Kendall Jenner hat ein neues Piercing, erfährt man im Algemeen Dagblad. Wer Kendall Jenner ist, spielt eigentlich keine große Rolle. Der streng sprachwissenschaftliche Blick richtet sich nicht auf ihren Status als C-Promi sondern auf ihr Dekolleté. Nur ganz ausnahmsweise, versprochen! In der Zeitung ist nämlich zu lesen, dass Fräulein Jenner ein neues tepelpiercing hat.
Für Deutschsprachige wirkt das Wort tepel für einen Zeitungsartikel entschieden zu informell. Es klingt so ähnlich wie Nippel, ein eher lockerer, umgangssprachlicher Begriff für Brustwarze. Die direkte deutsche Entsprechung von tepel wäre Zipfel, was in diesem Zusammenhang aber als ironische Formulierung auf ganz andere Körperregionen hindeutet. Im Niederländischen ist tepel dagegen ein völlig neutrales Wort ohne besondere Konnotation, das auch in seriösen Kontexten gebraucht werden kann. So ähnlich aber tepel und Nippel auch sind (man weiß ja nie, was sich der Lautwandel für [t] und [n] so ausgedacht hat), sie sind etymologisch eher entfernte Verwandte. Nippel ist eine relativ frühe Entlehnung vom Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Englischen und geht zurück auf neb für Schnabel. Von dort aus wurde das englische nib dann auch zur Bezeichnung für Spitze oder auch Schreibfeder. Der tepel ist ein Diminutiv von tip, also eine kleine Spitze. Auf Deutsch kennen wir Spitze im Brustbereich nur als besonders elegante Dekoration an der Unterwäsche, als (Brusselse) kant.
Auf derlei Zierrat hatte Kendall Jenner verzichtet, sonst hätte man schließlich die Konturen des Schnabelpiercings nicht gesehen. Sie trug also keinen beha, wie uns der Artikel detailliert berichtet. (Unterwäsche von Promis scheint in den Lage Landen gerade ein wichtiges Thema zu sein, auch bei De Standaard.) Den BH gibt es auch auf Deutsch, und als Kurzform für Büstenhalter bzw. bustehouder ist der Hintergrund völlig identisch. Ob man beha als Akronym sehen möchte, hängt ein bisschen von der Definition ab. Jedenfalls weist der niederländische Terminus letterwoord bereits darauf hin, dass bei Akronymen die Schrift oft einen großen Einfluss auf die Bildung des neuen Wortes hat. Es greift entweder die Anfangslaute oder die Anfangsbuchstaben der Wörter auf, aus denen es zusammengesetzt wird. Bei beha wäre es hoffnungslos, nur auf die Laute zu setzen, weil man dann ein Art behauchtes [bh] aussprechen müsste. Beha ist also die neu ausgeschriebene Form einer Abkürzung – ob nun Akronym oder nicht – basierend auf dem Schriftbild, ähnlich der geschriebenen Variante okay für OK. Während be und ha die Buchstabieraussprache des Niederländischen exakt wiedergeben, ist das Niederländische oké und auch die Variante oukei auf Afrikaans schon wieder einen Schritt weiter in der Entwicklung. Der Buchstabe K wird schließlich nur auf Englisch [keɪ] ausgesprochen. Die angedeutete Diphthongierung von [o] mit der Schreibung <ou> würde dagegen durchaus auch der gegenwärtigen Aussprache im Niederländischen entsprechen, jedenfalls in den Niederlanden. Dass so auf Basis des Buchstabierens und der Entlehnung eine ganz neue Schreibweise entstanden ist, ist ein völlig okayer Prozess. Das hat der Sprachwandel tiptop hinbekommen, und in der Linguistik finden wir sowas spitze.
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