Gemeinsame Restitution der LCA Kooperation von 9 Büchern der „Jüdische Schülerbibliothek Pilsen“ gelungen

Jüdische Schülerbibliothek Pilsen

Am 29.07.2021 konnten die Universitätsbibliothek der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und die Arbeitsstelle Provenienzforschung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin neun Bände aus dem ehemaligen Bestand der Jüdische Schülerbibliothek Pilsen an die Föderation der Jüdischen Gemeinden in der Tschechischen Republik restituieren.

Bereits Ende der 1870er Jahre etablierte der Rabbiner und Pädagoge Dr. Adolf Kurrein in Linz die erste jüdische Schülerbibliothek auf dem Gebiet der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Seitdem propagierte er die Einrichtung solcher Bibliotheken – nicht nur als Ergänzung zum israelitischen Religionsunterricht, sondern auch zur „Belehrung über jüdisches Leben, jüdische Geschichte und Literatur, jüdische Vergangenheit und Gegenwart“. Wir können davon ausgehen, dass auch zionistische Motive als treibende Kraft hinter der Idee standen.

Auch in Pilsen wurde eine jüdische Schülerbibliothek ins Leben gerufen. Als gemeinnützige Einrichtung war man auf Spenden angewiesen. Als Förderer konnte bisher die Pilsner Loge „Union“ (gegr. 1892) des Ordens B’nai B’rith nachgewiesen werden.

Nach der Auflösung jüdischer Institutionen im „Protektorat Böhmen und Mähren“ folgte im Juli 1939 die Aufforderung zur Meldung aller jüdischen Vereine, Stiftungen und vereinsähnlichen Organisationen. Diese waren seit dem 5. März1940 der Prager Kultusgemeinde gegenüber weisungsgebunden und mussten sämtliches Vermögen an diese übertragen. Die Prager Kultusgemeinde verwaltete im Auftrag der „Zentralstelle für Jüdische Auswanderung“ alle jüdische Zwangsorganisationen bis zu deren (teils „freiwilliger“ Selbst-) Auflösung. Dies betraf ebenso die Jüdische Schülerbibliothek Pilsen. Ein Großteil der geraubten Bücher im Protektorat wurde nach Theresienstadt und/oder nach Prag geschafft.

Einige der identifizierten Bücher enthalten ausradierte Zugangsnummern, die teils noch lesbar sind. Diese Nummern finden sich samt Titel wieder auf den Übernahmeprotokollen des Prager „Jüdischen Zentralmuseums“, an das sie im August und im November 1944 seitens der Treuhandstelle vermittelt worden waren. Im Museum überdauerten sie das Kriegsende. Im Fall der Heidelberger Bücher war es Rabbiner Emil Davidovic, der Bücher aus dem Museum in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik gebracht hatte, im Fall der FU Berlin sind die genauen Umstände des Zugangs unklar.

Exemplar aus dem Bestand der Universitätsbibliothek der FU Berlin:

Agnon, Shemu’el Yosef: Der Verstoßene, Berlin 1923

Exemplare aus dem Bestand der Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg:

Kellner, Leon: Jüdische Weihestunden, Czernowitz 1914

Kohn, Pinchas Jacob: Rabbinischer Humor aus alter und neuer Zeit, Berlin 1915 [Link zum Digitalisat]

Lehmann, Marcus: Akiba, Frankfurt a. M. 1920

Löhr, Max: Volksleben im Lande der Bibel, Leipzig 1907

Löwy, Markus: Amschelberger Jugenderinnerungen, Prag 1909 [Link zum Digitalisat]

Rothschild, Theodor: Bausteine zur Unterhaltung und Belehrung aus jüdischer Geschichte und jüdischem Leben, Frankfurt a. M. 1913

Seligmann, Caesar: Hagada. Liturgie für die häusliche Feier der Sederabende, Frankfurt a. M. 1913

Wolbe, Eugen: Ludwig August Frankl. Der Dichter und Menschenfreund, Frankfurt a. M. 1910

Ausgewählte Literatur und Quellen

Heim, Susanne und Maria Wilke: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland Band 6, Berlin/Boston 2019.

