„Der Schüler las seinen kurzen Text vor, der viele Probleme im Satzbau, Vokabular und Grammatik aufwies.“

Ein Beitrag von Judith B.

Mein Orientierungspraktikum absolvierte ich an einer Gemeinschaftsschule, deren Schüler größtenteils einen nicht-deutschsprachigen familiärer Hintergrund haben. An einem Dienstag besuchte ich in der fünften Stunde den Deutschunterricht einer 12. Klasse, der von Frau K. geführt wurde. Die Schülerinnen und Schüler hatten in der letzten Unterrichtseinheit einen Text zum Thema Entwicklung und Entwicklungstendenzen der deutschen Sprache im digitalen Zeitalter gelesen und sollten als Hausaufgabe eigene Gedanken zu diesem Thema kurz verschriftlichen. Die Lehrkraft Frau K. fragte, wer seine Hausaufgabe vorlesen wolle und rief, nachdem sich einige Schülerinnen und Schüler gemeldet hatten, einen Schüler auf. Der Schüler las seinen kurzen Text vor, der viele Probleme im Satzbau, Vokabular und Grammatik aufwies. Statt den Schüler auf diese Mängel hinzuweisen und ihn zu korrigieren, hörte Frau K. sich den Text bis zum Ende an. Anschließend stellte Frau K. Fragen an den Schüler, die das Ziel hatten, die Gedanken, die er versucht hatte in dem Text darzustellen, zu präzisieren und argumentativ aufzubereiten. Frau K. entschied in dieser Situation also, den Inhalt des Textes zu bearbeiten, anstatt die Form zu korrigieren.

Meine Einsichten

Frau K. hat in dieser Situation meiner Ansicht nach richtig gehandelt. Statt den Gedankenfluss des Schülers zu unterbrechen und durch die Korrekturen an seinem Text seine Motivation möglicherweise zu mindern, konzentrierte sich Frau K. auf das Wesentliche der Hausaufgabe. Nämlich auf den vorgelesenen Text und das Thema, Gedanken eigenständig zu formulieren und dabei formal argumentativ vorzugehen.
Natürlich darf über Mängel im schriftlichen Ausdruck bei Schülern und Schülerinnen nicht hinweggesehen werden, da die Korrektheit der Schriftsprache bei der Notengebung ebenso relevant ist. Frau K. erklärte mir nach der Unterrichtsstunde aber, dass sie sich die Fehler der Schüler und Schülerinnen merke und notiere. Ihr Vorgehen sei es dann, die Schüler und Schülerinnen nach dem Unterricht oder in einer anderen Arbeitsphase im Unterricht individuell auf diese Fehler aufmerksam zu machen. Wenn sie Fehler entdeckt, die sich bei verschiedenen Schülern und Schülerinnen wiederholen, wiederholt sie dieses Thema im Unterricht noch einmal kurz für alle.

Meine Folgerungen

Deutsch als Zweitsprache ist ein enorm wichtiges Thema und deshalb fand ich es sehr interessant, beobachten zu dürfen, wie eine Lehrkraft in einer konkreten Unterrichtssituation mit dieser Thematik umgeht. Frau K. hat so gehandelt wie es im DaZ-Modul im Lehramtsstudium empfohlen wird. Sie korrigierte nicht jeden einzelnen Fehler direkt, sondern gebündelt und gefiltert in einem passenden Moment oder einer entsprechend geplanten Unterrichtseinheit.
Die Gemeinschaftsschule hat im Hinblick auf die Verbesserung des Deutschen noch weitere Fördermaßnahmen, die in den Stundenplan regulär integriert sind. In TÜV-Stunden zum Deutschunterricht können Schüler und Schülerinnen ihre Hausaufgaben machen und werden individuell betreut. Mir wurde jedoch von mehreren Lehrkräften erzählt, dass das schriftliche Sprachniveau in Deutsch sogar bei Schülerinnen und Schülern der 13. Klasse so mangelhaft ist, dass deren Klausuren inhaltlich sehr gut bis gut sind, aber aufgrund des schriftsprachlichen Ausdrucks häufig ein bis zwei Noten schlechter bewertet werden müssen. Ich frage mich somit, ob die bestehenden Fördermaßnahmen ausreichend sind. Meiner Meinung nach wird das Thema schriftliche Sprachförderung noch viel zu wenig umgesetzt und es ist frustrierend zu sehen, dass sich intelligente und fähige Schüler und Schülerinnen Möglichkeiten verbauen, weil sie aufgrund von mangelhaften schriftlichen Deutschkenntnissen schlechtere Noten bekommen.

Meine Anschlussfragen

  • Mit welchen Maßnahmen könnte man der Problematik begegnen?
  • Lassen sich zusätzliche Fördereinheiten in einen sowieso schon vollen Lehrplan integrieren?
  • Wie müsste in der Ausbildung und Weiterbildung von Lehrkräften darauf reagiert werden?

Ein Gedanke zu „„Der Schüler las seinen kurzen Text vor, der viele Probleme im Satzbau, Vokabular und Grammatik aufwies.““

  1. Ich denke, dass Frau K. in dieser Situation sehr gut reagiert hat. Statt sich sofort auf die sprachlichen Fehler des Schülers zu konzentrieren, hat sie sich auf den Inhalt seines Textes fokussiert und ihm die Möglichkeit gegeben, seine Gedanken deutlicher zu präsentieren. Das finde ich besonders wichtig, weil es den Schüler ermutigt, sich an Diskussionen zu beteiligen und seine Ideen zu teilen, ohne sofort Angst zu kriegen, korrigiert zu werden. Besonders im Kontext Deutsch als Zweitsprache denke ich, dass es entscheidend ist, das Selbstvertrauen in ihren sprachlichen Fähigkeiten zu stärken. Gleichzeitig stellt sich für mich aber auch die Frage, ob diese Herangehensweise langfristig ausreicht, denn die sprachlichen Defizite sollten auch nicht ignoriert werden. Daher frage ich mich, ob die vorhandenen Fördermaßnahmen wirklich ausreichend sind, um die sprachlichen Kompetenzen der Schüler nachhaltig zu verbessern, da viele Schüler trotz ihrer Fähigkeiten leider durch sprachliche Mängel schlechtere Bewertungen erhalten.

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