositiven die Störung sozialer Ordnung und deren Problematisierung ab?

Bei all diesen möglichen Frageperspektiven liegt im Anschluss an Foucault immer auch die historische Betrachtung nahe, hier etwa die Betrachtung der historischen Genese und Dynamik des Hochwassermanagements: Wie hat sich das Hochwasser-Dispositiv im Lauf der Zeit (trans-)formiert? Welche Elemente stabilisieren ein Dispositiv, während andere Veränderungen unterliegen? Die diskursive Problematisierung von Krisen oder Katastrophen kann dabei nicht nur als Auslöser zur Neuformierung von Dispositiven betrachtet werden, sondern auch als Katalysator für innerdispositiven Wandel. Je nach Forschungsinteresse lassen sich außerdem unterschiedliche raum-zeitliche Eingrenzungen vornehmen und vergleichen. Welche vermeintlich universellen Eigenschaften zeitgenössischer Hochwasser-Dispositive in Deutschland kristallisieren sich als Spezifika heraus, wenn sie verglichen werden – etwa mit einem frühmittelalterlichen Dispositiv in China, in dem Überschwemmungen als Anzeichen für einen Überschuss des weiblichen Yin-Prinzips gelten und die Vertreibung von Frauen aus dem kaiserlichen Palast Teil der Problemlösung ist (Tvedt 2013: 184–185)?

Fazit

Was hier beispielhaft am Hochwasser-Dispositiv besprochen wurde, lässt sich im Grunde auf alle möglichen Interessensgebiete der Krisen- und Katastrophenforschung ausweiten. Sobald die Problematisierung einer Gefahr oder einer Krise erkennbar wird, kann auch nach entsprechenden Dispositiven der Gefahrenabwehr, des Risikomanagements oder der Katastrophenvorsorge und -bewältigung gefahndet werden. Denkbar wäre sowohl die Analyse von umfassenden Katstrophenschutz- oder Zivilschutz-Dispositiven als auch die kleinteiligere Untersuchung von Dispositiven des Hitzeschutzes, der Cyber-Sicherheit, der Terrorismusprävention usw.

Insgesamt wird deutlich, wie flexibel und vielseitig zentrale Themen der sozialwissenschaftlichen Krisen- und Katastrophenforschung durch das theoretische Raster des Dispositivkonzepts bearbeitet werden können. Das betrifft sowohl die diskursiven Prozesse, in denen Situationen oder Phänomene als Krise, Katastrophe, Risiko oder als vulnerabel problematisiert werden, als auch die daraufhin entstehenden Konfigurationen verschiedenartiger Elemente, die einen Umgang mit der Problemlage gewährleisten sollen. Zwar ergeben sich aus dem holistischen Anspruch des Dispositivkonzepts auch Herausforderungen für die empirische Anwendung. Unbestreitbar bleibt eine Dispositivanalyse immer bruchstückhaft, unvollständig und verhältnismäßig leicht kritisierbar. Die zentralen Frageperspektiven einer Dispositivanalyse – danach, welche heterogenen Elemente sich unter der Maßgabe einer Problemlösungsstrategie zu einem strategischen Arrangement formieren, welches Wissen dabei vorausgesetzt, materialisiert und stabilisiert wird, und welche intendierten und nicht-intendierten (Macht-)Wirkungen von dem Dispositiv ausgehen – lassen sich wohl nie abschließend und eindeutig beantworten. Sehr wohl können diese Frageperspektiven aber die eingangs angesprochenen Funktionen theoretischer Denkstützen erfüllen. Insbesondere in der Krisen- und Katastrophenforschung erscheint das Dispositivkonzept als vielversprechendes analytisches Werkzeug, um Beobachtungen zu filtern, für Zusammenhänge zu sensibilisieren und für diverse empirische Inhalte einen Erklärungsrahmen und Vergleichshorizont zu bieten.

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