Luft, Robert: Das Bibliothekswesen in Böhmen und Mähren während der Nationalsozialistischen Herrschaft 1939-1945, Bohemia 30 (1989), S. 295-342 [skizzenhaft zu den jüdischen Bibliotheken auf S. 337f.]

Wolf Gruner: Die Judenverfolgung im Protektorat Böhmen und Mähren, Göttingen 2016.

Spenden an die Schülerbibliothek:

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598891

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598482

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598167

Zur „Ausschaltung der Juden aus dem öffentlichen, wirtschaftlichen- und gesellschaftlichen Leben“ im Protektorat:

https://www.herder-institut.de/no_cache/digitale-angebote/dokumente-und-materialien/themenmodule/quelle/2048/details.html

Allgemeines zur Gründung jüdischer Schülerbibliotheken in Österr.-Ungarn:

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=jvs&datum=19091027 (S.4)

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=jvs&datum=19080601 (S.1f.)

Tätigkeitsbericht der Prager Treuhandstelle:

https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/142202

Rückgabe von Beutegut an die Stadtbibliothek Tartu in Estland

Bildquelle: Deutsche Botschaft in Tallinn, Estland
Kristjan Teedema

In der Stadtbibliothek Tartu in Estland fand am 28. Juni 2021 die feierliche Rückgabe von Beutegut aus der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin statt, das während der deutschen Besatzung im März 1943 widerrechtlich von Estland nach Berlin verbracht wurde. Die offizielle Übergabe wurde von Anne Kathrin Kirsch, Kulturattaché der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Estland an die Bibliotheksdirektorin Krét Kaljusto-Munck und Tiina Tarik überreicht. Die Rückführung wurde in Kooperation zwischen der Arbeitsstelle Provenienzforschung mit dem Auswärtigen Amt Berlin durchgeführt.

Anhand eines erhaltenen Inventarbuches der Stadtbibliothek von Tartu konnte ein Werk von Friedrich Engels: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen aus der „Alfred Weiland Sammlung“ der UB nachgewiesen werden. Der Text gehört zum unvollendeten Werk  „Dialektik der Natur“, das Friedrich Engels 1876 zur Philosophie der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts verfasst hat. Nach Engels Tod 1895 wurde der Text erstmals 1896 von Eduard Bernstein in der „Neuen Zeit“ veröffentlicht.

Das Werk wurde im Inventarbuch unter der Aktennummer 4.399 am 31. März 1943 ausgesondert. Diesem Inventarbuch lag die „Verordnung über schädliches Schrifttum vom 30. Januar 1943“. Die dort aufgeführten Bücher sollten dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) zur Verfügung gestellt werden. Das Buch ist von ERR über das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in die Sammlung Alfred Weiland gelangt. Alfred Weiland war von Juni 1945 bis Februar 1946 beim Bezirksamt Berlin-Schöneberg, Volksbildungsamt beschäftigt. Das Amt befasste sich u. a. mit der Sichtung und Sortierung der Bestände aus der ehemaligen Bibliothek des RSHA in der Eisenacher Straße 11-13. Im Juli 1945 lagerten in den Kellerräumen des ehemaligen Logengebäudes ca. 50-60.000 Bände. Alfred Weiland war an den Abwicklungsarbeiten der ehemaligen Bestände der Zentralbibliothek des RSHA beteiligt.

Die Bibliothek Tartu Linna Keskraajatukogu (Tartuer Zentrale Stadtbibliothek) wurde 1913 von der Gesellschaft der Tartuer Volksbibliothek in Litauen gegründet. Die Bibliothek verdankt ihren Bestand verschiedener Gesellschaften, Verleger und Buchhändler der Stadt. 1940 umfasste die Bibliothek ca. 30.000 Bände. Nach der sowjetischen Okkupation im Juni 1940 wurden mehrere Tausend Bände aus ideologischen Gründen ausgesondert. Zwischen 1941 und 1944 erfolgten seitens der deutschen Besatzungsmacht weitere Zwangs-Aussonderungen von Büchern, die als Beutegut nach Deutschland verbracht worden sind.

