“ … aber man hörte auch förmlich den Groschen fallen …“

Ein Beitrag von Madlen W.

Die folgende Situation ereignete sich im Deutschunterricht einer 8. Klasse in der 5. Stunde an einer ISS, welche von einer Referendarin angeleitet wurde. Im Rahmen der Grammatiklehre wurde in dieser Unterrichtseinheit das Aktiv und das Passiv behandelt. Die Schülerinnen und Schüler erhielten dafür ein Arbeitsblatt mit einem kurzen Text über die App-Anwendung „TikTok“, welcher durchgängig im Aktiv verfasst wurde. Die Schülerinnen und Schüler sollten nach dem Lesen des Textes im Plenum beraten, wie man diesen leserlicher und spannender gestalten könne. Dabei nannte die Schülerschaft als Lösungen die Verwendung von Synonymen und das Umformulieren der Sätze. Letzteres griff die angehende Lehrkraft auf, um den Schülerinnen und Schülern den Unterschied von Aktiv und Passiv zu erklären: Dafür teilte sie eine PowerPoint-Folie, welche das genaue Vorgehen der Formulierung dieser Diathese knapp und tabellarisch aufzeigte. Sie erklärte zudem Charakteristika in der Satzgliederung sowie die Nutzung des Partizips II und des Hilfsverbs „werden“. Mithilfe dieser PowerPoint-Darstellung sollte die Schülerschaft in Einzelarbeit eine Aufgabe auf dem Arbeitsblatt lösen, in welcher verschiedene Sätze den beiden Aktionsformen (Aktiv/Passiv) zugeordnet werden sollten. Daraufhin wurde die Klasse sehr unruhig:

Die Schülerinnen und Schüler schauten sich in der Klasse um, stellten sich gegenseitig aufgabenbezogene Fragen und wirkten überfordert. Die Referendarin benannte diese Unruhe und fragte, ob diese Aufgabe zu schwer sei und erhielt als Antwort eine mehrheitliche Zustimmung. Daraufhin überlegte sie sich schülerbezogene, individuelle Beispiele: „Nehmen wir Tanja (Name geändert) – Tanja fährt jeden morgen mit dem Fahrrad zur Schule. Das macht sie aktiv. Aber heute habe ich gesehen, dass es anders war, denn Tanja stieg aus dem Auto ihres Vaters: Sie wurde gefahren. Das machte sie passiv, denn Tanja hat ja noch keinen Führerschein, oder irre ich mich?“ Darüber mussten einige in der Klasse lachen, aber man hörte auch förmlich den Groschen fallen, denn viele Schülerinnen und Schüler sagten lang betont „Achso.“ oder „Ah, jetzt hab ich’s verstanden.“ Um sich zu versichern, ob die Klasse den Unterschied dieser Aktionsformen auch wirklich nachvollziehen konnte, bat sie darum, dass jeder einen Satz aus dem Text über „TikTok“ vom Aktiv ins Passiv umformuliert. Die Schülerschaft wirkte deutlich motivierter und viele begannen nach kurzem Überlegen sofort zu schreiben. Im anschließenden Vergleich im Plenum zeigten sich kaum Fehler in der Umsetzung dieser grammatikalischen Regel.

Meine Einsichten

Positiv aufgefallen ist mir die schnelle und empathische Reaktion der Referendarin: Sie benannte sofort die entstandene Unruhe nach der Aufgabenstellung und deutete diese als mögliche Überforderung, aber versicherte sich auch nochmal bei den Schülerinnen und Schülern über die Richtigkeit dieser Einschätzung. Dabei wirkte sie in ihrer Kommunikation etwas unruhig, da sie schnell und hektisch nachfragte, jedoch ohne dabei vorwurfsvoll zu klingen. Des Weiteren fand ich es wertvoll, dass die Schülerschaft ungehemmt ihre Überforderung mit der Aufgabe auf der Offenbarungsebene mitteilte. Die Schülerinnen und Schüler kommunizierten offen ihre Grenzen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, jedoch wirkten sie dadurch auch angespornt, diese Wissenslücke zu füllen – eventuell wurde dies bekräftigt, weil die angehende Lehrkraft die Rückmeldung der Schülerschaft urteilsfrei entgegennahm. Zuletzt fiel mir auf, wie der Wissenserwerb der Schülerinnen und Schüler durch greifbare und individualisierte Beispiele unterstützt wurde und sich dies positiv auf die Lernmotivation auswirkte: Die Klasse gab nicht auf sich mit diesem herausfordernden Thema auseinanderzusetzen und bearbeitete erfolgreich die Anschlussaufgabe.

Meine Folgerungen

Daraus nehme ich mit, dass es hilfreich sein kann, die eigenen Wahrnehmungen und Deutungen transparent zu machen und sich diese von der Klasse rückversichern zu lassen. So wird eine offene Kommunikation gewährleistet, die das Arbeitsbündnis stärkt, da ein mögliches Übergehen der Wahrnehmung sowie Bedürfnisse der Schülerschaft verhindert werden. Die wertfreie, empathische Entgegennahme der Selbsteinschätzung sowie möglicher Überforderung durch die Lehrkraft, sendet der Klasse das Signal, Fehler machen zu dürfen und den Unterricht als Erfahrungsraum nutzen zu können. Dies sorgt zudem für ein lerndienliches Klima, da der Wissenserwerb nicht durch negative Assoziationen und Gefühle beeinträchtigt wird. Zuletzt konnte ich erkennen, dass dieses „Groschenfallen“ und die „Aha-Momente“ einen signifikanten Einfluss auf die Selbstwirksamkeit sowie Lernbereitschaft haben: Die Schülerinnen und Schüler erfuhren ein Erfolgserlebnis durch die Erweiterung ihres Intellekts, zu dem sie selbst in erheblichem Maße beigetragen haben. Sie haben eben nicht aufgegeben, sondern sich stattdessen der Herausforderung gestellt. Solche Erfolgserlebnisse beflügeln und motivieren zum weiteren Wissenserwerb, da die Schülerinnen und Schüler auf bereits positive Lernerfahrungen zurückblicken können.

Meine Anschlussfragen

  • Kann es förderlich für die Lernmotivation sein, solche Situationen zu provozieren, in denen eben nicht sofort der Groschen fällt? Vielleicht indem bewusst nur rudimentär Informationen und Beispiele verwendet werden?
  • Kann es vielleicht auch eine potenzielle Gefahr sein, dass die Kompetenzen und Seriosität der Lehrkraft in Frage gestellt wird, wenn die Schülerschaft nicht sofort einen Lernerfolg erfährt?
  • Wie kann alternativ für Überraschungen und Aha-Momente gesorgt werden?

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