Weitere Informationen zur Übergabe finden Sie hier:

LCA Datenbank: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/251270

Facebook Seite der Deutschen Botschaft in Tallinn: https://www.facebook.com/DeutscheBotschaftTallinn/posts/3373233019631511

Pressestimmen aus Estland: https://tartu.postimees.ee/7281125/saksamaa-tagastas-tartu-linnaraamatukogule-kahjulikuks-tunnistatud-trukise1 / 11

Schenkung an die Jüdische Gemeinde zu Berlin

Am 23.06.2021 konnte die Arbeitsstelle für Provenienzforschung der Freien Universität Berlin fünf Fragmente von mindestens zwei verschiedenen Toraschriftrollen als Schenkung an die Jüdische Gemeinde zu Berlin (JGzB) übergeben.

© Marcus Dost, FU Berlin

In den 1970er-Jahren wurden diese unvollständigen Teilstücke anonym vor den Türen des Instituts für Judaistik abgelegt. Über den Ursprung der Fragmente ist nichts bekannt. Nachdem diese als Anschauungsmaterial im Lehrbetrieb genutzt worden sind, erfolgte erst 2019 die Wiederentdeckung durch die Mitarbeiter*innen der Universitätsbibliothek.

Die Fragmente weisen mittlere bis starke Gebrauchsspuren auf und es fehlen die Rollstäbe. Auf einem Pergament war ein mutwilliger Ausschnitt zu erkennen. Mithilfe einer Toraschriftgelehrten (hebr. Soferet) gelang es, zwei unterschiedliche Schrifttypen (hebr. ktav Admor HaZaken und ktav Beit Yosef) zu identifizieren, die eine geografische Zuordnung ermöglichten. Die Herkunft ist deshalb im osteuropäischen Raum zu vermuten.

Deutlich zu erkennen, dass hier mutwillig im Fließtext (Kapitel 8, zweites Buch Moses) ein Ausschnitt vorgenommen wurde.
© Marcus Dost, FU Berlin

Da ein NS-verfolgungsbedingter Entzug oder eine andere Form der unrechtmäßigen Entwendung nicht ausgeschlossen werden konnte, war es der Wunsch der Freien Universität Berlin, die Tora-Fragmente an die JGzB als Schenkung zu übergeben. Die entweihten Teilstücke sollen in die Genisa (dt. Archiv) überführt und im Anschluss auf einem jüdischen Friedhof bestattet werden. Damit möchte die FU Berlin dem jüdischen Brauch nachkommen, der sich von dem 3. Vers im Traktat Schabbat 115a der Mischna ableitet: „Man darf alle heiligen Schriften aus einer Feuersbrunst retten, ob man aus ihnen liest oder nicht. Auch wenn sie in irgendeiner anderen Sprache geschrieben sind.“

Wir freuen uns außerordentlich, dass wir mit der JGzB einen Ort gefunden haben, womit diese Fragmente in die jüdische Religionsgemeinschaft zurückkehren können.

Weitere Informationen finden Sie unter: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/262083

Neues Projekt an der Freien Universität Berlin: Provenienzforschung nach NS-Raubgut in der Bibliothek des Botanischen Garten und Botanischen Museums (BGBM)

Etwa 12 000 Bände aus den Beständen der Bibliothek des BGBM stehen unter Verdacht, NS-Raubgut zu enthalten. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert seit April ein Projekt, in dem ihre Provenienzen erforscht werden sollen. Die zu untersuchenden Bücher, Zeitschriften und Sonderdrucke beschaffte die Bibliothek ab 1943 zum Wiederaufbau nach ihrer Zerstörung durch Bombentreffer. Sie wurden teils direkt von Institutionen des NS-Staats zur Verfügung gestellt, teils stammen sie vom antiquarischen Buchmarkt. In enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle Provenienzforschung der Freien Universität Berlin werden nun die betroffenen Bestände systematisch auf Provenienzhinweise untersucht und Funde hier in der Datenbank LCA dokumentiert.

Neues Mitglied bei LCA: Bibliothek der Stiftung Topographie des Terrors

Wir begrüßen unser neues Mitglied, die Bibliothek der Stiftung Topographie des Terrors in unserer LCA Kooperation und freuen uns auf die Zusammenarbeit!

Die Bibliothek des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors ist eine öffentlich zugängliche wissenschaftliche Spezialbibliothek. Neben Fachliteratur zur Geschichte des Nationalsozialismus besitzt die Bibliothek auch einen Teilbestand an Printmedien aus der NS-Zeit. 2017 unternahm die Bibliothek erste Anstrengungen, Provenienzen der Bücher zu recherchieren und lokal zu verzeichnen. Hierbei wurden Provenienzmerkmale entdeckt, die einen Anfangsverdacht auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut begründen.

Oberrat der Israeliten Badens

Stempel des Oberrates der Israeliten Badens

Am 23.02.2021 konnte die Universitätsbibliothek der Freien Universität ein Buch aus dem ehemaligen Bibliotheksbestand des Oberrates der Israeliten Badens an die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden K.d.ö.R (IRG Baden) restituieren.

Am 13. Januar 1809 wurde der Oberrat der Israeliten Badens durch den Erlass des 9. Konstitutionsedikts von Großherzog Karl Friedrich (1728-1811) gegründet. Damit hatte das Großherzogtum Baden als erster deutscher Staat eine jüdische Religionsgemeinschaft dauerhaft legitimiert.

Bis zum März 1938 fungierte der Oberrat als Dachverband für die jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Baden. Als die Nationalsozialisten dem Verbund den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts entzogen hatte, wurde er 1939 als „Bezirksstelle Baden-Pfalz“ der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland unterstellt. Am 22. Oktober 1940 deportierten die Nationalsozialisten einen Großteil der noch verbliebenen Jüdinnen und Juden Badens in das französische Internierungslager Camp de Gurs deportiert. Die jüdischen Gemeinden waren vollständig liquidiert. In diesem Zusammenhang zerstörten die Nationalsozialisten Synagogen, Archive, beschlagnahmten Bibliotheken, raubten wichtige Kultus- und Wertgegenstände. Nur wenige Jüdinnen und Juden aus Baden überlebten die Shoah.

1953 schlossen sich der wiederbegründete Oberrat der Israeliten (Nordbaden) und die jüdische Landesgemeinde (Südbaden) zur IRG Baden zusammen. Sie tritt als Rechtsnachfolgerin des Oberrates der Israeliten Badens auf. Als K.d.ö.R. umfasst sie heute zehn jüdische Gemeinden und zählt mehr als 5.000 Mitglieder.

Das Buch wurde von der Universitätsbibliothek der FU Berlin 1968 antiquarisch erworben. Da der Band keine weiteren Provenienzspuren enthält, lässt sich der Weg, den das Buch genommen hatte, nicht genau rekonstruieren.

Buch: Festschrift zu Simon Dubnows siebzigstem Geburtstag (2. Tischri 5691).(1930)

Rechercheergebnis: NS-Raubgut, Rechtsnachfolgerin ist die IRG Baden

Weitere Informationen finden Sie unter: https://lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/235383

Israelitische Gemeinde Karlsruhe, Bibliothek

Bibliotheksstempel mit Signatur der Israeltischen Gemeinde in Karlsruhe

Am 28.01.2021 konnte die Universitätsbibliothek der Freien Universität ein Buch aus dem ehemaligen Bibliotheksbestand der Israelitischen Gemeinde Karlsruhe an die Jüdische Kultusgemeinde Karlsruhe (JKG) restituieren.

Die Israelitische Kultusgemeinde in Karlsruhe wurde im 18. Jahrhundert gegründet. Bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten existierten zwei Synagogen, in denen nach dem orthodoxen und liberalen Ritus gebetet wurde. Bis zu der Liquidation durch die Nationalsozialisten war die Israeltische Gemeinde in Karlsruhe von einer liberalen und orthodoxen Strömung geprägt. Neben den Synagogen entstanden dem entsprechenden Ritus folgend jüdische Friedhöfe und weitere Einrichtungen wie Schulen und andere Lehrstätten.

Es existieren heute keine Quellen mehr, die darüber Aufschluss geben, ob eine oder mehrere jüdische Gemeindebibliotheken unterhalten worden sind. Sicher ist nur, dass es eine solche Bibliothek gegeben hatte. Vermutlich wurden die Bestände im Zuge der Pogromnacht vom 9./10. November beschlagnahmt oder zerstört. Bei dem 1951 gestellten Wiedergutmachungsantrag äußerte die Gemeinde die Vermutung, dass sich in den Synagogenräumen auch wertvolle Büchereien befunden haben müssen. Während des Novemberpogroms wurden die Liberale und die Orthodoxe Synagoge geschändet, verwüstet und im Anschluss abgetragen. Erst im Jahre 1971 erfolgte ein Neubau an der Knielinger Allee.

In Abstimmung mit dem Oberrat der Israeliten Badens fungiert die Jüdische Kultusgemeinde Karlsruhe als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen jüdischen Gemeinden in Karlsruhe. Die JKG versteht sich heute als Einheitsgemeinde.

Buch: Die Juden in Russland. Urkunden und Zeugnisse Russischer Behörden und Autoritäten. (1900)

Rechercheergebnis: NS-Raubgut, Rechtsnachfolgerin ist die JKG Karsruhe

Weitere Informationen finden Sie unter: https://lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/257861

Hermann Ahlfeld (1892 -1983)

Christoph Paul Hermann Ahlfeld wurde am 10. April 1892 in Magdeburg (Preußen) als Sohn von Christoph und Dorothee Ahlfeld (geb. Stille) geboren. 

Nach dem Besuch der Volksschule in Magdeburg (1898 – 1906), erlernte er den Beruf des Bau-, Möbel- und Modelltischler bei Tischlermeister Ernst Hüttenrauch in Magdeburg (1906 – 1910). Von 1910 -1911 arbeitete er als Modelltischler in Erfurt, Mönchen-Gladbach, Grevenbroich, Einswarden und Oldenburg. Von 1912 – 1927 bei Borsig und Siemens in Berlin. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wurde er zum 2. Garde-Infanterie-Regiment nach Potsdam als Militär-Krankenwärter (Sanitäter) eingezogen, im Oktober 1916 aber bereits zum Einsatz in der Industrie nach Berlin entlassen.

Von 1927 – 1930 ging er zu A. Moldenhauer und Söhne in Berlin, Ackerstr. 50. Ab 1930 war er arbeitslos. 

Parallel zu seiner Anstellung und späteren Arbeitslosigkeit engagierte sich das SPD-Mitglied (seit 1911) von 1927 – 1933 als Lehrer an der Berliner Gewerkschaftsschule und von 1932 – 1933 als Organisator und Leiter der Erwerbslosenwerkstätten in Berlin-Charlottenburg. Er selbst bezeichnete sich als in Berlin bekannter Sozialist.

Am 28. Juni 1933 verließ Hermann Ahlfeld seine Wohnung in der Krummestr. 62 in Berlin-Charlottenburg und floh, nach einer Warnung durch Genossen, nach Paris. 

Seine wirtschaftliche Situation in Frankreich war schwierig. Er arbeitete von 1933 bis 1939 als Meister in der Spielzeugfabrik „Jou-Jou“, in 3 eigenen Betrieben und als Modelltischler.

In Frankreich lernte er seine jüdische Ehefrau Marianne Ahlfeld-Heymann, geborene Heymann (07.02.1905 in Köln – 26.06.2003 Haifa) kennen und heiratete sie am 07.04.1941. Marianne war Holzbildhauerin, Kostümdesignerin, Bühnenbildnerin, Maskenschnitzerin und Marionettenbauerin. 

Das Ehepaar Marianne und Hermann Ahlfeld bekamen drei Kinder – Eva Charlotte geboren am 8. Dezember 1941 in Marseille, Martin Nobert geboren am 8. Oktober 1943 in Ales (Losere) und Jean Marcel geboren am 29. März 1945 in Florac (Lozere).

Im September 1939 begann für Hermann Ahlfeld, wie für viele Ausländer in Frankreich, auf Grundlage des Decret-Loi du Juilett 1939, sein Weg durch die Internierungslager. Vom September 1939 bis Oktober 1939 im Stadion Colombes, Paris, von Oktober 1939 bis April 1940 Camp Villerbon bei Elois (Loire), von April 1940 bis Mai 1940 Camp Chambon (Loire) und von Mai 1940 bis August 1940 Arbeits-Bataillon (Arbeitssoldat/Prestataire) in Montauban (Loire). 

Im September 1940 erfolgte die Demobilisierung nach Toulouse und von Oktober 1940 bis Mai 1941 war er Holzfäller und Köhler in Arques bei Carcassonne.

Er selbst bezeichnet die Zeit von 1941-1945 als permanente Flucht innerhalb Frankreichs. Von Dezember 1941 bis Dezember 1942 war er in Marseille und Aux-en-Provence, ab Dezember 1942 bis zum Juli 1946 in St. Privat de Vallongue und Florac (Lozere).

Die Jahre der Internierung und Flucht hinterließen Spuren. Physisch und psychisch erschöpft, begab er sich im Juli 1946 bis Februar 1947 ins Hospital Psychiatrique de St. Alban (Lozere). Ab dem Juni 1947 bis zum Dezember 1948 arbeitete er wieder als Lehrer und Werksmeister im Jugendheim der Israelischen Jugend-Alija in Pougues-les-Eaux.

Im Januar 1949 entschloss sich die Familie zur Auswanderung nach Israel. Auch hier war der Anfang schwer Hermann Ahlfeld arbeitete als selbstständiger Industrie- und Werklehrer im eigenen Betrieb für Lehrmittel.

In den 1950er Jahren stellte er einen Antrag auf Entschädigung in der Bundesrepublik Deutschland. Nach Jahren der Bearbeitung durch die deutschen Behörden, des Vorlegens von Beweismittel und endlosen Schriftverkehres mit Anwälten erhielt er eine Rentenzahlung.

Hermann Ahlfeld verstarb am 08. Februar 1983 in Haifa, Israel.

Teil der Entschädigungsakte 251.028 (liegt vor im: Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Abt I – Entschädigungsbehörde Abschnittsleitung Aktenverwahrung- und Auswertung I A 4 Fehrbelliner Platz 1 10707 Berlin) ist der Verlust der Wohnung in der Krummestr. 62 in Berlin-Charlottenburg und der dort vorhandenen Bibliothek mit ca. 3500 Büchern und eines Archivs.

Die Universitätsbibliothek der Freie Universität, Arbeitsstelle Provenienzforschung hat 2020, nach Vermittlung der Kollegen des Projekts „NS-Raubgut in der SLUB (Erwerbungen nach 1945)“ der Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), Kontakt zu einem Sohn von Hermann Ahlfeld aufgenommen.

Da es sich bei den in der Fachbereichsbibliothek für Sozialwissenschaften und Osteuropastudien der Freien Universität Berlin gefundene 8 Bücher, die eindeutig Hermann Ahlfeld zuzuordnen sind, um spezifische Gewerkschaftsliteratur handelt, bat uns sein Sohn diese doch in der Bibliothek zu belassen und den Lesern weiterhin zugänglich zu machen.

Diesem Wunsch kommen wir sehr gerne nach.

Weitere Informationen finden Sie unter: https://lootedculturalassets.de/index.php/Detail/entities/11710

Berliner Senat veröffentlicht neuen Bericht 2020 zur Provenienzforschung

Die Provenienzforscher*innen der Berliner Museen, Bibliotheken und Archiven haben in den vergangenen Jahren wertvolle Forschungsarbeit geleistet. Nun stellt der Berliner Senat in seinem Bericht für das Jahr 2020 erstmalig auch die Forschungsfelder zum NS-Raubgut an den Berliner Universitäten vor.

https://www.berlin.de/sen/kulteu/aktuelles/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.998413.php